Es gehört viel Mut dazu, sich als bekannte Schauspielerin vor der Öffentlichkeit so zu entblößen. Andrea Sawatzki wagt mit ihrem Buch „Brunnenstraße“ einen schmerzhaft ehrlichen Rückblick auf ihre problematische Kindheit mit einem dementen Vater. Träume von einem neuen Leben Der Chefredakteur Günther Sawatzki hat seine Geliebte und das gemeinsame Kind, Andrea, erst nach dem Tod seiner Frau zu sich genommen. Für die achtjährige Andrea anfangs die Erfüllung eines Traums: „Ich hätte meinen Vater gegen keinen anderen der Väter, die ich kannte, eintauschen mögen. Ich war stolz auf ihn.“ Auch die Mutter, die ihrer rebellischen Tochter viele Freiheiten gegönnt hatte, träumt von einem angepasst großbürgerlichen Familienleben an der Seite des verehrten Geliebten. Ein Vater zum Hassen Man zieht nach Bayern, Andrea bekommt zum ersten Mal ein eigenes Zimmer, die Mutter eine Wohnzimmergarnitur, der Vater eine Bibliothek. Doch die Träume von Mutter und Tochter zerplatzen wie eine Seifenblase, als die offensichtlich schon länger latente Alzheimer-Erkrankung Günther Sawatzkis offen ausbricht. Er war nie ein Vater zum Liebhaben, jetzt wird er ein Vater zum Hassen. „Je größer die Liebe, desto größer der Hass“, schreibt Andrea Sawatzki in ihrem Rückblick. „Bei mir war das der Fall. Ich hatte eine Liebe für meinen Vater in mir…
„Unser Glück“ heißt der Roman von Natalie Buchholz, und er erzählt vom Scheitern dieses Glücks. Coordt und Franziska sind eigentlich ein glückliches Paar, und als der kleine Frieder noch dazu kommt, könnte alles perfekt sein. Doch es gibt immer etwas, was nicht so recht passt. Für die kleine Familie ist die Wohnung in Giesing zu klein geworden. Da kommt das Angebot einer großzügigen, ja luxuriösen Wohnung in einem Nobelviertel gerade recht, zumal die Miete eher moderat ist. Doch das Ganze hat einen Haken: Sie müssen einen Mitbewohner akzeptieren, den sie nicht kennen. Das Glück kehrt zurück Coordt, dessen Perspektive Natalie Bucholz sich zu eigen macht, ist skeptisch. Doch Franziska ist von der neuen Wohnung so begeistert, dass sich das Paar auf das Experiment einlässt. Und tatsächlich scheint mit dem Einzug in die neue Wohnung das schon länger vermisste Glück wieder zurück in der jungen Familie. Franziska lebt in der noblen Umgebung auf, findet in der Goldschmiedin Majtken eine bewunderte Freundin. Der Mitbewohner als Brandbeschleuniger Nur Coordt macht der unbekannte Mitbewohner zu schaffen. Zu Recht, wie sich bald herausstellen sollte. Denn der Mann begnügt sich nicht mit einem Geister-Dasein, er dringt in das Privatleben der Mieter ein, ja beraubt Coordt seiner…
Andreas Altmann hat viel erlebt in seinem Leben – und viel geschrieben. Wunderbare Reportagen aus aller Welt, kritisch, lebensprall. Denn dieser Reporter war immer mit vollem Einsatz unterwegs – und mit offenen Augen und einem offenen Herzen. Das zeigt die Reportagen-Sammlung „Bloßes Leben“, in der Altmann noch einmal vorführt, wofür er gelobt und bewundert wurde. Der Titel „Bloßes Leben“ verweist auf die Endlichkeit aller materiellen Güter, auf das Existentielle. Vergangene Zeiten Und sollte doch auch zeigen, dass viel Zeit über manche dieser Reportagen hinweg gegangen ist. Längst hat sich die Volksrepublik das aufmüpfige Hongkong radikal einverleibt, hat so mancher Held