Das Licht – das erwarten sich die Jünger um den Drogen-Papst Timothy Leary vom „Sakrament“, wie Leary die künstliche Droge LSD nennt, die er „zu Forschungszwecken“ an seinen „inneren Kreis“ verteilt. Entdeckt hat die außergewöhnliche Wirkung von Lysergsäurediethylamid der Schweizer Albert Hofmann. Ihm widmet T.C. Boyle in seinem neuen Roman „Das Licht“ das Eingangskapitel. Und wie später lässt er eine fiktive Figur, Hofmanns jugendliche und schwärmerisch veranlage Helferin Susie von den Wirkungen der Droge erzählen. „Sie sah weder den Himmel noch die Hölle, weder Dämonen noch Gott, sondern… Farben, schillernde, leuchtende, herrliche Farben.“ Aber anders als die Protagonisten 20 Jahre später gleitet Susie umstandslos zurück in ihr Kleinbürger-Leben. Denn Dr. Hofmann ist eben kein Drogen-Guru, sondern ein nüchterner Wissenschaftler. Nicht er macht LSD zum Mythos, sondern der Psychologie-Professor Timothy Leary.
Timothy Leary verspricht Erleuchtung
20 Jahre nach der Entdeckung von LSD schart Leary einen Kreis von Anhängern um sich, denen er nicht weniger verspricht als Erleuchtung: „Psilocybin…und LSD… eröffnen einen Zugang zu Bereichen des Gehirns, von deren Existenz bisher niemand auch nur geträumt hat. Das ist der Ursprung der Religionen, der mystischen Kulte, der Mysterien von Eleusis: Sie haben Drogen genommen, das ist alles.“ Das Sakrament nennt Leary LSD fortan – und seine Jünger folgen ihm in eine schier unendliche Abfolge von Trips. Zuerst in Mexiko und dann im Zauberschloss der Drogen-Community Millbrook.
Joanie und Fitzhugh Loney sind die fiktiven Protagonisten, aus deren Sicht T.C. Boyle erzählt, wie immer höhere Dosen der Drogen, Alkoholexzesse und sexuelle Ausschweifungen Höhenflüge bescheren, die zu immer dramatischeren Abstürzen führen. Boyle lässt abwechselnd Fitz und Joanie erzählen, das Ehepaar, das mit dem Teenie-Sohn Corey aus der kleinbürgerlichen Enge voller Enthusiasmus in ein neues von Konventionen freies Leben flieht.
Flucht aus der kleinbürgerlichen Enge
Fitz ist Anfang 30, ein ehrgeiziger Stipendiat in Harvard, der an seiner Dissertation schreibt, während Joanie mit einer langweiligen Arbeit in einer Bibliothek das Geld nach hause bringt, und Corey ist ein braver Schüler an der Schwelle zum Erwachsensein. Die Aussichten für die nächsten Jahre sind nicht gerade berauschend, eine immerwährende Abfolge des Immergleichen.
Da kommt Leary ins Spiel, der charismatische Professor mit der Glücksdroge. Und die braven Loneys folgen ihm, berauscht von dem Versprechen auf Grenzen sprengende Erfahrungen und eine verschworene Gemeinschaft jenseits bürgerlicher Moral.
Vom Idyll zum Abgrund
Zwar zögert Joanie am Anfang, doch dann ist sie noch mehr als Fitz fasziniert von den fantastischen Möglichkeiten der Droge, fühlt sich nicht mehr als weibliches Anhängsel, sondern als wichtiges Mitglied der Leary-Gemeinschaft – frei und verführerisch: „Ihre Tage waren angefüllt mir Erfahrungen ganz neuer Art. Sie hatte die Natur noch nie so gesehen wie jetzt, sie hatte sich ihr noch nie so geöffnet wie Thoreau oder Siddhartha oder die Gurus… Also: Ja, es war ein Idyll. Und ja, sie war glücklicher als je zuvor. Und ja, ja, ja, sie liebte Fritz umso mehr, und Ken, Tim und Charlie ebenfalls. Ihr Liebesleben war ein Traum von Körper und Geist.“
Dass dann Fitz mehr und mehr den Boden unter den Füßen verliert, dass ihn Alkoholmissbrauch und sexuelle Obsession noch eher in den Wahn treiben als die zum Sakrament geadelte Droge, lässt Joanie den Glauben an das viel beschworene Heil im Rausch ebenso verlieren wie die Tatsache, dass Corey ihr entgleitet. Sie packt Sohn und Klamotten und kehrt zurück zu ihren Eltern, in ihr kleines Leben.
Was bleibt ist der Trip
Fitz aber muss das Scheitern bis zur Neige auskosten, muss miterleben, wie die Welt in die Abgeschiedenheit von Millbrook einbricht – mit einer Beatles-Platte und einem bunt bemalten Bus kündigt sich die Hippie-Bewegung an. Und noch immer sucht Fitz sein Heil im Rausch, ertränkt seinen Frust in Alkohol, verbrennt mit seiner Dissertation sein bisheriges Leben und verliert am Ende alles – auch den letzten Rest Würde. Was bleibt, ist die Droge und Timothy Learys grandioses Versprechen: „Sag, dass du es erlebt hast. Dass du dort gewesen bist. Dass du Gott gesehen hast,“ bettelt Fitz. Und Leary? „Scheiß auf Gott,“ sagte er. „Gehen wir auf Trip.“
„Das Licht“ ist ein echter Boyle geworden, rasant erzählt, mit Protagonisten aus Fleisch, Herz und Seele. Ein Buch über Ideale und Abgründe. Boyle verurteilt nicht, er tut das, was er so gut kann: Er schildert, was passieren kann.
Info: T.C. Boyle. Das Licht, aus dem Englischen von Dirk van Gusteren, Hanser, 380 S., 25 Euro
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