Wer lügt, fliegt raus

7. August 2024

Ursula Poznanski ist eine Meisterin der Spannung. Am liebsten entwickelt sie ihre Thriller rund um aktuelle Technologien. Das gilt auch für ihren neuen Thriller „Scandor“. Nein, es geht nicht um die viel diskutierte KI, auch wenn dieser Lügendetektor KI-Elemente enthält. Er reagiert auf die kleinste Flunkerei und korrespondiert über Körperfunktionen. Nicht so schlimm, denkt man erstmal. Aber wir kennen ja Ursula Poznanski. Sie hat sich da wieder ein Szenario ausgedacht, das Ängste vor übergriffigen digitalen Errungenschaften schürt.

Lügen und Traumata

Philipp und Tessa, beide 18, haben sich auf eine ganz besondere Herausforderung eingelassen und lernen einander dabei kennen. Sie sind zwei von 100 Menschen, die einen neu entwickelten, unfehlbaren Lügendetektor testen sollen: Scandor. Wer beim Lügen erwischt wird, ist draußen und muss sich dem Trauma seines Lebens stellen. Dem Sieger winken fünf Millionen Euro. Viel Geld, das einige der Teilnehmenden dazu verlockt, bei den Frage- und Antwort-Duellen zu unfairen Mitteln zu greifen.
Und dann gibt es wohl jemanden im Hintergrund, der die Fäden zieht und seine ganz eigenen Ziele verfolgt.

 Die Spannung wächst

Es fängt alles ganz harmlos an und steigert sich ab der Mitte bis zum Show Down am Ende, der einige der losen Fäden zusammenführt. Auch wenn da so einiges eher unglaubwürdig erscheint und das Happy End voraussehbar ist, die Spannung ist da. Man will wissen, woher Philipps Ängste kommen, was Tessas Vater zu verbergen sucht und wie es mit Tessa und Philipp weitergeht. Zwischendrin darf man auch Zeuge sein, wie ein paar der Konkurrenten aus dem Rennen gekickt werden.

Das Problem mit der Wahrheit

Es ist halt nicht so einfach, immer die Wahrheit zu sagen. Lügen können auch ein Akt der Freundlichkeit sein. Das merkt Tessa, die zwischendurch den Hund der alten Nachbarin ausführt und in einem angesagten Café aushilft. Leicht könnte ihr ein freundliches „gern“ über die Lippen kommen, wenn sie um Hilfe gebeten wird aber eigentlich keine Lust dazu hat. Auch Philipp hat seine liebe Not, bei den Antworten auf neugierige Fragen Fallstricke zu vermeiden.

Die schlimmsten Ängste

Dass es die Verantwortlichen der Challenge ernst meinen, erfahren die beiden, als sie zwangsweise mit ansehen müssen, wie ausgeschiedene Teilnehmer sich ihren Ängsten stellen müssen. Auch da hat sich die versierte Thriller-Autorin Ursula Poznanski einiges einfallen lassen…
Eine perfekte Sommerlektüre also für alle, die es lieben, in einem spannenden Buch abzutauchen.

Info Ursula Poznanski. Scandor, Loewe, 448 S., 19,95 Euro, ab 14

Hineingelesen…

… in ein Duell

„Alles in Ordnung?“ Die Frage war Philipp ganz automatisch herausgerutscht, und er mahnte sich zur Vorsicht. Bei Antworten durfte ihm das nicht passieren, auch dann nicht, wenn die Situation noch seltsamer werden sollte.
„Nein.“ Catalyst ließ sich auf die Bank sinken. „Nichts ist in Ordnung, Philipp Bajon. Wir sollten jetzt mit diesem Spiel aufhören. Beide.“
„Warum?“
„Weil wir nur verlieren können. Beide.“
„das verstehe ich nicht.“ Wieder eien ungeprüfte Aussage, die Philipp einfach entglitten war. Aber sie entsprach absolut der Wahrheit.
„Ja, weil du nicht weißt, was ich weiß. Es gibt Fragen, die man nicht stellen sollte. Und Antworten, die man nicht kennen möchte.“ er warf die halb gerauchte Zigarette zu Boden und trat sie aus. Zündete sich sofort eine neue an.
„Warum hat mein Name dich so schockiert?“
Catalyst tat einen tiefen Zug und stieß den Rauch durch die Nase wieder aus. „Weil er mir schon einmalig begegnet ist. Und ich sage es gern noch einmal. Lassen wir es jetzt. Oder wechseln wir das Thema, fragen wir uns gegenseitig zu unseren peinlichsten Angewohnheiten aus. Aber gewissen Fragen sollen wir unberührt lassen.“
Philipp witterte eine Chance, die so nicht wiederkommen würde. Er würde entweder erfahren, was hinter den kryptischen Andeutungen von Catalyst steckte. Oder, falls der diese Antworten verweigerte, würde er das Duell ohne große Mühe gewinnen.
„Welche Fragen sind das zum Beispiel?“
Der Mann schloss die Augen. „Zum Beispiel diese hier.“
„Okay, dann anders. Vor welcher Frage, die ich dir stellen könnte, fürchtest du dich am meisten?“ Während er die Worte aussprach, war Philipp plötzlich selbst nicht mehr sicher, ob er hören wollte, was Catalyst darauf zu sagen hatte. Ober nicht doch auf dessen Vorschlag eingehen und über peinliche dinge wie Durchfall und Nasenbohren hätte sprechen sollen.
Doch sein Gegner schwieg ohnehin. Rauchte seine Zigarette diesmal bis zum Filter hinunter. „Das war es also.“ Er stand auf. „Ich werde das Spiel verloren geben, Hannibal. Und werde meinen Einsatz einlösen müssen, das wir alles andere als erfreulich.“ Er holte tief Luft. „Ich fürchte mich vor keiner der Fragen, die du mir stellen könntest.“
An der schmerzlichen Art, wie er die Augen zusammenkniff, erkannte Philipp, dass wohl eben das gefürchtete Signal von Scandor ausgesandt worden war. Kälte. Das Ende der Hoffnung auf Reichtum, der Anfang des Höllentrips in die eigenen Albträume.
Einige Sekunden lang saß Catalyst bewegungslos da, den Mund zu einem schiefen Strich verzogen. „Ich hätte nie teilnehmen dürfen. Aber ich habe auch nicht geahnt…“
Er schüttelte den Kopf, als wollte er en Bild darauf vertreiben. „Mir graut wirklich vor dem, was mir jetzt bevorsteht. Aber es ist besser als die Alternative. Und das wäre es auch für dich. Glaube mir. Man will nicht jede Wahrheit kennen.“

Info Ursula Poznanski. Scandor, Loewe, 448 S., 19,95 Euro, ab 14

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