Jenseits von Landlust

16. April 2024

Martina Bogdahn weiß, wovon sie schreibt. Das spürt man vor allem in den eindringlichen Schilderungen des Landlebens in ihrem ersten Roman „Mühlensommer“. Die Fotografin ist in Weißenburg geboren und auf einem Einödhof aufgewachsen. Die Ähnlichkeiten mit der Protagonistin des Romans sind also nicht zufällig. Wie die Ich-Erzählerin Maria hat Martina Bogdahn dem elterlichen Hof den Rücken gekehrt, um zu studieren und später in München zu leben.

Zwischen Stadt und Land

Was sie in „Mühlensommer“ thematisiert, kennt sie selbst: Das Leben zwischen zwei Welten und die Sehnsucht nach Heimat. Dabei ist die Mühle, die im Mittelpunkt des Romans steht, alles andere als heile Welt. Das Geld ist knapp, auch die beiden Kinder Thomas und Maria müssen mithelfen – bei der Ernte, beim Hopfenzupfen, auch beim Schlachten. Die Eltern haben wenig Zeit für die Kinder, die Oma führt ein strenges Regime und entspricht so gar nicht den kindlichen Vorstellungen einer liebevollen Großmutter. Im Gegenteil, als Maria sich über die ersten Katzenbabys freut, werden sie von der Oma ertränkt. Nur keine Sentimentalitäten.

Vertraute Gerüche

Maria hat sich weit entfernt von diesem Leben, ist in der Großstadt angekommen und hat dort auch arrivierte Freunde gefunden. Die zwei Töchter sind Mode affin und haben keine Beziehung zum Landleben. Ausgerechnet, als sie mit den Freunden zu einem Wochenende in den Bergen aufbrechen, trifft Maria eine Hiobsnachricht: Ihr Vater hatte einen schweren Unfall, die Mutter braucht ihre Hilfe. Zurück im heimatlichen Hof wecken vertraute Gerüche Erinnerungen an die Kindheit und Jugend – an schmerzvolle aber auch an lustige Episoden. Der Bruder, mit dem sie ein gestörtes Verhältnis hat, spielt darin eine wichtige Rolle. Auch die inzwischen demente Oma, deren Strenge kaum Gefühle zuließ.

Unbestimmte Sehnsucht

Für die Töchter und die Freunde aus der Stadt ist das Leben auf dem Hof eine fremde Welt, die aber schnell eine seltsame Anziehungskraft entwickelt. Lag Maria falsch, als sie sich gegen den Hof und für die Stadt entschieden hat? Während der Vater im Krankenhaus liegt, rekapituliert sie ihre Erinnerungen an Demütigungen in der Schule, an das Drama beim Schlachten der Lieblingssau, an die Plackerei beim Hopfenzupfen. Auch jetzt muss sie wieder mithelfen, muss den Ekel überwinden, denn die Mutter allein wird mit der Arbeit im Stall nicht fertig.
Und doch keimt eine unbestimmte Sehnsucht in ihr, hat sie mehr und mehr das Gefühl, angekommen zu sein. Vielleicht gelingt es ihr ja, ihre beiden Welten zu versöhnen, die der Stadt mit ihren Eitelkeiten und die des Hofes mit seiner Bodenständigkeit.

Die anderen Seiten des Landlebens

Marina Bogdahn erzählt von starken Frauen, vom ehemals harten Leben der Bauern und von Heimatgefühlen. Ihre Sprache ist direkt, schnörkellos. Sie konfrontiert die Lesenden mit den schmutzigen Seiten des Landlebens, schreckt auch vor grausligen Details nicht zurück. Wie sie die Schlachtung der Sau Emma beschreibt, könnte so manchem Fleischesser die Lust auf Schweinebraten vergällen. Ein realistischer, ehrlicher Roman jenseits allen Landlust-Kitsches.

Hineingelesen

in Marias Erinnerungen

An einem Ende des Hofs steht der uralte Fendt mit angehängtem Pflug, eine Maschine wie aus dem Museum und trotzdem standhaft wie ein Denkmal. Mein Vater hat sein Leben lang von morgens bis abends geackert. Ohne Danke und ohne Bitte. Als meine Großeltern gemerkt haben, dass sie die Arbeit auf dem Hof nicht mehr alleine schaffen, haben sie nicht lange gefackelt. Sie haben kurzerhand ihren Erstgeborenen aus der Schule genommen und ihm die Verantwortung für den Hof übertragen, ohne auch nur einmal zu fragen, ob er das möchte. Mein Vater hat sich dem gefügt. Vermutlich ohne diese Entscheidung groß zu hinterfragen. Kinder auf dem Bauernhof sind schließlich zum Arbeiten und nicht zum Vergnügen da. Diesen Satz meiner Großeltern glaube ich noch im Ohr zu haben. Mein Vater ist fleißig. Pflichtbewusst und hat nie gelernt, sich um seine eigenen Bedürfnisse zu kümmern. Dafür um alles andere. Er kennt hier jeden Baum, jede Pflanze und jedes Tier. Er kann das Wetter in seinen Knochen spüren und den Regen auf eine halbe Stunde genau vorhersagen. Und wenn man es nur lange genug schafft, schweigend neben ihm zu sitzen, dann sagt er manchmal Dinge in nur einem einzigen Satz, für die man ganze Bücher lesen müsste. Freizeit oder gar Urlaub kennt er nicht. Seine freie Zeit beschränkt sich auf ein paar Minuten täglich, und so liebt er es, sich nbach dem Mittagessen eine halbe Stunde auf der Eckbank in der Küche auszustrecken, und seit ich mich erinnern kann, sitzt er spätabends nach getaner Arbeit am Küchentisch und liest die Zeitung, von der er mittags snur die letzte Seite mit den Todesanzeigen überflogen hat.

Info Martina Bogdahn. Mühlensommer, Kiepenheuer & Witsch, 334 S., 22 Euro

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