„Die Sehnsucht nach Leben“ will Andreas Altmann in seinem neuen Buch mit gesammelten Reportagen verhandeln. Aber natürlich spielt auch da die Sehnsucht nach Liebe mit hinein. Sein Buch erzählt von Frauen und Männern, die „ich beneide und bewundere“. Schließlich hält es der Globetrotter Altmann mit Soeur Emanuelle, die er eingangs zitiert: Le paradis, c‘est les autres – Das Paradies, das sind die anderen.
Oben das Geld, unten das Volk
Das Leben ist für ihn ein „einmaliges, einzigartiges Geschenk“ und die Liebe zum Leben die „Mutter aller Sehnsüchte“. Diese Sehnsucht stillt Andreas Altmann auf seinen vielen Reisen, bei denen er sich nicht davor scheut, in menschliche Abgründe zu tauchen. Seinem kritischen Auge entgehen auch nicht die sozialen Brüche in glamourösen Städten wie Acapulco: „Oben das Geld, unten das Volk“. Natürlich war es auch schon früher so, im niederländischen Batavia etwa, dem heutigen Jakarta, wo im Keller des ehemaligen Rathauses die Beherrschten vegetierten und drüber die Herrschenden sich in ihren Himmelbetten suhlten.
Warnung vor Rassismus
Es sind nicht immer Gentlemen, die Andreas Altmann zu seinen Mini-Porträts inspirieren. Es sind Emporkömmlinge wie Du Yuesheng, Mafiosi wie Al Capone, Glücksritter wie Teddy Stauffer. „Sittliche Entrüstung“ ist Altmanns Sache nicht, auch wenn es um Bordelle und leichte Mädchen geht. Doch bei Rassismus kann der sonst so freizügige Autor zornig werden, z.B. in Marseille, wo er vor Jahren einen „selbstbewussten Rassismus“ festgestellt hat, „schier unbesiegbar wie die wuchernden Köpfe einer Hydra. Die Argumente der LePen-Anhänger klingen erschreckend aktuell: Das Maß ist voll, und Araber sind grundsätzlich verdächtig.
Zwei Seiten unserer Welt
Andreas Altmann ist es gewohnt hinzuschauen, auch dahin, wo es weh tut wie im Rehabilitationszentrum in Peschawar, wo die Opfer von Krieg und Bürgerkrieg behandelt werden. In die Slum-Kneipen der belgischen Marolles, wo notorische Säufer und Säuferinnen abhängen. In die Pariser Hinterhofzimmer der Skinheads, die von Bier und Aggressivität dampfen. Aber natürlich kennt der Weltenbummler auch die schönen Seiten des (Reise)Lebens wie in Goa, „ein Götterkind, schön, begabt, verwöhnt“, aber auch eine bedrohte Schönheit. Bedroht von der eigenen Attraktivität und einer Tourismusindustrie, die selbst in Lappland die Natur mit Ferienzentren überzieht.
Abgründe und Erkenntnisse
Im Hasch- und Lachrausch in Sibirien gelangt er zur Erkenntnis, dass das Leben ein Witz ist. Im Ashram in Poona fühlt er sich fern den „Abgründen der Dösigkeit“. Und im mexikanischen Léon verrät ihm „Súper Machina“, einer der Ringer, warum er immer wieder in den Kampf zieht: „Weil es da eine Sehnsucht gibt in mir, eine Sehnsucht, jemand zu sein.“
Auch Andreas Altmann will jemand sein. Nicht so jemand wie der Schweizer Philippe Dufour mit seinen Uhren-Wunderwerken. Auch nicht jemand wie der blinde Fotograf Evgen Bacvar, der „bereits eine Ewigkeit lang nichts als schwarz sieht“ und der trotzdem fantastische Fotos macht. Erst recht nicht der Mann, der einer Trickbetrügerin aufsitzt. Dann schon eher so einer wie der weltläufige Georg Stefan Troller, der sich bei näherem Hinsehen allerdings als schnöder Haustyrann entpuppt.
Wunderbar unzeitgemäß
Auch Altmann ist am Schluss klug genug, die eigenen Defizite zu sehen: „Ich bin noch immer eitel, noch immer verletzbar, noch immer ruhmsüchtig, noch immer nicht nachsichtig genug, noch immer fehlt mir alles, um ‚über den Dingen‘ zu stehen.“ Womöglich liegt es genau daran, dass Altmanns ehrliche Reportagen so wunderbar unzeitgemäß sind.
Info Andreas Altmann. Sehnsucht Leben, Piper, 300 S. 22 Euro
Keine Kommentare