Helme Heine kennen die meisten wohl als Kinderbuchautor. Die liebenswerten Geschichten um die tierischen Freunde Johnny Mauser, Franz von Hahn und den dicken Waldemar haben dem mittlerweile in Neuseeland lebenden Autor weltweit Freunde beschert. Der Autor und Illustrator machte im wörtlichen Sinn eine Bilderbuchkarriere. Doch Helme Heine kann auch anders.
Zusammen mit seiner Frau Gisela von Radowitz hat er auch Bücher für Erwachsene geschrieben. Nun also wieder ein Roman. „Im freien Fall“ erzählt in Rückblicken die Geschichte des Unternehmersohns Max, den das Leben auf eine harte Probe stellt und der beinahe daran zerbricht.
Flug ohne Wiederkehr
Es beginnt damit, dass Max ein Flugticket nach Südafrika löst – one way. Denn er hat nicht vor zurückzukommen. In dem Land, in dem er vor langer Zeit mit seiner französischen Frau Marie glücklich war, will er seinem Leben ein Ende setzen. Im freien Fall – bei einem Sprung in den Schacht eines Bergwerks: „Jetzt nahm er Abschied von der Erde, auf der er 58 Jahre lang Gast gewesen war. Im Lauf der Zeit hatte er alles erfahren, was das Leben zu bieten hatte, hatte Liebe empfangen und verschenkt, Reichtum erworben und verloren. Aber Lügen, Verrat und Krankheit hatten sein Leben durcheinandergewirbelt und es entwertet. Der Sprung in den Schacht war die logische Konsequenz. Endlich. Im Fallen blickte Max zurück, und je weiter er fiel, desto mehr entfernte er sich vom Leben.“
Wichtige Traumsequenzen
Max ist neugierig. Wird er am Ende des Tunnels ein Licht sehen? Wird sein Leben im Zeitraffer an ihm vorbeiziehen, ehe er auf dem Grund des Schachts aufschlägt? Helme Heine und Giesela von Radowitz lassen Max die Höhe- und Tiefpunkte seines Lebens noch einmal durchleben. Den kurzen Kapiteln haben sie Traumsequenzen vorangestellt, die ahnen lassen, was den Sterbewilligen im Innersten bewegt und die lineare Erzählung aufbrechen.
Das Rätsel des Patents
Es wäre eine eher alltägliche Geschichte, wenn da nicht das Patent wäre. Das Rätsel um den Auslöser des väterlichen Erfolgs überschattet das Leben der Familie und die Karriere von Max – und hält die Spannung. Was aufmerksame Lesende längst ahnen, klärt schließlich die demente Mutter in einem Brief an den Sohn auf. Da ist von der Aufbruchsstimmung, die Max aus Paris mitgebracht und in Südafrika verwirklicht hat, schon nicht mehr viel übrig. Die Firma wankt, die Ehe mit Marie ist gescheitert, der Vater stirbt bei einem Unfall und die Mutter hat sich ins Vergessen geflüchtet. Nur die Kinder geben Max noch Halt. Aber wie der biblische Noah muss er die tiefsten Tiefen des Elends ausloten.
Womöglich findet sich dann doch noch ein Hoffnungsschimmer.
Blasse Marie, seltsamer Tod
Helme Heine und Gisela von Radowitz erzählen diese Lebensgeschichte „nach einer wahren Begebenheit“ schnörkellos und ohne großes Pathos. Eher wie ein Fremdkörper wirkt da der Auftritt des Tod mit dem Stundenglas, der besser in die Traumsequenzen passen würde. Auch die Figur der Marie bleibt blass, als wäre sie nicht ganz auserzählt.
Max als Identifikationsfigur
Umso näher kommen die Lesenden der Hauptfigur Max und seinen Zweifeln: „Was hatte er erreicht in seinem Leben? Als Student in Paris hatte er davon geträumt, eine andere, eine gerechtere, eine friedlichere Welt im Einklang mir der Natur und seinen Mitarbeitern zu schaffen. Jetzt besaß er die Macht, war Erbe eines großen Unternehmens und fühlte sich doch als Gefangener von Zwängen, Umständen und Zahlen, als Sklave der Zeit und des Marktes. Er hatte seine Freiheit, seine Träume verloren.“ Damit könnte sich eine ganze Generation identifizieren.
Info Helme Heine/Gisela von Radowitz. Im freien Fall, C. Bertelsmann, 219 S., 22 Euro
Keine Kommentare