Am Ende war’s ein Leben
Rezensionen , Romane / 21. Dezember 2023

Das späte Leben heißt der neue Roman von Bernhard Schlink, eine Auseinandersetzung mit dem Tod. Martin ist 76 Jahre alt, aber seine Familie ist jung. Denn er hat vor wenigen Jahren mit der 30 Jahre jüngeren Ulla nochmal eine Familie gegründet. Sohn David ist sechs. Nun hat der Familienvater die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs bekommen. Martin muss mit einem baldigen Tod rechnen. Was bleibt? Was bleibt von ihm? Wie wird sich David an ihn erinnern? Was kann er dem Jungen noch geben? Bilanz ziehen will er nicht: „Für das Leben lässt sich keine Bilanz ziehen. Man macht dies und macht das, und am Ende war‘s ein Leben. Mehr ist nicht.“ Also schreibt Martin einen Brief für David, den er erst erhalten soll, wenn er älter ist. Dieses Schreiben zieht sich durch den ganzen Roman. Martin will David etwas mitgeben für sein Erwachsensein, will ihn auf das Leben vorbereiten. Aber er will auch in Erinnerung bleiben. Kein leichtes Unterfangen, manchmal auch eine Gratwanderung. Das Leben nach ihm Er hat noch viel vor in der kurzen Zeit, die ihm noch bleibt. Umso seltsamer findet er es, dass Ulla sich ihm immer mehr entzieht. Betrügt sie ihn? Wie soll er damit umgehen? Martin weiß ja,…

Zerbrochene Träume
Rezensionen , Romane / 16. August 2023

Paradise Garden heißt der Eisbecher, den Billie und ihre Mutter sich am Monatsanfang gönnen, und so heißt auch der Roman von Elena Fischer über eine Mutter-Tochter-Beziehung, die zu einer Tochter-Vater-Suche wird. Die 36-jährige Autorin hat für ihr Debüt den Literaturförderpreis ihrer Heimatstadt Mainz erhalten. Zu Recht, denn dieser Coming-out-of-age-Roman ist gleichzeitig zauberhaft und komplex, sanft und knallhart. Aus der Sicht einer 14-Jährigen Erzählt wird er aus der Sicht der 14-jährigen Billie, die gleich zu Anfang feststellt „Vierzehn ist ein beschissenes Alter, um seine Mutter zu verlieren.“ Und für Billie ist alles noch viel schlimmer, weil sie praktisch in einer Art Symbiose mit ihrer Mutter gelebt hat – in einem heruntergekommenen Haus, mit abgehängten aber liebenswerten Nachbarn, mit wenig Geld aber viel Fantasie. Vor allem die Mutter ist groß darin, den Alltag zu verzaubern. Mit ihren zwei Jobs verdient sie zwar gerade mal soviel Geld, um mit Billie über die Runden zu kommen. Dafür ist sie eine Meisterin im Träumen oder sollte man besser sagen, im Vertuschen der Wirklichkeit? Bedrohte Zweier-Idylle Für Billie jedenfalls ist die Mutter  über jede Kritik erhaben, auch wenn sie ihrer Tochter nie verraten will, wer ihr Vater ist. Als dann eines Tages die ungarische Großmutter unangemeldet…

Brunetti und die Roten Brigaden
Rezensionen , Romane / 1. August 2023

„Wie die Saat, so die Ernte“ heißt Donna Leons neuester Brunetti-Roman, der sich schon seinen Platz auf der Spiegel-Bestsellerliste gesichert hat. Dabei hat es Donna Leon schon längst aufgegeben, ihren Commissario Brunetti auf die übliche Art ermitteln zu lassen. Sind ihre Krimis schon lange viel mehr als Kriminalromane, sie sind Gesellschaftskritik, Zeitbild und Familienroman. Denn die Lesenden begleiten den Commissario auch beim Älterwerden. Und je älter er wird, umso mehr erinnert er sich an seine Jugend. Blick zurück So erfährt man von Buch zu Buch mehr über den Commissario, der sich mit Paolo in die höheren Kreise Venedigs eingeheiratet hat. Dass Brunetti aus kleinen Verhältnissen stammt, weiß man inzwischen. Dass er seine Mutter sehr geliebt hat, auch. Doch wie verlief seine Jugend in den revolutionären Zeiten der Roten Brigaden? Die Zeit der Roten Brigaden Antwort darauf gibt der  Donna Leon in diesem Roman. Am Anfang steht ein toter Mann aus Sri Lanka, den Brunetti anlässlich einer Immobilien-Recherche kennengelernt hat. Er wurde erstochen. Auf der Suche nach dem Täter – die Schwere der Verletzungen deutet auf einen Mann hin – stößt Brunetti in der Wohnung des Toten auf ein Konvolut von Zeitungen aus der Zeit der Roten Brigaden. Erinnerungen kommen auf…

Das verfluchte Schloss
Allgemein / 28. Juli 2023

Auf Blackbird Castle geht Seltsames vor sich. Das wissen die Dorfbewohner, auch wenn sie nicht ahnen, was wirklich dahinter steckt. Kann es die zwölfjährige Zita mit dem Bösen aufnehmen, das von dem Schloss Besitz ergriffen hat? Sie ist die Ich-Erzählerin in Stefan Bachmanns spannendem Jugendroman „Die letzten Hexen von Blackbird Castle“. Seltsame Menschen Zita, die in einem Kinderheim aufwuchs, soll die Erbin des Schlosses und eine Hexe sein. Soviel weiß das Mädchen. Auf dem verrufenen Schloss findet die Zwölfjährige in den Kindern Bram und Minnifer Verbündete, auch wenn die beiden sich manchmal seltsam benehmen. Noch seltsamer ist die Hausdame Mrs. Cantaker, die vorgibt Zita in der Hexerei unterrichten zu wollen und auftritt wie die Schlossherrin persönlich. Und welche Rolle spielt der servile aber undurchschaubare Mr. Grenouille? Bösartige Verschwörung Ganz allmählich kommt das Mädchen einer bösartigen Verschwörung auf die Spur, die darauf hinausläuft, die niederträchtige Hexe Magdeboor wieder zum Leben zu erwecken und die Macht des Bösen auf Blackbird Castle zu zementieren. Nur mit vereinten Kräften und der Hilfe von Zitas Raben Vikka schaffen die Kinder es, das Schloss von dem Fluch zu befreien. Harry Potter lässt grüßen Kommt einem irgendwie bekannt vor? Zita könnte die weibliche Ausgabe von Harry Potter…

In der Internet-Falle
Rezensionen , Romane / 25. Juli 2023

Cy Baxter, der Social-Media-Mogul im neuen Roman „Going Zero“ von Anthony McCarten könnte Elon Musk nachempfunden sein oder auch Mark Zuckerberg. Auf jeden Fall ist er ein Technologie-Freak, der von den Überwachungsmöglichkeiten seiner Firma Fusion nicht nur überzeugt, sondern geradezu begeistert ist. Um seine 360-Grad-Datenbank zu propagieren, bietet er der CIA eine Wette an: Zehn Menschen – fünf Internet Profis und fünf Laien – sollen versuchen, sich 30 Tage lang dem Netz zu entziehen. Wer nicht gefunden wird, kassiert drei Millionen Dollar. Sollte es aber keinem der Probanden gelingen, unentdeckt zu bleiben, will Baxter einen Milliarden-Auftrag der Regierung für das Aufspüren von Tätern, die Gewaltakte planen. Unter dem Radar „Go Zero“ heißt das Projekt, „Going Zero“ der Roman. Denn für die Überwachenden sollen die zehn Auserwählten unauffindbar sein, eine Nullnummer. Doch  unter dem Radar zu bleiben wird schwierig. Baxter setzt ein ganzes Heer von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern darauf an, die Lebensumstände der Beteiligten zu erforschen, ihre Bewegungsprofile zu scannen, ihre Vorlieben zu durchleuchten, ihre Freunde aufzuspüren. Das Internet als Waffe Natürlich haben sich auch die zehn Probanden einiges überlegt, um unentdeckt zu bleiben. Der eine taucht in die Obdachlosenszene ab, die andere will auf einer Segelyacht der Überwachung entgehen. Dem…

Lebenslügen
Rezensionen , Romane / 15. April 2023

Martin Suter mag es edel.  Auch in seinem neuen Roman  Melody  öffnet er die Tür zu einem stilvollen Haus, in dem der Eigentümer, einst hohes Tier in Politik und Wirtschaft, als gebrechlicher alter Mann residiert. Umhegt von Butler und Köchin. Doch Dr. Peter Stotz reicht es nicht, dass er sich alles leisten kann; er braucht jemanden, dem er imponieren, mit dem er reden kann. Deshalb engagiert er den angehenden Juristen Tom als eine Art Privatsekretär. Verführerischer Luxus Für Tom, der aus kleinen Verhältnissen stammt, ist es der Eintritt in eine neue Welt, in der Geld keine Rolle spielt und  in der alles käuflich scheint – auch Zuwendung. Verwöhnt mit besten Weinen und feinsten Speisen, gewöhnt sich Tom an das Leben im Luxus. Und zunehmend hegt er auch Sympathie für den einsamen Alten, der ihm von seiner großen Liebe erzählt: Melody. Die verschwundene Liebe Ihr Bild findet sich überall in der Villa, oft mit Blumen geschmückt wie ein Schrein. Dabei ist es Jahrzehnte her, dass sie verschwunden ist, kurz vor der Hochzeit und unter Zurücklassen des Hochzeitskleides. War Melody vor ihrer muslimischen Familie geflohen, die sie wegen der Verbindung mit einem Nicht-Muslimen bedrohte?  Wurde sie gefangen gehalten?  Stotz sucht seine verschwundene…

Asche der Erinnerung
Rezensionen , Romane / 23. Februar 2023

„Meine Funktion war sehr einfach: Leiche rein, Asche raus, Knochenreste im Kremulator zermahlen.“ Der da spricht ist Pjotr Nesterenko, Gründer und Leiter des Moskauer Krematoriums, und als Ich-Erzähler in Sasha Filipenkos Roman Kremulator  genannt. Der belarussische Autor siedelt seinen gleichnamigen Roman in der Zeit der stalinistischen Säuberungen an. Nesterenko wird der Spionage für eine feindliche Macht beschuldigt und ausführlichen Verhören unterzogen. Er muss wohl mit der Todesstrafe rechnen. Trotzdem verlaufen die Verhöre „nicht frei von Komik“, wie der Angeklagte notiert. Bühne für persönliche Rückschau Ganz unschuldig daran ist Nesterenko daran nicht. Er nutzt die Verhöre auch als Bühne für seine ganz  persönliche Rückschau. Denn der Mann war nicht nur der Gründer des Moskauer Krematoriums, er stammt aus altem Adel, hat für die Weißrussen gekämpft,  war in Kiew,  ist in Paris Taxi gefahren, arbeitete  in Istanbul und in Serbien. Kurz, er hat so einiges aus der Welt außerhalb der großen Sowejetunion mitgekriegt. Geschichte einer großen Liebe Diese Weltläufigkeit imponiert dem jungen Ermittler Perepeliza und macht ihn doppelt misstrauisch. Was zum Teufel hat diesen Nesterenko dazu getrieben, von einem Ort zum anderen zu reisen, von einem Job zum anderen zu wechseln? Perepeliza ahnt nichts von der großen Liebe, die den Angeklagten seit…

