Jenseits der Idylle

12. März 2025

Hier Draussen, das klingt nach Freiheit, frischer Luft. Wer in einer hektischen Großstadt lebt und noch dazu möglicherweise in beengten Verhältnissen, träumt gern vom Leben auf dem Land. Von viel Platz und viel Natur, von Kühen auf der Weide, frei laufenden Hühnern, kurz von einer Idylle. Doch was ist dran an solchen Träumen? Martina Behm, Journalistin und Strickdesignerin, kennt wohl beide Seiten, die städtische und die ländliche. In ihrem Debüt „Hier Draussen“ erzählt sie mit warmherzigem Verständnis vom dörflichen Leben jenseits der Idylle.

Schattenseiten

Lara und Ingo sind mit ihren Kindern raus aufs Land gezogen – auf den Reuserhof, einen „Resthof“ im fiktiven Dorf Fehrdorf. Doch die scheinbare Idylle zeigt schnell ihre Schattenseiten. Nichts da von den erträumten Selbstversorgerhöfen mit ein paar Schweinen, Kühen und Hühnern. Statt dessen industrielle Schweinemast und „Bodenhaltung“ von Hühnerhunderten. Und Ingo muss auch noch täglich zu seinem hippen Start-Up nach Hamburg pendeln.

Die Sage

Als er dann auf dem abendlichen Heimweg eine weiße Hirschkuh anfährt, erschüttert das die ganze Dorfgemeinschaft. Wenn so ein Tier getötet wird, geht die Sage, stirbt ein Mensch im Dorf binnen eines Jahres. Auch deshalb hat der jagende Nachbar die Hirschkuh zusammen mit Ingo getötet. Er wollte nicht allein verantwortlich sein. Wie ein Damoklesschwert hängt die Geschichte fortan über dem Dorf. Denn schnell hat sich herumgesprochen, was passiert ist.

Die Nachbarn

Und während sich Ingo und der unverheiratete Nachbar auf eine ganz besondere Weise näher kommen, fragen sich die anderen im Dorf, was sie von ihrem Leben erwarten. Martina Behm lässt die unterschiedlichsten Nachbarn zu Wort kommen: Den Jäger und Schweinezüchter Uwe. Jutta und Armin, die von einer Hippie-WG übrig geblieben sind. Den bulligen Schweinemäster Enno und seine unauffällige Frau Tove. Die Vorzeigebauern Söhnke und Maggie. Sie alle müssen sich von ein paar Träumen verabschieden; die Dorfgesellschaft ordnet sich im Lauf der Geschichte neu. Noch hat sie vielleicht eine Zukunft, die Ingo so beschreibt: „Draussen sein. Einfach atmen.“

Das Dorf

Dass es so einfach nicht ist, haben die Lesenden im Lauf der einzelnen Lebensschicksale der Dorfbewohner begriffen. So manche musste ihr Leben auf den Kopf stellen, um sich selbst kennenzulernen. Und doch bleibt trotz der ungeschönten Darstellung des Dorfalltags so ein Quäntchen Hoffnung, dass es hinter Schweinegestank und Dorftratsch so etwas gibt wie Zusammenhalt – eine Dorfgemeinschaft eben.

Hineingelesen

in die Realität der Stadtflüchtigen

Die Menschen, die jetzt vor Jutta standen, waren vielleicht die gleichen, die vor ein paar Jahren noch ihre Färberkurse besucht hatten. Acht Frauen und drei Männer, 35 aufwärts, sie trugen gepflegte Bärte und Haarschnitte, die sicher nicht von Hairlichkeit in Hummelburg stammten, sondern von einem hippen Friseur im Hamburger Schanzenviertel. Sie waren rausgezogen aufs Land, hatten alte Bauernhäuser mit hellen Sofas ausgestattet und getischlerten Echtholztischen. Sie waren frustriert, dass es dann doch nicht ganz so aussah wie das Landhaus-Leben, das sie damals in der Stgaddt immer in den Zeitschriften bewundert hatten: Die Abgase des Holzofens, von denen beim Nachlegen der Scheite welche in den Wohnraum drangen, ließen einen feinen dunklen Staub auf den hellen Putz sinken. Die Zitterspinnen waren zahlreich und rundeten die Zimmerecken alle paar Tage von neuem mit ihren grauen Gespinsten. In den frisch lackierten Küchenschränken fanden sich Mäusekötel…
… Jutta kannte das. Den Wunsch, sich ein Idyll zu erschaffen und alles besser und richtiger zu machen, und es dann doch ncith hinzubekommen.

Info Martina Behm. Hier Draussen, dtv, 490 S., 18,99 Euro

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert