Ciara Geraghty spricht in ihrem Roman existentielle Fragen an: Gibt es ein echtes Leben im Falschen? Terry Shephard ist eine ganz normale Mittelstands-Mutter mit Mann und zwei erwachsenen Töchtern. Ein eigenes Leben kennt sie nicht, sie wird ja zu Hause gebraucht – bis ihre Freundin Iris, die an fortschreitender MS erkrankt ist, beschließt, in der Schweiz Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Für Terry eine inakzeptable Entscheidung, von der sie die lebensfrohe Iris unbedingt abbringen will.
Ungewöhnliches Trio
So kommt es, dass sie mit ihrem dementen Vater und der sterbewilligen Freundin eine ganz und gar ungeplante Reise unternimmt, über den Kanal und Frankreich bis in die Schweiz. Ciara Geraghty macht aus dieser ungewöhnlichen Kombination einen tragikomischen Roadtrip, der zu einer Ode an das Leben wird, getreu dem Buchtitel „Das Leben ist zu kurz für irgendwann“.
Selbsterkenntnis mit Lebensfeude
Für die Ich-Erzählerin Terry wird diese Fahrt, die ja auch so etwas wie eine Flucht aus der Familie ist, eine Offenbarung. Sie lernt sich selbst von einer ganz neuen Seite kennen, bekommt von ihrem Dad und der Freundin soviel Lebensfreude ab, wie sie es seit Jahren nicht kannte.
Bei manchen Beschreibungen gleitet die irische Autorin ins Märchenhafte ab, etwa, wenn das seltsame Trio in einem abgelegenen französischen Schlösschen Quartier nimmt und der Hausherr sich nicht nur als charmanter Gastgeber sondern auch als diskreter Liebhaber und Allroundtalent erweist.
Oder wenn die Drei eine Jam-Session im Dorfkeller in ein irisches Tanzfest verwandeln.
Hoffnung und Rückschläge
Das Glück scheint mit dem selbst ernannten irischen Schutzengel und seinen Plänen, und bis zum Schluss klammert sich Terry an die Hoffnung, die Freundin doch noch von ihrem Sterbewunsch abzubringen. Natürlich gibt es immer wieder Rückschläge, auch tragische Begegnungen, die mal mit Wut, mal mit Galgenhumor kommentiert werden. Das hilft dabei, dass diese Hymne an die Freundschaft nicht zu rührselig oder gar pathetisch wird.
Herzerwärmender Humor
Nur ganz am Rand wird das Flüchtlingsdrama in der Person des kleine Alan Kurdy erwähnt, auch die Folgen von Demenz und MS werden zwar drastisch formuliert, drängen sich aber nicht in den Vordergrund. Die Grundstimmung bleibt geprägt von einem lebensklugen und herzerwärmenden Humor. So folgen die Leser mit selten nachlassender Empathie Terry bei diesem ungewöhnlichen Roadtrip, der zu einer Reise zu ihrem lange vernachlässigten Selbst wird.
Hineingelesen…
… in Terrys Gedankenwelt
Ich hatte mich immer für einen einfach gestrickten Menschen gehalten, leicht durchschaubar.
Für alle auf den ersten Blick verständlich.
Treusorgende Ehefrau. Hausfrau und Mutter. Aufopferungsvolle Tochter.
Dabei bin ich nichts von alledem.
Ich habe meinen Mann im Stich gelassen, als er mich am meisten brauchte.
Ich habe meine Kinder an entscheidenden Punkten ihres Lebens alleine gelassen.
Ich habe meinen Vater ins Heim gebracht und hässliche Dinge über ihn gedacht. Ihn abgelehnt, ihn gehasst, ihn bemitleidet.
Und Iris? Was habe ich über Iris gedacht? Über ihre Entscheidung?
Wohl vor allem, dass sie den Plan nicht in die Tat umsetzen wird.
Warum habe ich das gedacht? Das ist doch, als hätte ich alles verdrängt, was ich über Iris weiß. Als hätte ich sie mir so zurechtgebastelt, wie sie mir gefällt.
Info. Ciara Geraghty. Das Leben ist zu kurz für irgendwann, Goldmann, 380 S., 20 Euro
Keine Kommentare