Kein Wunder, dass die Autorinnen anonym bleiben wollen. Für ihren Roman „Sex für Wiedereinsteiger“ haben sie sich ganz offensichtlich in ihrem Freundeskreis bedient. Die meisten von uns kennen diese Frauen: Die überforderte Mutter, die unbefriedigte Ehefrau, die unterversorgte Single, die frustrierte Karrierefrau, die Esoterikerin, die Landpomeranze oder die Lesbe… Sie alle treffen sich bei einem Seminar, das ihnen mehr Freude am Sex verspricht. „Schöner kommen in der zweiten Lebenshälfte“ – das wollen sie alle und das wollen wahrscheinlich auch ihre Schöpferinnen.
Sex als Stimmungsaufheller
„Mila Paulsen ist das gemeinsame Pseudonym zweier befreundeter Autorinnen, die unter ihren wahren Namen seit über zwanzig Jahren erfolgreich Artikel, Kolumnen, Bestseller, Liebes- und Abschiedsbriefe sowie Einkaufslisten schreiben“, heißt es im Klappentext. Auf die Idee zu dem Buch seien sie in einem Gespräch darüber gekommen, „dass großartiger Sex als Stimmungsaufheller besser wirkt als Johanniskrauttropfen und Yoga zusammen“.
Tatsächlich macht das Buch Lust und erfüllt in diesen grauen Corona-Zeiten schon mal die Aufgabe des Stimmungsaufhellers. Auch wenn die Retter aus der Frust-Falle ein bisschen zu viel Märchenprinz abgekriegt haben. „Andrea war absolut hingerissen, wie wunderschön dieser nackte, warme Männerkörper aussah. Wie weich und fest zugleich er war. Sogar seine Hände und Füße waren schön, wie konnte das sein? Und dann diese Erektion, die tatsächlich ihr allein zu gelten schien! Leo war komplett rasiert, so kamen seine wohlgeformten, runden Hoden besonders zur Geltung. Und auch sein Schwanz war erwartungsgemäß wunderschön; rosig, perfekt proportioniert, hart, im perfekten Winkel aufgerichtet, samtig der Schaft und vor Lusttropfen glänzend die Eichel. Wie aus einem Porno-Bilderbuch.“ Zu schön um wahr zu sein.
Traum und Wirklichkeit
Das muss auch die toughe Journalistin feststellen, die den Traummann ihrer Jugend nach langer Zeit kaum mehr wieder erkennt: „Ein ziemlich dickbäuchiger, äußerst spärlich behaarter Mitfünfziger eilte wild winkend auf sie zu. Er trug eine Brille und sah aus wie ein etwas attraktiverer Zwilling von Wirtschaftsminister Altmaier. Sein Gesicht war bedenklich gerötet. Die Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, als er sie keuchend an sich zog. Strahlend schob er sie nach der Umarmung mit beiden Armen von sich, um sie genau anzuschauen. Die daumendicken Gläser seiner Brille ließen seine Augen auf Stecknadelkopfgröße schrumpfen. Die rosaroten Wolken ihrer Fantasie eines romantischen Wiedersehens verflogen schlagartig, die Geigenuntermalung verstummte misstönend. Dieser fettleibige Nerd sollte mal ihre große Liebe gewesen sein? Was hatten zwanzig Jahre aus diesem zwar niebildschönen, aber ehemals schlanken Typen gemacht?“
Frau soll schon attraktiv sein
Immerhin stimmt der Sex dann doch noch: „Maren ergab sich dem dicklichen Sexgeist der Vergangenheit erstaunlich widerstandslos. Wenn sie die Augen schloss, fühlte Max sich genauso an wie früher in ihrer Jugend, vielleicht sogar noch besser. Seine Leidenschaft prasselte wie ein heftiger Sommerregen auf sie ein, stetig, warm und wild. Maren ließ sich fallen und zerrte ihn irgendwann auf die Rückbank ihres Autos. Sie ging auf wie eine Wüstenblume, die endlich Wasser bekam.“
Ja, so toll können auch unattraktive Männer beim Sex sein. Nur die Frauen, die müssen immer noch schön sein, zur Not auch mit Hilfe eines Chirurgen. Da würde frau sich von weiblichen Schreibern etwas mehr Emanzipation wünschen…
Fortsetzung folgt?
Am Ende haben alle bekommen, was sie sich gewünscht haben, und Seminarleiterin Tilda kann ihre Schäfchen getrost in einen sexuell erfüllten Alltag entlassen. Da klingt sie eher wie ein religiöser Heilsbringer denn wie eine Sex-Therapeutin: „Dann erhob sie quasi segnend die Hände. ‚Und nun gehet hin und erlebte Geschichten, die später am Esstisch vom Altersheim für rote Ohren und glänzende Augen sorgen werden!‘“ Den Termin für den nächsten Kurs „Sex für Fortgeschrittene“ haben die Teilnehmerinnen schon notiert. Womöglich sind auch einige Leserinnen schon gespannt, wie‘s weiter geht. Und wenn sich der „Sex für Wiedereinsteiger“ gut verkauft, dann könnten auch die Autorinnen an eine Fortsetzung denken…
Info Mila Paulsen, Sex für Wiedereinsteiger, Goldmann, 352 S., 10 Euro
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