Kuscheln mit Schimpansen
Allgemein / 24. Januar 2021

Ein Schimpanse als Lebensgefährte? „Tiere sind auch nur Menschen“, heißt es eher scherzhaft. Doch wie menschlich sind Tiere wirklich? Der amerikanische Erfolgsautor T.C. Boyle („Wassermusik“, „Amerika“, „Die Terranauten“) geht in seinem neuesten Roman „Sprich mit mir“  der Frage nach, ob Tiere uns nicht ähnlicher sind als wir denken. Zum Beispiel Affen. Der Schimpanse als Kleinkind Sam, der Schimpanse, den Professor Guy Schemerhorn in eine TV-Show bringt, kann in der Gebärdensprache nicht nur einen Cheeseburger bestellen, sondern auch seinen Namen sagen. Wie ein Kleinkind wird er von Wissenschaftlern umsorgt, trägt anfangs Windeln und Latzhose und isst mit  am Tisch. Vor allem für Frauen entwickelt Sam ein besonderes Faible. Doch zu keiner fühlt er sich so hingezogen wie zu der schüchternen Studentin Aimee. Ende einer Menage à trois Die beiden entwickeln eine eine einzigartige Beziehung zu einander, in die anfangs auch der Professor eingebunden ist. Dass er und Aimée ein Liebespaar werden, verfolgt Sam mit der Eifersucht eines Liebhabers. Es ist eine verrückte aber glückliche Menage à trois, bis Guys Mentor das Projekt Sam abbricht und den Schimpansen zurückholt – in einen Laborstall mit anderen Affen. Während Guy resigniert aufgibt, wird Aimée zur Rebellin. Sie reist Sam nach und verdingt sich als…

Die Fuggerei in allen Facetten
Rezensionen / 22. Dezember 2020

2021 im Sommer könnte die Fuggerei in Augsburg 500. Geburtstag feiern. Ob es zum Jubiläum eine große Feier gibt, hängt von Corona ab. Aber schon jetzt kann man sich in die Geschichte der ältesten Sozialsiedlung der Welt vertiefen. Das kenntnisreich geschriebene und ausführlich bebilderte Buch „Die Fuggerei“ öffnet nicht nur die Türen zu den Stiftern, sondern auch zu heutigen Bewohnern. 500 Jahre Verpflichtung für die Familie Fugger „Auf ewig mit der Vollstreckung“ seiner 1521 gegründeten Sozialsiedlung verpflichtete Jakob Fugger seine Nachfahren. Und dieser Verpflichtung kommen die Fuggers auch nach 500 Jahren nach. In fünf Jahrhunderten haben bedürftige Menschen in der Fuggerei ein Dach über dem Kopf gefunden – auch nach den Zerstörungen im 2. Weltkrieg. Im Buch erfährt man, was den reichen Global Player und genialen Strategen Jakob Fugger zu seiner Stiftung bewogen hat und warum die Fuggerei-Bewohner bis heute drei Gebete für den Wohltäter und seine Familie sprechen sollen. Man erfährt auch, wie die Architektur dieser heutigen Puppenstuben-Idylle einzuordnen ist: Im Grundriss schließe sie sich an den Kleinhaustyp spätmittelalterlicher Handwerkshäuser an. Ehrenhafte Arme und 88 Cent Miete „Ehrenhafte Arme“ hatte Jakob Fugger für seine Sozialsiedlung im Sinn, die sich bis heute als Stadt in der Stadt gehalten hat -noch…

Wiedersehen mit Nero Corleone
Allgemein / 25. November 2020

Ach, wie habe ich diesen Kater geliebt: Elke Heidenreichs Nero Corleone ist mir ans Herz gewachsen als wäre es mein eigener. Ja, auch unser Mikesch war ein Streuner gewesen, ein schöner grauer Tiger mit einer ganz eigenen Persönlichkeit, der uns per Zufall ins Haus geschneit war. Die Söhne waren allesamt hin und weg über den vierbeinigen Familienzuwachs und mutierten über Nacht zu Katzenfans. Hinauswurf aus Neros Katerwelt Und dann habe ich dieses Buch entdeckt – Nero Corleone mit Bildern von Quint Buchholz. Wir haben es alle gelesen, dem Jüngsten habe ich es vorgelesen – und alle, auch der Vater, waren hingerissen. Nero hat uns verzaubert – und das „Aus“ im Buch erschien uns wie ein Hinauswurf aus Neros Kater-Welt. Wir aber wollten ihn gar nicht loslassen, haben das Buch wieder und wieder gelesen. Und der Jüngste hat sich angeeignet – und später auch mitgenommen in die eigene Wohnung in Berlin, in der jetzt auch Katzen leben. Willkommene Rückkehr Als Elke Heidenreich ihren Nero dann zurückkehren ließ, da hießen wir ihn so herzlich willkommen wie die Isolde im Buch. Auch die Söhne, die schon (fast) erwachsen waren. Wieder machte das Buch die Runde und wieder war es der Jüngste, der es…

T.C. Boyle: Abgründe und Visionen
Rezensionen / 15. Februar 2020

Die Zukunft hat schon begonnen – irgendwann, irgendwie – in diesen Kurzgeschichten von T.C. Boyle. Der Meister der Short Story braucht nur wenige Sätze, um eine beklemmende Atmosphäre zu schaffen, zu zeigen, wie ohnmächtig wir Menschen der Natur gegenüber sind. „Sind wir nicht Menschen“ ist der Titel dieses Sammelbandes, dem der Amerikaner ein Zitat von Lord Byron voranstellt: „Den Menschen lieb‘ ich, mehr noch die Natur“. Ameisenplage und Wassermangel Und diese Natur ist nicht immer menschenfreundlich, schon gar nicht zu Zeiten des Klimawandels. Eine Ameisenplage verdirbt einer jungen Familie die Freude am neuen Haus: „Sie waren überall, diese Ameisen, sie brachen sich in winzigen Wellen an unseren Sandalen, krochen in die Zehenzwischenräume und krabbelten, sobald wir unseren Sohn berührten, in rasender Geschwindigkeit an unseren Händen und Armen hinauf.“ Jahrelange Dürre lässt auch die Liebe eines Paares verdorren: „Wir stritten endlos über die banalsten Kleinigkeiten – wer das letzte saubere Handtuch genommen hatte oder wer das Spülwasser nutzlos in den Abfluss hatte laufen lassen.“ Wiedererleben statt leben T. C. Boyle ist ein genauer Beobachter, ein hellsichtiger Zeitgenosse und ein grandioser Erzähler. Die über Jahrhunderte unterjochte Natur schlägt zurück – in Gestalt eines Tigers, der im Zoo aus seinem Käfig ausbricht. Und…

Jostein Gaarder: Vor dem Sterben
Rezensionen / 14. August 2019

Der Roman „Sophie‘s Welt“ hat den ehemaligen Philosophielehrer Jostein Gaarder weltberühmt gemacht. In dem Buch erzählt der Norweger auf leicht verständliche Weise die Geschichte der Philosophie und ihrer großen Denker. Seither widmet sich Gaarder Romanen mit doppeltem Boden wie „Das Kartengeheimnis“ oder „Das Orangenmädchen“. Auch das letzte Buch des inzwischen 67-Jährigen ist eher eine philosophische Betrachtung als ein Roman, das Gleichnis eines Lebens: „Nichts an meiner Situation ist einzigartig, im Gegenteil. Ich bin nur einer von uns, und in dieser Rolle werde ich heute Abend und heute Nacht hier sitzen und schreiben.“ Grausame Diagnose In „Genau richtig. Die kurze Geschichte einer langen Nacht“ blickt der Lehrer Albert, der gerade erfahren hat, dass er nicht mehr lange zu leben hat, schreibend auf sein Leben zurück. Er ist ins „Märchenhaus“ zurückgekehrt, ins heiß geliebte Ferienhaus der Familie, in dem er und seine Frau Eirin ihre erste Liebesnacht verbrachten – als Einbrecher. Jetzt ist Eirin auf Dienstreise in Australien und Albert muss allein mit der grausamen Diagnose zurecht kommen, mit der die Hausärztin Marianne ihn konfrontiert hat. Ausgerechnet Marianne, die Frau, die er wegen Eirin verlassen und mit der er später seine Frau betrogen hat. Blick zurück in Liebe Albert erinnert sich daran,…

Rafik Schami und der Kardinal in Olivenöl
Rezensionen / 2. August 2019

Ein Fass mit der in Olivenöl eingelegten Leiche eines von Rom nach Syrien entsandten Kardinals wird bei der italienischen Botschaft in Damaskus abgeliefert. Wer hat den geistlichen Würdenträger ermordet? Und was hatte er in Syrien zu suchen? Das soll Kommissar Barudi, der kurz vor der Pensionierung steht, herausfinden. Das Plot klingt nach Krimi, doch der Autor Rafik Schami ist ein enthusiastischer Erzähler. Und so ist „Die geheime Mission des Kardinals“, die am Vorabend des Bürgerkriegs in Syrien spielt, weit mehr als ein üblicher Kriminalroman. Syrien am Rande des Zusammenbruchs Sie ist auch und vor allem ein Porträt der syrischen Gesellschaft am Rande des Zusammenbruchs. Denn Barudi bekommt es bei seinen Ermittlungen mit korrupten Geistlichen ebenso zu tun wie mit dem allgegenwärtigen Geheimdienst, der auch das Polizeipräsidium verwanzt hat, und hinter dem – natürlich – der allgegenwärtige Präsident steht: „Es ist seltsam, dachte Barudi, man macht das Radio an und hört den Präsidenten, man macht den Fernsehen an und sieht den Präsidenten, und wenn man alles ausschaltet, um in den Himmel zu sehen, dann zieht ein kleines Flugzeug einen dreißig Meter langen Spruch des Präsidenten durch die Luft. Die Titelseiten der Zeitungen und Zeitschriften klatschen dem Leser dessen grinsendes Bild ins…

Wenn das Licht erlischt
Allgemein / 17. Februar 2019

Das Licht – das erwarten sich die Jünger um den Drogen-Papst Timothy Leary vom „Sakrament“, wie Leary die künstliche Droge LSD nennt, die er „zu Forschungszwecken“ an seinen „inneren Kreis“ verteilt. Entdeckt hat die außergewöhnliche Wirkung von Lysergsäurediethylamid der Schweizer Albert Hofmann. Ihm widmet T.C. Boyle in seinem neuen Roman „Das Licht“ das Eingangskapitel. Und wie später lässt er eine fiktive Figur, Hofmanns jugendliche und schwärmerisch veranlage Helferin Susie von den Wirkungen der Droge erzählen. „Sie sah weder den Himmel noch die Hölle, weder Dämonen noch Gott, sondern… Farben, schillernde, leuchtende, herrliche Farben.“ Aber anders als die Protagonisten 20 Jahre später gleitet Susie umstandslos zurück in ihr Kleinbürger-Leben. Denn Dr. Hofmann ist eben kein Drogen-Guru, sondern ein nüchterner Wissenschaftler. Nicht er macht LSD zum Mythos, sondern der Psychologie-Professor  Timothy Leary. Timothy Leary verspricht Erleuchtung 20 Jahre nach der Entdeckung von LSD schart Leary einen Kreis von Anhängern um sich, denen er nicht weniger verspricht als Erleuchtung: „Psilocybin…und LSD… eröffnen einen Zugang zu Bereichen des Gehirns, von deren Existenz bisher niemand auch nur geträumt hat. Das ist der Ursprung der Religionen, der mystischen Kulte, der Mysterien von Eleusis: Sie haben Drogen genommen, das ist alles.“ Das Sakrament nennt Leary LSD fortan –…

Gut gemeint
Allgemein / 2. Mai 2018

„Jetzt rüsten alle wieder auf. Die Nationale Alternative will ein neues Bündnis mit Russland. Und die europäische Währung, der Euro, der ist in Deutschland, wie fast überall wieder Geschichte.“ Ganz so abwegig ist die Ausgangshandlung in Martin Schäubles Dystopie „Endland“ nicht. Längst sind Dinge wieder vorstellbar, die Jahrzehnte tabu waren. Insofern ist dieser Jugendroman über die Flüchtlingsproblematik von beklemmender Aktualität. Zwei gegensätzliche Perspektiven  Der Politikwissenschaftler Schäuble erzählt aus zwei Perspektiven: Da ist Fana, die junge Äthiopierin, die in Deutschland ihr ehrgeiziges Ziel, Medizin zu studieren, erreichen will. In ihrer Heimat hätte sie dazu keine Chance.  Auf der anderen Seite stehen die zwei Bundeswehrsoldaten Noah und Anton, die an der Grenze zwischen Deutschland und Polen stationiert sind. Während Noah regimekritisch die Ausrichtung der neuen Politik nicht nur hinterfragt sondern auch torpediert, steht Anton treu zur nationalistischen Regierung. Ein perfider Plan wird vereitelt Und dann wird ausgerechnet er ausgewählt, als Flüchtling getarnt in einer Auffangstation Unruhe zu stiften und ein Attentat zu verüben.  Doch Fana und Noah machen den perfiden Planern einen Strich durch die Rechnung – und Anton zum Dissidenten. Soweit so gut und durchaus auch spannend, wenn auch – glücklicherweise – (noch) fern er aktuellen Realität. Zu wenig  Grautöne  Was…

Ein Neuanfang ist möglich
Rezensionen / 13. Mai 2017

Ein Mann muss seinen Hund einschläfern lassen und lernt seine Frau, der er sich über die Zeit entfremdet hat, von einer neuen Seite kennen. Eine junge Frau verliert ihre Tasche mit fremdem Geld und macht sich auf die Suche nach dem seltsamen Finder. Ein junger Mann kommt über seine extravaganten Nachbarn der Öde des eigenen Lebens auf die Spur und der Möglichkeit einer Änderung. „Ab morgen wird alles anders“ heißt die neue Sammlung von fünf Erzählungen im ganz eigenen Gavalda-Sound. Wer ändert schon sein Leben mittendrin? Ach, wie oft hat man das selbst schon gedacht – folgenlos. Wer ändert schon sein Leben, mittendrin und ganz ohne Anlass? Anna Gavaldas Protagonisten finden einen Anlass, und sie tun das, was wir uns oft wünschen: Sie brechen noch einmal auf. Das junge Mädchen erkennt nach dem Verlust ihrer Tasche die Oberflächlichkeit ihres Daseins, die Lächerlichkeit ihrer Sehnsüchte. Der merkwürdige Finder, ein Koch, erscheint ihr zunächst suspekt aber mit größerem Abstand auch als Ausweg aus der alltäglichen Misere. Normal wie diese Mathilde sind auch die anderen Protagonisten, Menschen wie du und ich. Ihr Leben verläuft ohne große Katastrophen, aber eben auch ohne Glücksgefühle. Normalos, die plötzlich aufwachen Gavalda beschreibt die Wendungen nicht als dramatische Entscheidung…

Die Terranauten: Selfie mit Glashaus
Rezensionen / 24. März 2017

Anfang der 1990er Jahre hat ein texanischer Milliardär ein „außerirdisches“ Projekt namens „Biosphäre 2“ finanziert. Ein luftdicht verschlossenes riesiges Gewächshaus, in dem vier Frauen und vier Männer zwei Jahre lang mit den unterschiedlichsten Tier- und Pflanzenarten leben, um zu testen, ob ein Leben außerhalb der Erde (Biosphäre 1) möglich sein könnte. Von dieser Endzeit-Hoffnung und diesem Ausdruck menschlicher Hybris hat sich Amerikas Erfolgsautor T.C. Boyle für seinen Roman „Die Terranauten“ inspirieren lassen. Es ist ein echter Boyle geworden, changierend zwischen Truman Show und Dschungelcamp, Big Brother und Sartres „Geschlossener Gesellschaft“. Der Einzug ins Glashaus wird von medialem Rummel begleitet Die acht Auserwählten für einen zweiten Versuch im Glashaus von „Ecosphere 2“ sind fest entschlossen, den Fehler ihrer Vorgänger nicht zu wiederholen und die Luftschleuse, die sie von der wirklichen Welt trennt, unter keinen Umständen zu öffnen. Während sie begleitet von medialem Rummel Einzug in ihr neues Universum halten, müssen diejenigen draußen bleiben, die es nicht geschafft haben. Ihre Perspektive vertritt die Koreanerin Linda Ryu, die beste Freundin von Dawn Chapman, die Boyle ebenfalls zur Ich-Erzählerin macht. Dazu kommt noch der attraktive Ramsey, den die Frage, mit welcher der Frauen er Sex haben könnte, mehr beschäftigt als seine eigentliche Aufgabe. Keiner…