Weltschatten: Am Abgrund
Rezensionen / 4. Oktober 2016

„In dem Augenblick, in dem du eine Idee in das trübe Wasser dieser Welt tauchst, wird sie, so phantastisch sie auch sein mag, besudelt.“ Von dieser Besudelung großer Ideen erzählt der Israeli Nir Baram in seinem ambitionierten Roman „Weltschatten“. Es geht um das große Ganze: die Auswüchse der Globalisierung, darum, wie alles zusammenhängt, um die unheilvollen Verflechtungen von Wirtschaft und Politik – und um das Ende der Ideale. Baram erzählt seine komplexe Geschichte aus unterschiedlichen Blickwinkeln und in drei Erzählebenen. Früher rabiat und rebellisch, später erfolgreich und korrupt Per E-Mail-Verkehr lässt er etablierte und längst korrumpierte Mitarbeiter einer weltweit agierenden Beraterfirma zu Wort kommen; in der dritten Person erzählt er von einem naiven Israeli, der in die Fallen des Großkapitals stolpert und im Kokon der Wohlhabenheit charakterlich verwahrlost. Und dann ist da noch ein namenloser Ich-Erzähler, der sich mit einer Gruppe von jungen Chaoten zusammengetan hat, die einen weltweiten Streik organisieren wollen. Rabiat und rebellisch wie sie waren früher einmal auch die Berater, doch die Saturiertheit hat sie blind gemacht für alles, was außerhalb ihrer Geschäfte liegt, auch für die Menschlichkeit – bis auf einen, der zum Whistleblower wird. Da ahnt man schon, wie die einzelnen Bauteile sich zu einem…

Norbert Gstrein: Jenseits der Gemütsbesoffenheit
Rezensionen / 18. März 2016

Es fängt schon damit an, dass er am Anfang etwas klarstellt und damit erst recht neugierig macht: „Manches von dem Folgenden ist wirklich geschehen,“ schreibt der Österreicher Norbert Gstrein („Das Handwerk des Tötens“, „Eine Ahnung vom Anfang“) noch bevor sein Roman „In der freien Welt“ über den Nahost-Konflikt anfängt: „Aber ich bin nicht ich, er ist nicht er, sie ist nicht sie, die alte Geschichte.“ Stimmt das, will man sofort wissen und vergleicht die Lebensdaten des Autors mit seinem fiktiven Ich-Erzähler Hugo, einem österreichischen Autor. Da gibt es viele Parallelen, aber die sind wohl weniger wichtig für das Verständnis dieses ambitionierten Romans als Hugos Freund John, der jüdische Schriftsteller, der sich selbst als „Muskeljude“ bezeichnet und der in San Francisco erschossen wird. Hugo macht sich auf eine globale Spurensuche und nimmt die Leser mit auf die Reise – von San Francisco und New York nach Alaska und Tel Aviv, nach Jerusalem und ins Westjordanland, ins KZ Mauthausen und ins Salzkammergut. Er will die Wahrheit über den Tod des Freundes wissen und kommt ihm doch nicht wirklich näher. Im Gegenteil. Rätselhafte Zwillings-Metaphern Wie Hugo zwischen den Fronten des Nahost-Konflikts mäandert, scheint sein Bild von John zwischen hell und dunkel zu schwanken….