Seen-Sucht in Kanada

17. Dezember 2020

Allan Casey liebt die kanadischen Seen, seit er ein Kind war. Warum, auch das erfahren die Leser in dem aufschlussreichen Buch „Land der Seen“. Auf 330 Seiten rückt der Autor zwar die Seen in den Fokus der Aufmerksamkeit und beschreibt das riesige „Lakeland“ als eines der großen Ökosysteme der Erde und „Quintessenz dessen, was Kanada ausmacht“. Doch von unkritischer Schwärmerei ist Allan Casey weit entfernt.

Überfluss und Zersiedlung

Seine Kritik gilt dem städtischen Überfluss, der sich an manchen Seen ausbreitet „wie Rollrasen“ ebenso wie der Zersiedlung der Landschaft, den Umweltproblemen und einem Tourismus, dessen „Infrastrukturmaßnahmen einer Schwerindustrie gleichen“. Die Seen, so sieht er es, „sind in einem Straßennetz gefangen, das sich von selbst vergrößert“. Und während er mit seinen Lesern durch die Jahreszeiten und von See zu See reist, erzählt er von seiner glücklichen Kindheit als Adoptivsohn, von seiner „Lehre im Fach Natur“ und der Gründung einer Mittelschichtsfamilie.

Grey Owl  und Graham Bell

Am Ajawaan Lake in Saskatchewan erinnert er an die Lebensgeschichte des Engländers Archibald Stanfield Belaney, der sich als Grey Owl neu erfunden hat. Am Lake Winnipeg in Manitoba beklagt er Algenbüte und Umweltverschmutzung und stellt die Frage nach der „dringend benötigten Umweltforschung“. Aber Allan Casey berichtet auch von der selbst verwalteten Republik New Iceland. Schottischer als in Schottland seien viele Menschen am Bras d‘Or Lake in Nova Scotia, schreibt er, ehe er die Leser mitnimmt zum Anwesen von Alexander Graham Bell, dem Erfinder des Telefons.

Endzeitstimmung und Begegnungen

Am Lake Athabasca an der Grenze von Alberta zu Saskatchewan macht er auf die Probleme der „First Nations“ aufmerksam und erlebt Endzeitstimmung im „Kadaver“ der verlassenen Uranium City. Auf seinen Reisen vom Emma Lake seiner Kindheit bis zum Waterton Lake Nationalpark trifft er missionierende Pietisten, Weltenbummler mit Segelboot, Bootsführerinnen und Freizeitkapitäne, Einsiedler und Touristinnen, Wanderer und Marathonschwimmerinnen.
Über sie alle und sein geliebtes Lakeland schreibt der preisgekrönte Journalist mit großer Empathie, einer ordentlichen Prise Selbstironie und detailreichen Naturbeschreibungen. Man folgt ihm gern auf dieser lesenswerten Reise in die Seele Kanadas.

Hineingelesen…

… Winter am Emma Lake

Das Eis sah so schön aus wie ein geschliffener Stein und schien von innen zu leichten. Ich richtgete mich auf und schon mit dem nächsten Schlag hatte ich es geschafft – der See gluckerte hinein. In weniger als zehn Sekunden war meine Eiswanne vollgelaufen.

Das Wasser hatte einen ganz blassen, grünlichen Bernsteinton, gefärbt von dem Zellmaterial, das vom Leben des vergangenen Jahres übrig war. Man hätte die Farbe nur schwer wahrnehmen können, wäre da nicht zum Vergleich das reine Weiß des umgebenden Schnees gewesen. Es schien, als betrachtete man den Sommer durch die Eislinse des Winters, denn das sind die lebenden Farben, Ocker und zarte Jade, aus denen alles wächst – die Brühe des Lebens. Es war, als wäre mir mit der kleinen Eiswanne voller Wasser ein winziger Vorbote der warmen Jahreszeit  auf der Bühne erschienen. Es bebte lebendig und spiegelte mir ein Bild des Himmels zurück, und ich konnte mir seine Wärme im Vergleich zu dem Eis ringsum vorstellen, wenngleich ich sie nicht spürte. Diese kleine Wunde, wie eine Pfütze Blut auf der Haut, würde bald gerinnen und eine winzige helle Narbe hinterlassen. Aber sie war ein Beweis für das Leben, das noch immer darunter pulsierte.

Info:
Allan Casey. Land der Seen, Knesebeck, 330 S. 22 Euro

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