der Reportagen das Zeitliche gesegnet. Und doch lohnt sich die Lektüre, denn Andreas Altmann versteht es wie nur wenige, die Lesenden hineinzusaugen in seine Abenteuer, sie unmittelbar mit seinen Erlebnissen zu konfrontieren. Mittendrin im Reporterleben Da findet man sich mitten in der lebensgefährlichen Wallfahrt zum Penis aus Eis im Himalaya oder taucht ein in eine von Kairos „Städte der Toten“, einem Friedhof, der dabei hilft, „etwas vom Leben und Sterben der Menschen“ zu lernen. Dieser Reporter muss nichts erfinden, um spannende Reportagen zu schreiben. Seine Neugier treibt ihn an, er schreckt vor nichts zurück, nicht vor Krankheit, schon gar nicht…
Es ist ein Kosmos der Abgehängten, den Angelika Klüssendorf in ihrem Roman „Vierunddreißigster September“ schildert. Ihr Zuhause ist ein ödes Kaff in der ehemaligen DDR, grau und trostlos wie die Menschen, die es bevölkern: Der Säufer Heinrich, der einbeinige Hans, die dicken Hubert, Bipolarchen, Eisenalex, die Transfrau Gabriela, die Schriftstellerin und ihr Trommler, das Rollschuhmädchen und natürlich auch Hilde und Walter. Das Paar, mit dem alles beginnt. Rätselhafter Totschlag Ein Paukenschlag: In der Silvesternacht schlägt Hilde ihrem an einem Gehirntumor erkrankten Ehemann den Schädel ein. Danach geht sie tanzen und verschwindet spurlos, während Walter als Toter auf sein Leben schaut – und das des Dorfes. Warum Hilde ihn erschlagen hat, nachdem der Tumor den Wütenden zu einem ruhigen Mann gemacht hatte? Er wird es nie erfahren. Auch nicht, wo Hilde abgeblieben ist. Nur, dass sie Gedichte schrieb auf Tschuktisch, die er mühsam zu entziffern sucht. Existentielle Fragen „Die Hölle wäre zu wissen wer du wirklich warst“, bescheidet ihn der philosophierende Dr. Freud. „Warum wird man überhaupt geboren?“ fragt einer der Dorfbewohner den anderen. „Für welche Idee würdest du sterben?“ Der andere zuckt die Achseln. Angelika Klüssendorf stellt die existentiellen Fragen, doch die Antworten bergen keinen Trost, sind von einer bestürzenden…
Die wenigsten Österreicher wissen, dass im ersten und zweiten Weltkrieg im niederösterreichischen Hirtenberg die größte Munitionsfabrik Mitteleuropas stand. In ihrem Roman „Was bei uns bleibt“ holt die Wienerin Didi Drobna die Fabrik und ihre Geschichte aus der Vergessenheit. Noch Ende 1944 hatten die Nationalsozialisten hier das „KZ-Außenlager Hirtenberg“ errichtet und die rund 400 Zwangsarbeiterinnen in der Patronen-Produktion eingesetzt. Folgenschwerer Irrtum Klara freilich, die Protagonistin des Romans, hat sich freiwillig zu der gefährlichen Arbeit gemeldet, die sie mit rund 3000 anderen Frauen teilt. Trotz vieler Erschwernisse ist die junge Frau anfangs stolz auf ihre das Reich stützende Arbeit. Erst als die Frauen aus dem Außenlager hinzukommen und die Aufseher immer brutaler agieren, wird ihr klar, dass sie einem Irrtum aufgesessen war: „Wir dachten, wir wären wichtig. Aber das waren wir nicht. Wir waren austauschbar.“ Als das Ende der Fabrik droht und das Lager aufgelöst wird, fasst Klara einen folgenschweren Entschluss… Unterschiedliche Perspektiven Didi Drobna lässt in ihrem mehrstimmigen Roman nicht nur die junge Klara zu Wort kommen, sondern auch die inzwischen 84 Jahre alte Klara, die mit ihrem erwachsenen Enkel Luis zusammenlebt. In den Chor der Erzählstimmen reihen sich neben Luis auch der Nachbar Horst mit ein und seine Tochter Dora,…
