Das Schweigen des Dorfes
Rezensionen , Romane / 14. Oktober 2024

Donatella Di Pietrantonio kennt die Gegend um Pescara, von der sie in ihren Romanen erzählt. Das spürt man in jeder Zeile. Und als Kinderzahnärztin hat die Schriftstellerin viel Erfahrung mit Kindern und Jugendlichen. Auch die ist in ihren mit dem Premio Strega ausgezeichneten Roman „Die zerbrechliche Zeit“ eingeflossen. Leben im Lockdown Der Roman erzählt die Geschichte eines kleinen Ortes. Zugleich ist es die Geschichte der jugendlichen Amanda, die im Lockdown in das ungeliebte Zuhause zurückkehrt. „Mailand hat mir eine erloschene Tochter zurückgegeben“, stellt die Mutter traurig fest. Zwischen dem Schweigen Amandas und der Wortkargheit ihres Vaters versucht sich die Ich-Erzählerin Lucia in der Erklärung ihres eigenen Lebens und seiner Zerbrechlichkeit. Gesammeltes Schweigen Früh ahnt man, dass die Menschen unter dem Dente del Lupo, dem Wolfszahn, an einem Unglück leiden, das sie nie bewältigt haben. Auch Amanda hat etwas erlebt, das ihr Grundvertrauen erschüttert hat. Wie das Dorf begräbt sie das Erlebte, indem sie sich zurückzieht. Unheilvoll hängt dieses gesammelte Schweigen über dem Alltag. Lucia sorgt sich um ihre Tochter, fühlt sich ausgeschlossen: „Das geheime Leben der Kinder. Wir wissen, dass es existiert, sind aber nie darauf gefasst, es zu berühren.“ Seelenlandschaft Der Dente del Lupo in den Abruzzen mit dem…

Ein neuer Hiob
Rezensionen , Romane / 15. September 2021

„Du bist wirklich ein Kolibri“, schreibt die Freundin aus Kindertagen dem Augenarzt Marco Carrera. „Du bist ein Kolibri, weil Du wie die Kolibris, deine ganze Energie dafür verwendest auf der Stelle zu bleiben. Siebzig Flügelschläge in der Sekunde, um zu bleiben, wo Du bereits bist. Du bist großartig darin. Du schaffst es, in der Welt und in der Zeit anzuhalten. Du schafft es, die Welt und die Zeit um Dich herum anzuhalten, und manchmal schaffst Du es sogar, in der Zeit zurückzugehen, um die verlorene Zeit wiederzufinden, so wie der Kolibri fähig ist, rückwärts zu fliegen.“ „Der Kolibri“ heißt denn auch Sandro Veronesis neuer Roman über drei Generationen Familiengeschichte, für den der Italiener den renommierten Premio Strega erhielt. Unbarmherziges Schicksal Doch diese Generationengeschichte muss aus vielen Splittern zusammengesetzt werden, aus Briefen, Rückblenden, Gesprächen, Gedichten, philosophischen Abhandlungen. So erfährt man, dass Marco als Jugendlicher kleinwüchsig war und nur durch ärztliche Behandlung ein normales Wachstum erfuhr. Auch daher rührt der Name Kolibri. Dieser Kolibri wird im Lauf des Romans immer mehr zu einer Art neuem Hiob. So sehr er sich auch bemüht, das Schicksal schlägt immer wieder unbarmherzig zu. Wobei es auch positive Momente gibt – als der junge Carrera durch einen…