Eine depressive 15-Jährige, ein alter Mann mit Alzheimer und ein hochintelligenter Junge. Reicht das für 317 Seiten? Bei Petra Pellini, der Vorarlberger Autorin funktioniert es wunderbar. Ihr Roman „Der Bademeister ohne Himmel“ ist ein bewegendes Zeitbild, das sowohl von abgrundtiefer Hoffnungslosigkeit als auch von kleinen Glücksmomenten lebt.
Der junge und der alte Freund
„Es gibt zwei Menschen, die mich von der Sache mit dem Auto abhalten“, schreibt die Ich-Erzählerin Linda, „Kevin und Hubert. Kevin wohnt um die Ecke, ist voll intelligent und Hubert wohnt im dritten Stock und ist voll dement.“ Der 86-Jährige, der vor Jahren seine Frau verloren hat und immer noch darauf wartet, dass sie nach Hause kommt, war in seinem früheren Leben Bademeister. Jetzt ist er auf die Hilfe von polnischen Pflegerinnen angewiesen, die von seiner Tochter bezahlt werden. Und, weil Linda den alten Mann ins Herz geschlossen hat, hilft sie zwischendurch aus.
Ewa und die Lust am Leben
So kommt sie auch Ewa näher, der warmherzigen, lebensbejahenden Polin, die so ganz anders ist als sie selbst. Während Linda immer wieder darüber nachdenkt, ihrem Leben ein Ende zu setzen, ist Ewa voller Hoffnung auf eine glückliche Zukunft. „`’Leben ist Geschenk‘, sagt Ewa. ‚Darüber lässt sich streiten‘, antworte ich.“
Glückliche Erinnerungen
Petra Pellini erzählt aus Lindas Perspektive, schnoddrig, altklug, oft auch abgeklärt. Das Mädchen hat das Herz auf dem rechten Fleck, und verzweifelt doch am Leben. Und ihr Freund Kevin ist zwar superschlau, aber lebensuntüchtig. Da helfen die Erinnerungen an gemeinsame glückliche Stunden im Schwimmbad – und an den Bademeister Hubert. Jetzt, da er kaum noch das Haus verlässt, ist er ein „Bademeister ohne Himmel“, denn Hubert lebt im Gestern. Und weil er da einigermaßen glücklich ist, bestärkt Linda ihn darin.
Abschied auf Raten
Doch auch Linda kann nicht aufhalten, dass Hubert immer mehr verschwindet. Manchmal hilft nur der Therapiehund River dabei, ein bisschen Freude in das Leben des alten Mannes zu bringen.
Linda leidet unter der Einsicht, wie wenig sie noch bewegen kann: „Betrachte ich Hubert, wie er daliegt, entdecke ich nur mehr wenig von seiner Persönlichkeit…Man muss ihn gekannt haben, um ihn jetzt noch zu finden.“
Leben mit Sinn
Und dann ist Hubert weg und Kevin auch. Und mit den beiden auch Lindas Todessehnsucht: „Ich weiß nicht, warum, aber ab dem Zeitpunkt, da Hubert und Kevin weg waren, hatte mein Leben plötzlich einen Sinn, nur, weil ich noch da war. Je mehr wegbrach, desto mehr hatte ich das Gefühl, alles zusammenhalten zu wollen. Und je mehr Tage verstrichen, desto klarer wurde mir, dass ich gar nicht sterben will.“
Eine frische Stimme
Es ist keine einfache Geschichte, die Petra Pellini den Lesenden zumutet. Zu viel Tod, zu viel Vergänglichkeit. Aber auch viel Wahrheit und die Erkenntnis, dass Menschen andere Menschen brauchen, um leben zu können. Dazu eine frische Stimme, die keine Scheu kennt, auch unschöne und gern verdrängte Wahrheiten auszusprechen. Man muss sich einlesen in Lindas Lebensgefühl und fühlt sich gezwungen, sich immer wieder auch den eigenen Fragen und Zweifeln zu stellen. Keine leichte, aber eine lohnende Lektüre.
Info Petra Pellini. Der Bademeister ohne Himmel, Rowohlt Kindler, 320 S., 23,79 Euro
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