Japan boomt – nicht nur zur Kirschblütenzeit. Das Reiseland ist gefragt wie nie. Fritz Schumann war immer wieder in dem Inselstaat, der sich lange gegen Einflüsse von außen gewehrt hat. In dem schön aufgemachten Buch „Japan, wer bist du?“ zeichnet der Fotograf und Journalist das Porträt eines Landes im Umbruch: „Japan… ist ein Land mit vielen Problemen. Nur wenn man die Schatten sieht und akzeptiert, kann man das Land wirklich verstehen. Es sind nicht nur die Sprache oder die Regeln im zwischenmenschlichen Umgang, die das Verständnis erschweren. In Japan muss man den Vorhang beiseite ziehen und hinter die Kulissen schauen.“
Blick hinter den Vorhang
Und das macht Fritz Schumann. Er führt die Lesenden zu Orten, die in keinem Reiseprospekt stehen und zu Menschen, die sich für ihre Heimat und deren Identität einsetzen. Der Autor schaut genau hin und hinterfragt die Beweggründe für das Engagement der Aktivisten. Warum soll ein entleertes Dorf überleben? Warum bevölkert eine Frau verlassene Häuser und Schulen mit Puppen? Warum sind in Japan über neun Millionen Gebäude unbewohnt?
Das Rätsel der leeren Häuser
Japans Bevölkerung ist überaltert – und sie schrumpft. Der demographische Wandel entvölkert ganze Dörfer und Kleinstädte. Und weil es teuer ist, ein Haus abzureißen, bleibt es einfach stehen. Die leeren Häuser sind günstig zu haben und ziehen Menschen aus aller Welt an wie Onomichi, das im Film „Die Reise nach Tokyo“ Wim Wenders so gefiel. Sechs Millionen Touristen kommen alljährlich in die inspirierende Stadt am Meer und beleben eine Zeitlang die leeren Häuser.
Fromme Mönche, rebellische Alte
Auch der Autor lässt sich gern inspirieren. Von den Yamabushi, Mönchen, die nach einer Balance zwischen Mensch und Natur streben und in der Abgeschiedenheit der Berge leben. Von rebellischen Alten, die gegen neue Atomkraftwerke kämpfen. Von Menschen, die sich auch durch die Katastrophe von Fukushima nicht entmutigen ließen. Von jungen Leuten, die an ihre Zukunft glauben.
Giftgas und leere Versprechen
Aber Fritz Schumann zeigt auch die Schattenseiten. Auf der Insel Okunoshima, die Touristen wegen der vielen Kaninchen lieben, hat er jahrelang über die geheime Giftgas-Produktion recherchiert. Den Ehrgeiz der Kleinstadt Kamikatsu, keinen Müll zu produzieren, entlarvt er ebenso als leeres Versprechen wie den Anspruch von Hatoyama, einer anderen Kleinstadt, der glücklichste Ort Japans zu sein. Und dann berichtet er auch über die Barukumin, die bis heute diskriminiert werden, weil sie oder ihre Vorfahren „unreine Berufe“ haben oder hatten. Ein Museum zu ihrer Geschichte wurde wieder abgerissen.
Faszinierendes Land
Fritz Schumann schont das Land, das er liebt, nicht. Seine Erzählungen führen jenseits aller Kirschblüten-Romantik an düstere Orte und auch in die dunkle Vergangenheit. Aber sie zeigen auch Menschen, die sich engagieren, um die Schönheit und die Identität ihrer Heimat zu bewahren. Am Ende des Buches kann man zwar die Frage „Japan, wer bist du?“ nicht beantworten, aber man ahnt, warum das Land der aufgehenden Sonne so viele Menschen fasziniert.
Info Fritz Schumann. Japan,wer bist du?, Reisedepeschen, 350 S., 26 Euro
2 Comments
Danke für die Rezension! Eine kleine Korrektur: „Die Reise nach Tokyo“ von 1953 („Tōkyō monogatari“) ist nur der Lieblingsfilm von Wim Wenders – der Regisseur damals war Ozu Yasujirō.
Ah, danke, das war mir nicht bewusst.