Siebzig Jahre alt musste Bodo Kirchhoff werden, um sich literarisch mit dem Trauma der eigenen Kindheit auseinander zu setzen. Angeklungen ist die sexuelle Verführung des Kindes Bodo schon früher, doch erst im „Roman der frühen Jahre“ stellt er sich unter dem Titel „Dämmer und Aufruhr“ dem eigenen Lebensdrama. Und dabei spielt nicht nur der Missbrauch durch den Kantor im Internat am Bodensee eine zentrale Rolle, noch wichtiger für di...
Überwältigende Natur kennt der Mensch von heute nur mehr, wenn er hinausgeht aus den Dörfern und Städten, hinauf auf die Berge, hinein in den Wald, wenn er dem Flusslauf folgt oder einem Pilgerweg. Doch das Erlebnis der Natur ist für viele Zivilisationsgeschädigte heilsam. Der Bildband „Mystische Orte in Südtirol“ lädt dazu ein, die Natur in ihrer Ursprünglichkeit neu zu entdecken und an Kultstätten, auf Pilgerpfaden oder auf einem B...
Antje Wagner ist eine versierte Autorin, bekannt für ihre eher mystischen aber auch literarisch anspruchsvollen Jugendbücher. Mit ihrem neuen Roman „Hyde“, den sie als Zwitter zwischen Jugend- und Erwachsenenbuch konzipiert hat, mutet sie den Lesern ziemlich viel Gedankenarbeit zu. Denn auch nachdem man den letzten Satz gelesen hat, bleibt eine Unsicherheit zurück, wie das Ende wohl zu interpretieren ist. Ein Traum? Ein Happy End? Ei...
Eine Frau erzählt ihrem gelegentlichen Liebhaber von ihrer Großmutter Ruth, die sie geprägt hat. Nach dem Sex, per Telefon oder im Restaurant. Die in Augsburg geborene und in München als Medienjournalistin arbeitenden Claudia Tieschky entwickelt aus diesen Gesprächen ihren ersten Roman „Engele“. Geglückt ist das Ganze allerdings nur halb. Das Gerüst wirkt allzu konstruiert, um glaubwürdig zu sein, das kommunizierende Liebespaar bleib...
Es ist Anne Tylers 22. Roman und auch in „Launen der Zeit“ spricht die mittlerweile 76-jährige Chronistin des amerikanischen Mittelstands aus jeder Zeile. Wieder einmal geht es um schwierige Familienverhältnisse und die Flucht daraus. Schuldgefühle seit der Kindheit Das Leben der Hauptfigur Willa Drake erzählt Tyler in vier Episoden, die sie zwischen 1967 – da ist Willa elf – und 2017 ansiedelt. Willa ist nett und unauffällig, ...
Dass Frauen an Steuer dürfen, ist wohl nur in Saudi-Arabien eine Schlagzeile wert. Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman weckt mit seinen Plänen für eine offenere Gesellschaft Hoffnungen auf Tauwetter in dem erzkonservativen Land. Kholoud Bariedah, die 2012 ihrem Heimatland den Rücken kehrte, heute in Berlin lebt und sich vom Islam abwandte, hat die rigiden Disziplinierungsmethoden des Regimes am eigenen Leib erfahren. In ihrem...
Die Helden sind meist gewöhnlich, doch das, was um sie herum geschieht, ist außergewöhnlich. Das gilt auch für Haruki Murakamis „Die Ermordung des Commendatore“, vom Verlag in zwei Teilen herausgegeben. Nach „Eine Idee erscheint“ heißt es im zweiten Teil „Eine Metapher wandelt sich“ – und dieser zweite Teil fordert den Lesern noch mehr Bereitschaft ab, dem Dichter in eine Welt zu folgen, in der sich Realität und Fantasie mische...
Eine jüdische Familie in New York. Die alt gewordene Bella erinnert sich an ihre Jugend in Berlin – und an die Rettung ihrer Familie durch einen ägyptischen Arzt. Sie hat die Geschichte schon viele Male erzählt, doch kaum jemand aus ihrer zahlreichen Nachkommenschaft interessiert sich mehr dafür. Die Jungen haben andere Probleme: Der schwarze Schwiegersohn Nigel, Sohn eines Afroamerikaners und einer Deutschen, deren Vater ein hohes T...
Er galt als Nestbeschmutzer, als schwieriger Zeitgenosse: Thomas Bernhard machte es seinen Feinden leicht, ihn zu hassen. Denn der in Holland geborene und in Österreich aufgewachsene Dichter liebte es zu polemisieren. Kaum ein Land, kaum eine Stadt fand Gnade vor seinen kritischen Augen. Sie waren für ihn allesamt hässlich, ob Rom oder Stockholm, Passau oder Salzburg, Freiburg oder Linz, Paris oder Wien: Brutstätten des Kleinbürgertu...
„Das Schöne ist, über den Fluss zu fahren, ohne eine Spur zu hinterlassen, außer Erinnerungen und Wissen.“ Was der Freund am Ende dieser außergewöhnlichen Reise sagt, hat Paolo Rumiz von Anfang an vorgehabt. In dem Buch „Die Seele des Flusses“ schildert der italienische Autor, wie er zusammen mit wechselnden Freunden auf dem Po durch ein unbekanntes Italien gereist ist. Zunächst im Kanu, später mit einem Segelboot – auch mit Motor. D...