Kanada öffnet sich wieder für Touristen. Da werden Reiseträume wahr. Doch wie bereist man dieses weite Land am besten? Allein, um mit dem Auto vom Atlantik bis an den Pazifik zu kommen, braucht man schon zwei Wochen. Da ist es besser, vorher zu wissen, wohin man will. Wo ist es am schönsten? An den Niagara Fällen oder in den Rockies, am Eismeer oder an einem der großen Seen? Im französischsprachigen Quebec oder in Vancouver, der Stadt mit der höchsten Lebensqualität der Welt? First Nations, Goldgräber und Einwanderer Sonya Winterberg zeigt in ihrem Buch „Gebrauchsanleitung für Kanada“, wo man am gleichen Tag im Meer baden und auf dem Berg Skifahren kann, sie erzählt von den Problemen der First Nations, dem Erbe der Goldgräber und schwierigen deutschen Einwanderern und macht klar, warum Kanada für sie trotzdem das freundlichste Land der Welt ist. Auf einer Reise quer durch Kanada lässt Winterberg die Lesenden teilhaben an ihren Erfahrungen und Vorlieben. Kurze Geschichte des Hummers So erfährt man, dass die Kanadier zum hippen Toronto ein ähnlich gespaltenes Verhältnis haben wie die Österreicher zu Wien oder die Deutschen zu Berlin, während die Hauptstadt Ottawa ein beliebtes Ausbildungs- und Kulturzentrum ist. Dass die Kanadische Küche „das Beste…
Nicola Förg hat sich als Krimi-Autorin einen gewissen Ruf erschrieben. Dabei gerät leicht in Vergessenheit, dass die Autorin auch eine engagierte Tierfreundin ist. In ihrem neuen Roman, der überraschenderweise kein Krimi ist, kann man das nicht überlesen. Hintertristerweiher ist ein Familienroman geworden, der sich über 80 Jahre erstreckt und an den unterschiedlichsten Orten spielt und auch von einer großen, unerfüllten Liebe erzählt. Ein Tod und ein großes Erbe Am Anfang steht ein Tod: Die Französin Isabelle hat sich für den Freitod in der Schweiz entschieden und hinterlässt ihrer Nichte Aurelie ein großes Erbe. Doch es gibt eine Bedingung: Um das ganze Erbe zu bekommen – auch die Latifundien am Meer in Frankreich -, muss Aurelie ein Jahr lang den Tiergnadenhof und die dazu gehörige Seegaststätte am Hintertristerweiher weiterführen. Eine Zumutung, findet Aurelies Ehemann Eike, bis er erfährt, wie groß das Erbe wirklich ist und seine Frau dazu drängt, es doch anzunehmen. Das kann nicht gut gehen… Die Toten erzählen Geschichte Doch in dem Roman geht es nicht nur um die Lebenden, auch die Toten erzählen Geschichte, vom Weltkrieg, von Kriegsgefangenen, dem Holocaust – und einer Liebe in gefährlichen Zeiten. Förg wechselt die Zeitebenen wie die Plätze springt vor und zurück…
Sofia Lundberg erzählt gern von zwischenmenschlichen Beziehungen, von Freundschaft, Liebe, Verbundenheit. Das gilt auch für den dritten Roman der schwedischen Journalistin „Der Weg nach Hause“. Viola und Lilly sind beste Freundinnen, sie wachsen in enger Nachbarschaft auf und sind bis in die späten Teenager-Jahre unzertrennlich. Das verwöhnte Einzelkind Viola und Lilly aus einer armen aber stolzen Großfamilie ergänzen sich gegenseitig. Symbolträchtiges Datum Als Lillys Mutter bei der Geburt des kleinen Sture stirbt, ist es Viola, die Lilly Halt gibt. Den Todestag der Mutter und den Geburtstag des Bruders begehen die beiden Mädchen jahrelang