„Meine Funktion war sehr einfach: Leiche rein, Asche raus, Knochenreste im Kremulator zermahlen.“ Der da spricht ist Pjotr Nesterenko, Gründer und Leiter des Moskauer Krematoriums, und als Ich-Erzähler in Sasha Filipenkos Roman Kremulator genannt. Der belarussische Autor siedelt seinen gleichnamigen Roman in der Zeit der stalinistischen Säuberungen an. Nesterenko wird der Spionage für eine feindliche Macht beschuldigt und ausführlichen Verhören unterzogen. Er muss wohl mit der Todesstrafe rechnen. Trotzdem verlaufen die Verhöre „nicht frei von Komik“, wie der Angeklagte notiert. Bühne für persönliche Rückschau Ganz unschuldig daran ist Nesterenko daran nicht. Er nutzt die Verhöre auch als Bühne für seine ganz persönliche Rückschau. Denn der Mann war nicht nur der Gründer des Moskauer Krematoriums, er stammt aus altem Adel, hat für die Weißrussen gekämpft, war in Kiew, ist in Paris Taxi gefahren, arbeitete in Istanbul und in Serbien. Kurz, er hat so einiges aus der Welt außerhalb der großen Sowejetunion mitgekriegt. Geschichte einer großen Liebe Diese Weltläufigkeit imponiert dem jungen Ermittler Perepeliza und macht ihn doppelt misstrauisch. Was zum Teufel hat diesen Nesterenko dazu getrieben, von einem Ort zum anderen zu reisen, von einem Job zum anderen zu wechseln? Perepeliza ahnt nichts von der großen Liebe, die den Angeklagten seit…
„Ich schreibe, um hörbar zu machen, in Sprache zu übersetzen, was gemeinhin nicht gesprochen wird, nicht sprechbar scheint.“ Ulrike Draesner ist Lyrikerin, Romanautorin, Essayistin und Übersetzerin. Auch in ihrem neuen Roman „Die Verwandelten“ überschreitet sie die Grenze zwischen Prosa und Lyrik, zwischen Ländern und Sprachen und versucht, Unbegreifliches in Worte zu kleiden, Unaussprechliches zu skizzieren. Gewalt gegen Frauen Die Verwandelten sind allesamt Frauen, traumatisiert von Krieg- und Nachkriegserfahrungen. Ulrike Draesner schreibt von Gewalt gegen Frauen als Mittel zur Unterwerfung und darüber, was diese Gewalt mit den Frauen macht, wie sie sie für immer verwandelt. Als Russland seinen Krieg gegen die Ukraine begann, konnte Draesner, sagte sie in einem Interview, kaum weiterschreiben. „Viel zu gut konnte ich mir vorstellen, welche Arten von Gewalt nun erneut in Gang gesetzt worden waren.“ Interviews und Erinnerungen Das Material zu ihrem oft schwer verdaulichen aber umso beeindruckenderen Roman hat sie über Interviews und Zeitzeugenerzählungen gesammelt und in Fiktion verwandelt. Es geht ihr um „das weibliche Gesicht des Krieges innerhalb der Zivilbevölkerung“. Dabei springt sie zwischen den Zeiten und Perspektiven, was den Lesenden ein hohes Maß an Aufmerksamkeit abverlangt. Um die Frauen von Anfang an einordnen zu können, lohnt sich ein Blick auf das Figurenverzeichnis im…