Bodo Kirchhoff kennt den Gardasee, wo er ein Haus hat. Und er weiß, wie Männer über 70 ticken: er ist Jahrgang 1948. In seinem neuen Roman „Seit er sein Leben mit einem Tier teilt“ fließen die eigenen Erfahrungen ein, wobei dem Tier – in diesem Fall die rumänische Straßenhündin Ascha – eine bedeutende Rolle in diesem Fünf-Personenstück zukommt: „Seit er sein Leben mit einem Tier teilt, denkt Schongauer in schlaflosen Nächten sogar manchmal daran, dass er gern als dieses Tier auf die Welt gekommen wäre, nur mit dem Gedächtnis für Gut und Ungut, Freund oder Feind, und ohne Wissen um die Zeit.“ Verheerungen des Alters Doch der Hauptfigur Louis Arthur Schongauer, einem ehemaligen B-Schauspieler in Hollywood, ist das Vergehen der Zeit schmerzlich bewusst. Der 75. Geburtstag droht. Und als die 24 Jahre junge Influencerin Frida mit ihrem Wohnmobil vor seinem Garten strandet, spürt er mehr denn je die Verheerungen des Alters. Dabei war er doch auch einmal jung, damals in Hollywood, als er in Nebenrollen immer den bösen Nazi verkörpern sollte. Und als sich die junge Lynn in ihn verliebte. Zwei Frauen und viele Fragen Mehr denn je wird dem alten Mann am Berg die Vergangenheit bewusst, als zusätzlich zu…
Bodo Kirchhoff gehört zu den renommiertesten deutschen Autoren und zu meinen Lieblingsschriftstellern. Doch mit seinem „Bericht zur Lage des Glücks“ hat er mich verunsichert. Was soll uns dieser dicke Wälzer sagen, in denen alles aus der Perspektive eines namenlosen, ichbezogenen Mannes erzählt wird? In aller Ausführlichkeit und in oft verschachtelten, schwer lesbaren Sätzen. In einer bedeutungsvoll aufgeladenen Sprache, die vielleicht darauf hindeuten soll, dass der Erzähler Journalist bei einer Kirchenzeitung war. Desillusioniert zwar aber immer noch geprägt von einer Art Sendungsbewusstsein. Rätselhafte Afrikanerin Doch die Sprache und der Stil allein sind nicht mein Problem mit dem Buch. Es geht um den Inhalt. Die Geschichte ist ziemlich vertrackt: Der namenlose Erzähler gabelt auf einer Nostalgie-Reise durch Italien, auf der er seine Trauer über das selbstverschuldete Ende seiner Beziehung mit der Physiotherapeutin Lydia verarbeiten will, eine rätselhafte Afrikanerin auf. Die ebenfalls Namenlose ist aus ihrer afrikanischen Heimat geflüchtet und vertraut sich ihm und seinen Fahrkünsten an. Die Sache mit den Fotos Da weiß der Mann schon, dass es sich bei dieser Afrikanerin um die Frau handelt, von der es keine Fotos gibt. Denn statt der erwarteten Porträts sind aus unerfindlichen Gründen nur Szenen aus ihrem afrikanischen Dorf zu sehen. Ein gefundenes Fressen…
Siebzig Jahre alt musste Bodo Kirchhoff werden, um sich literarisch mit dem Trauma der eigenen Kindheit auseinander zu setzen. Angeklungen ist die sexuelle Verführung des Kindes Bodo schon früher, doch erst im „Roman der frühen Jahre“ stellt er sich unter dem Titel „Dämmer und Aufruhr“ dem eigenen Lebensdrama. Und dabei spielt nicht nur der Missbrauch durch den Kantor im Internat am Bodensee eine zentrale Rolle, noch wichtiger für die Sexualisierung des Buben ist die junge (und schöne) Mutter. „Bilder von sprachloser Wahrheit“ Wie Kirchhoff die frühe Mutter-Sohn-Beziehung rückblickend beschreibt („Der Infant stillt seine Mutter“) ist einerseits irritierend, weil es den Leser ungewollt zum Voyeur macht, andererseits zeugt es von der literarischen Qualität dieses Erinnerungsbuches. So gibt es, wie Kirchhoff schreibt, „nur verwischte Erinnerungen, Bilder von sprachloser Wahrheit, die, in Worte gefasst, eine Brücke zum Wahrscheinlichen bilden. Ja, wahrscheinlich ist es so gewesen, alle Bilder sprechen dafür.“ Der Mittagsgalan und die Mutter Und die Bilder erzählen davon, dass der kleine Bodo für die Mutter, die Schauspielerin war und später Autorin von Liebesromanen wurde, weniger Kind als männlicher Begleiter war, „Sommerkavalier“. Und in den „Mittagsdämmerstunden“ des Urlaubs ohne den Vater kommt es zu Intimitäten, wobei sich der kleine „Mittagsgalan“ eines Bleistifts bedient,…