gemeinsam. Das Datum begleitet auch durch die Kapitel des Buches. Doch alles andere ändert sich. Lillys Bruder Alvin wird für Viola bald mehr als ein großer Bruder. Lilly verstrickt sich in eine Affäre mit einem verheirateten Mann und muss wegen illegalen Schnapsbrennens ins Gefängnis. Karriere als Sängerin Ihre Zukunft sieht düster aus, doch dann macht sie dank ihre Stimme Karriere als Sängerin, wird weltweit gefeiert – und scheint Viola und ihre Freundschaft vergessen zu haben. Bis Viola, inzwischen Witwe und Urgroßmutter, einen Anruf aus Paris bekommt. Von Lilly, die sich verabschieden will. Die alte Viola macht sich samt Tochter, Adoptivtochter und Enkelin auf den Weg, um die…
Was kann Heimat für einen Weltreisenden wie Andreas Altmann sein? Ein paar Erklärungsversuche des Autors: „Mein Hauptwohnsitz ist die deutsche Sprache, nebenbei wohne ich in Paris.“ „Sprache als Heimat, gefährliche Heimat, allerschönste Heimat.“ „Freunde sind Heimat.“ „Heimat ist ein wunderschönes Wort. Wie warm es schwingt.“ „Selbstverständlich ist eine Frau Heimat.“ „So eine spirituelle Heimat (im Zen-Kloster) gefiel mir, sie war unsentimental und melancholisch, frei von Vergötzung.“ „Mein Körper, meine Heimat.“ „Der Mensch braucht Menschen als Heimat.“ Ein schwieriger Begriff Man sieht, selbst ein redegewandter Globetrotter wie Altmann tut sich nicht leicht mit dem Begriff, auch wenn er so schön warm schwingt. Und doch ist der Autor überzeugt davon, dass er der Richtige für diese „Gebrauchsanweisung für Heimat“ ist: „Dass dieses Buch ein Heimatloser schreibt, ist eine gute Idee. Sagen wir, er hat seine ‚natürliche‘ Heimat verloren, nein, er hat sie verlassen. Im Laufschritt, fluchend, unter Tränen der Freude, unter Tränen frisch bezogener Prügel.“ Typischer Altmann- Sound Sein Geburtsort Altötting ist für Altmann alles andere als Heimat, dieser bayerische Wallfahrtsort ist für ihn Erinnerung an die Schrecken seiner Kindheit in einem bigotten Elternhaus. Also musste er sich eine andere Heimat suchen, und er fand sie in der Welt. Darüber schreibt er…
In Joel Dickers neuem Roman „Das Geheimnis von Zimmer 622“ geht‘s drunter und drüber. Auch wenn der Titel erstmal gar nicht so aufregend klingt, die Auftritte der oft undurchschaubaren Charaktere sind so turbulent, ihre Motive so rätselhaft, dass selbst der Autor zwischendurch die Übersicht zu verlieren scheint. Als Autor im Roman Dabei hat er sich auch noch selbst in den Roman geschrieben – in einer Rahmenhandlung, in der auch sein verstorbener Förderer und Verleger auftaucht. Und eine schöne Frau, die ihn bei der Konzeption des neuen Romans antreibt und unterstützt. Dass sie sich am Ende des Buches als Chimäre entpuppt, verwundert nicht mehr. Denn auch im Roman ist kaum etwas, wie es scheint. Nicht einmal auf die Personen selbst ist Verlass. Ein Opfer und viele Verdächtige Es ist deshalb für den Autor die reinste Sisyphos-Aufgabe, das Geheimnis von Zimmer 622 zu lüften. Dass in diesem Zimmer im noblen Hotel Palace de Verbier eine Leiche gefunden wurde, wird schnell klar. Nur wer das Opfer ist, bleibt lange im Dunkeln. Und fast bis zum Schluss kann man höchstens ahnen, wer die Tat begangen hat. Zu viele geraten in den Verdacht, von dem Mord zu profitieren. Dreiecksgeschichte im Bankenmilieu Der ganze Roman spielt…