Bücher zu Weihnachten
Rezensionen / 6. Dezember 2022

Reisen war lange Zeit in unseren Breiten eine Selbstverständlichkeit. Doch dann kam Corona, und nichts war mehr wie gewohnt. Einreiseverbote, Impfgebote, Maskenpflicht – das Reisen wurde beschwerlicher. Inzwischen sieht es so aus, als käme die alte Reisefreiheit zurück. Doch was ist mit dem Klimawandel, was mit dem Krieg in der Ukraine, der Inflation und was mit möglichen neuen Corona-Varianten? Was immer geht – auch in problematischen Zeiten – sind Reisen im Kopf. Und dazu laden die Bücher ein, die wir aus dem großen Angebot ausgesucht haben. Ob Nostalgiker, Naturfreundin, Wanderer, Fotografin oder Globetrotter – für jeden ist was dabei. Vom Zauber des Lichts German Roamers, das ist eine Community deutscher Landschafts- und Outdoor-Fotografierender. Für den Bildband „Eine Reise mit dem Licht durch Deutschland“ haben sie bekannte und unbekannte Orte zu verschiedenen Tageszeiten und in unterschiedlichster Beleuchtung fotografiert – zwischen Morgen- und Nachtlicht. Das Leipheimer Moos im Nebel etwa, die ersten von Bäumen gefilterten Sonnenstrahlen im Taunus, Nebelschleier am Allgäuer Bannwaldsee, vergoldete Hügel in der Pfalz, ein Wintermorgen in Berlin und viele, viele Sonnenaufgänge. Das Licht verwandelt das Vertraute, Sonnen- und Mondaufgänge lassen Gewohntes magisch erscheinen. Aber auch Tageslicht kann verzaubern, wenn man weiß, wie man harte Schatten vermeidet. Tipps für…

Himmlische Bescherung
Allgemein / 28. November 2022

Holly im Himmel  erzählt vom Tod – und vom Leben. Eigentlich hat Holly noch viel zu erledigen in ihrem jungen Leben. Zum Beispiel Papa wieder zurückbringen und den lästigen Uwe vertreiben. Obwohl der eigentlich ganz nett ist. Hollys kleiner Bruder Timi jedenfalls scheint ihn zu mögen. Aber Holly hat keine Zeit mehr. Ausgerechnet nach einem heftigen Streit mit ihrer Mama wird sie von einem Auto überfahren – und landet im Himmel. Und damit geht die Geschichte von Micha Lewinsky erst richtig los. Busfahrt im Himmel „Willkommen im Himmel“ sagt eine Frau zu Holly, und dann schickt sie das Mädchen zu einer Busstation. Dieser Himmel ist ganz anders als Holly ihn sich vorgestellt hat. Überall stehen frisch Verstorbene herum, Greise und kleine Kinder, Soldaten, Frauen mit und ohne Hüte, Polizistinnen… Holly kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus, denn nun sieht sie auch jede Menge Tiere, die sich ihren Weg durch die Menschen bahnen. Und irgendwo muss auch ihr Bus sein… Schlecht organisiert Nur gut, dass sie Frida findet, ungefähr gleich alt wie sie aber schon seit 100 Jahren tot. Frida kennt sich aus mit den Sitten im Himmel. Denn „die Sterberei“ denkt Holly, „war furchtbar schlecht organisiert“. Zu zweit geht…

Sein Kampf
Rezensionen , Romane / 26. August 2022

Charles Lewinsky (Jahrgang 1946) kann vieles: Volkslieder, Sitcoms, Hörspiele. Vor allem aber kann er schreiben. Und wie! Sein Roman „Der Halbbart“ stand 2020 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises und wurde für den Schweizer Buchpreis nominiert. Preiswürdig ist auch sein neuer Roman „Sein Sohn“. „Von dem Sohn, den der Herzog von Orléans mit der Köchin Marianne Banzori zeugte, ist nur bekannt, dass er im Dezember 1794 zur Welt kam und in einem Waisenhaus in Mailand abgegeben wurde. Alles andere ist Erfindung.“ So steht es am Ende dieses Buches. Suche nach der eigenen Identität Für den fiktiven Lebensweg dieses Sohnes hat sich Lewinsky tief in die Geschichte der nachnapoleonischen Zeit begeben. Doch trotz aller historischen Hintergründe ist „Sein Sohn“ viel mehr als ein historischer Roman. Denn die Suche nach der eigenen Identität ist zeitlos. Für Louis Chabot, den Protagonisten des Romans, beginnt das Leben als Underdog in einem Waisenhaus. Ganz allmählich und mit der Hilfe eines wohlwollenden Marquis arbeitet sich der von allen gemobbte Junge zu einem angesehenen Bürger empor. Viel Glück im Leben Das Glück scheint ihm auch in schlimmen Zeiten hold zu sein. Und Louis Chabot ergreift es mit beiden Händen, ohne seine Menschlichkeit zu verlieren. Das zahlt sich…