Versuch einer Wiederauferstehung

10. Januar 2022

Janine Adomeit überrascht mit einem lebensklugen und unterhaltsamen Debüt. Ein heruntergekommener Kurort, dessen Heilquelle versiegt ist, eine Handvoll mehr oder eher weniger sympathischer Bürger und ein paar junge Umweltaktivisten. Das ist der Ausgangspunkt ihres Romans „Vom Versuch einen silbernen Aal zu fangen“. Soweit so ungut.

Viele Hoffnungen

Doch dann wird bei Bauarbeiten ein Rinnsal entdeckt – mit den Eigenschaften der ehemaligen Heilquelle. Und schon schießen die Hoffnungen ins Kraut. Villrath könnte in altem Glanz wieder auferstehen, meint der etwas unseriöse Bürgermeister. Und Vera, die letzte Trägerin der Villrather Nixenkrone und trinkfreudige Wirtin der ertraglosen Kneipe „Stübchen“ denkt daran, ihren Traum von einem eigenen Frisörsalon zu verwirklichen und das Stübchen zu verkaufen.

Kauziges Personal

Zu den beiden gesellen sich noch einige kauzige Figuren: Der spießige Rentner Kamps, der sich mit einem Gewehr gegen vermeintliches Pack in Stellung bringt und seine Katzenschar lieber mag als seine Mitmenschen. Hotte, der ewige Verlierer, und seine Bärbel, die Schmalspur-Wahrsagerin. Veras Sohn Johannes, der keine Freunde hat und sich vor allem für Motorräder interessiert. Der charmante aber zwielichtige Harry, von dem Johannes die Erfüllung seiner Träume erwartet.

Auch nette Seiten

Dazu ein smarter Immobilienvertreter und ein Häufchen Umweltaktivisten, die beim Einsatz ihrer Mittel auch nicht grade Skrupel haben. So richtig sympathisch ist eigentlich niemand in diesem Örtchen, das Janine Adomeit so realistisch beschreibt. Aber irgendwie haben alle auch ihre netten Seiten. Und so verfolgt man mit viel Vergnügen den Villrather Versuch einer Wiederauferstehung.

Hineingelesen…

… in Vera und Villraths Vergangenheit

Rasch stellte sie (Vera) die Spülmaschine an, zog sich etwas über und sperrte das Stübchen hinter sich ab. Schlug den Weg über die Promenade und vorbei am verwilderten Kurpark ein, bog dann in eine der Altstadtgassen. Am Oberen Markt war alles still, leere Getränkedosen und Chipstüten lagen kreuz und quer auf dem kleinen Platz vorm Kino, Central-Lichtspiele, die Eingangstür mit Brettern vernagelt. Vor einigen Tagen hatte auch das feine Schuhhaus Schreppmann rechts daneben zugemacht, die alte Frau Schreppmann, auf hohen Hacken und mit Leichenbittermiene, hatte den Schlüssel hinter vierzig Jahren ihres Lebens abgezogen, sich dabei von der Lokalzeitung fotografieren lassen. Vor der Tür des Geschäfts standen noch die Container und etliche Müllsäcke, bereits von winzigen Zähnen aufgeschlitzt. Der Inhalt quoll heraus. Immerhin die Ratten und Füchse litten keine Not.
Na schön. Villrath hatte es lange Zeit gut gehabt. Vielleicht ein bisschen zu gut. Jahrein, jahraus Witzchen, wie lästig doch die Kurgäste sein konnten, gerade im Sommer; eine Armee in beigen Windjacken und Gesundheitsschuhen, die gefüttert und unterhalten werden wollte, während ihre Autos jeden Meter Parkfläche blockierten, ihre Dackel und Pekinesen die Gehwege vollschissen. Aber Geld hatten sie gehabt. Für Taxifahrten und Massagen. Rückenbürsten und Badesalz. Schneekugeln und Talismane. Und immer ging am Abend noch ein Bier oder ein Glas Wein, waren das Café Tango und der Gasthof Rheinperle und das Stübchen voll. Erst nach Allerheiligen atmete die Stadt auf, trauten sich die Einheimischen zurück zum Feierabendbier: Lampen-Klaus und Silke vom Sonnenstudio, die üblichen Verdächtigen vom Sägewerk und der Freiwilligen Feuerwehr. Der Friseur, ein Dicker, der Kette rauchte und Schnitzel Hawaii bestellt, dazu Cappy-O-Saft mit einem Fingerbreit Sekt. Ein höflicher Gast. Wenig Extrawünsche, viel Trinkgeld. Vera freute sich auf ihn, wenn sie, damals noch direkt von der Schule, nach Hause kam; sie ihre Tasche in den Flur warf und die grüne Schürze überzog. Wie häufig sie miteinander über ihre Swarovski-Kristalltiere gesprochen hatten, die sie auf der Fensterbank ausstellte, für die sie das magere Taschengeld herausrückte; Igel, Schwan, Delfin, ein Elefant mit zierlichem Rüssel und Schwänzchen. Doch nie fasst der Dicke eine der Figuren an, er wusste genau, wie leicht etwas kaputtging. Als sie sich schließlich ein Herz fasste und frage, sah er Vera von oben bis unten an. Wollte wissen, wie alt sie sei, ob sie zuletzt ein ordentliches Zeugnis gehabt hätte. Erst als alles unter Dach und Fach war, erzählte sie ihrer Mutter von der Lehrstelle im Salon: dass sie lieber in die Haare fremder Leute fasste, als sich im Stübchen einen Buckel zu schuften wie eine, bei der es für nichts anderes gereicht hat. Sie hatte eine Ohrfeige kassiert, aber das war es wert gewesen.

Info Janine Adomeit. Vom Versuch einen silbernen Aal zu fangen, dtv, 430 S., 22 Euro

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert