Sie sind ganz normale Bürger in mittleren Jahren und sie leben in den englischen Midlands, da, wo man auch Tolkiens Hobbits verorten könnte. Der lange glücklose Autor Benjamin Trotter, seine Schwester Lois, seine Freund Doug, ein linker Journalist, und Philip, ein Kleinverleger. Jonathan Coe hat über diesen Personenkreis schon öfter geschrieben, etwa 2001 in „The Rotters Club“. Doch „Middle England“, der Roman, den die englische Kritik als „Brexit-Roman“ einstufte, ist anders. „Dies ist ein Buch, das die Gegenwart voraussagt“, urteilte der Guardian. Miese Stimmung im Land Tatsächlich setzt die Handlung 2010 ein, als Cameron mit den Liberaldemokraten die erste Koalition in Großbritannien seit Generationen schmiedete. Die Leser werden Zeugen der Londoner Unruhen und der Ermordung der britischen Labour-Abgeordneten Jo Cox. Sie erleben eine kurze Hochstimmung während der Olympischen Spiele und die Anti-Migranten-Hetze des Nigel Farage. Die Stimmung im Land ist mies, wie Doug feststellt: „Die Leute sind mittlerweile so sauer, und niemand weiß, was man dagegen tun kann. .. Die Wähler sehen diese Typen in der City, die vor zwei Jahren praktisch die Wirtschaft zerstört haben und dafür nie irgendwie belangt worden sind – keiner von ihnen ist in den Knast gewandert, und jetzt streichen alle wieder ihren Bonus ein,…
Gianrico Carofiglio ist bei uns eher als Krimi-Autor ein Begriff. In seinem Roman „Drei Uhr Morgens“ macht der Italiener sich auf eine Seelenerkundung. Eigentlich hatte Antonio kaum Kontakt zu seinem Vater. Die Eltern waren geschieden, und wenn man sich sah, kam man sich kaum näher. Als er wegen einer langwierigen Untersuchung mit dem Vater nach Marseille fährt, werden die Tage und schlaflosen Nächte für beide zu einer Reise ins Unbekannte: „Mir ging auf, dass ich gar nicht wusste, wie ich mit meinem Vater umgehen oder mit ihm reden sollte.“ Das wird sich ändern. Denn die beiden haben alle Zeit der Welt, sich einander anzunähern. Zwei Tage und zwei Nächte ohne Schlaf Für die Untersuchung soll Antonio zwei Tage und zwei Nächte ohne Schlaf zubringen, und sein Vater unterstützt ihn dabei. Vater und Sohn lernen dabei nicht nur einander besser kennen, auch das eher spröde Marseille, das ihnen anfangs nur hässlich und abweisend vorkam, erschließt sich ihnen mehr und mehr. Und Antonio muss erkennen, dass das Bild, das er sich von seinem Vater gemacht hat, auf falschen Voraussetzungen beruhte, dass die Trennung der Eltern wohl ganz andere Hintergründe hatte als die, die er sich vorgestellt hatte. Poetische Seelenerkundung Auch dem Vater…
Südtirol ist eines der Lieblingsurlaubsziele der Deutschen, nicht nur, weil sich in dem Ländchen deutsche und italienische Mentalität so harmonisch verbinden – auch in der Küche – , sondern vor allem wegen seiner landschaftlichen Schönheit. Wandernd lassen sich Berg und Tal erleben, und, wenn es so richtig heißt wird, locken Seen und Wasserfälle mit Abkühlung. In dem Büchlein „Seen und Wasserfälle in Südtirol“ stellt Anja Eichelsdörfer die schönsten Wanderungen vor – von einfachen Spaziergängen über Wanderungen für die ganze Familie bis zu anspruchsvollen Touren. Abseits überlaufener Wanderziele Und sie zeigt auch, dass die Wanderziele nicht immer bekannte Seen sein müssen, die im Sommer meist hoffnungslos überlaufen sind. Weniger bekannt als der Pragser Wildsee in den Pragser Dolomiten ist zum Beispiel der Kortscher See im Vinschgauer Schlandrauntal auf 2510 Metern Höhe, den man nach anstrengender Wanderung mit etwas Glück für sich allein haben kann. Schwindelfreiheit und Trittsicherheit sind allerdings für den langen Weg erforderlich. Abkühlung verspricht auch der 2017 eröffnete Plima-Schluchtenweg im Martelltal. Unter anderem macht es eine Hängebrücke möglich, dem rauschenden Wasser ganz nahe zu kommen. Für die leichte, aber abwechslungsreiche Familienwanderung veranschlagt die Autorin eineinhalb Stunden Gehzeit. Durch die Schlucht und über den Steig Bis zum Sommer 2015 war die…
Er gilt als der Vater des italienischen Kriminalromans und hat selbst ein Leben hinter sich, das wie ein Roman war: Giorgio Scerbanenco, 1911 als Sohn eines Ukrainers und einer Italienerin in Kiew geboren und 1969 in Mailand gestorben, hat mit Duca Lamberti einen vom Leben gebeutelten Ermittler geschaffen, der seine Fälle nicht selten gegen den Widerstand seiner Kollegen bei der Polizei aufklärt. Die Grenzen der Aufklärung Immer wieder öffnet Lamberti die Büchse der Pandora, bringt Verdrängtes und Vergessenes an den Tag. Es geht um gesellschaftliche Schieflagen, um Ausgrenzung und menschliche Grausamkeit und vor allem um das Warum. Und da stößt der studierte Mediziner Lamberti, der wegen Sterbehilfe im Gefängnis saß, immer wieder an seine Grenzen. Auch im vierten Buch der Lamberti-Serie: „Duca Lamberti war also in den Viale Tunisia gekommen, um die scheußlichste, abstoßendste, widerwärtigste Aufgabe wahrzunehmen, die einem Polizisten widerfahren kann: nämlich einen Vater zu bitten, den geschundenen Leichnam seiner Tochter auf einem kalten Marmortisch des Leichenschauhauses zu identifizieren.“ Der Ermittler war nicht schnell genug Amanzio Berzaghis schöne aber geistig zurückgebliebene Tochter Donatella war auf unerklärliche Weise aus der väterlichen Wohnung verschwunden und Duca Lamberti war es nicht gelungen, die junge Frau lebend zu finden. Ihre Mörder waren schneller….
Er kennt die Szene. Massimo Carlotto, 1956 in Padua geboren, hat selbst Erfahrung mit Gerichten, Richtern und Gefängnisinsassen. Er geriet unter Mordverdacht, wurde verurteilt, war jahrelang auf der Flucht und saß bis zu seiner Begnadigung sechs Jahre hinter Gittern. Diese Erfahrungen machen die Krimis des Italieners so authentisch. Carlotto kennt die harte Sprache der Kriminellen, ihre Skrupellosigkeit – und ihre Verletzlichkeit. Überleben ist eine Frage der Würde In dem neuen Roman „Blues für sanfte Halunken und alte Huren“ spielen drei „gute“ Gauner die Hauptrolle. Auf der Gegenseite: Eine ebenso schöne wie skrupellose Dottoressa im Innenministerium, der sadistische Mörder Pellegrini, der nicht tot zu kriegen ist, Zuhälter und ein paar Drogenhändler. Carlotto-Kenner werden sich über ein Wiedersehen mit dem „Alligator“ Marco Buratti und seinen beiden Freunden Max und Beniamino Rossini freuen, die nach dem Motto leben: „Dass man in diese schlimmsten aller Welten überleben muss. Um jeden Preis. Und dass das eine Frage der Würde ist.“ Drei Gute Gauner und eine skrupellos Dottoressa Das Milieu wird nicht nur in Italien erkundet, auch in Wien und München hat die Mafia ihre Netze ausgelegt. Die schöne Dottoressa spinnt eifrig mit und merkt dabei nicht, wie sie sich im eigenen Netz verfängt. Sie hat…
Am Anfang ist der Traum: Der Lehrer Nani träumt von einem Mädchen in einem roten Mantel. Es könnte seine Tochter sein, Martina, die mit acht an Leukämie gestorben ist und deren Tod auch den Tod seiner Ehe bedeutete. Am Morgen erfährt der Träumer, dass ein Mädchen im roten Mantel verschwunden ist, die achtjährige Lucia. Nani, der den Traum als Wink des Schicksals interpretiert, wird zum Detektiv und sucht auch dann noch weiter, als die Polizei die Akten geschlossen hat und die Eltern sich mit dem Tod ihrer Tochter abgefunden zu haben scheinen. Seine Suche verwickelt ihn in einen anderen Fall, bei dem ein ebenfalls achtjähriges Mädchen nach Kambodscha verschleppt und in die Prostitution gezwungen wurde. Nah dran an einer bestürzenden Realität Dacia Maraini, die große alte Dame der italienischen Literatur, bleibt im ihren Roman „Das Mädchen und der Träumer“ nah dran an einer bestürzenden Realität. „Das gekidnappte Kind sowie das andere Kind, das in einem asiatischen Bordell landet – das sind wahre Geschichten, die ich von Amnesty International erfahren habe“, sagte sie in einem Interview. Allein in Italien verschwinden alljährlich Tausende von Menschen. 27000 waren es zwischen 1974 und 2014, darunter 11565 Kinder. In ihrem Roman beleuchtet Maraini schlaglichtartig viele Aspekte…