Dass Israel ein traumatisiertes Land ist, ein Land, für das Kriege Alltag sind, das ist das große Thema der Schriftstellerin Lizzie Doron – auch in ihrem neuen, autobiographisch gefärbten Roman „Was wäre wenn“. Was wäre wenn die Ich-Erzählerin, ein alter Ego der Autorin, mit dem Jugendfreund Ygal zusammengekommen wäre? Was wäre, wenn sie sich früher wieder gesehen hätten? Was wäre, wenn Ygal nicht in Gefangenschaft geraten wäre? All diese Fragen gehen der Erzählerin nach einem Besuch bei dem todgeweihten Jugendfreund im Kopf herum.
Im Sog der Erinnerungen
Er hatte sie noch einmal sehen wollen. Und in der Nacht nach dem Besuch am Sterbebett des Freundes überfallen sie Erinnerungsfetzen, Schlaglichter auf ihre Jugend, den Wehrdienst, die anfängliche Euphorie und die lange Enttäuschung. Es ist kein klarer Gedankenfluss, die Erinnerungen sind sprunghaft, ungeordnet. Die Erzählung mäandert zwischen der schlaflosen Nacht und der Kindheit mit einer vom KZ gezeichneten Mutter, zwischen dem Besuch im Hospital und der Freundschaft mit dem jungen, rebellischen Ygal Ben Dror, aus dem irgendwann Ygal Dobrinsky wurde, zwischen dem Tod der Mutter und der eigenen Angst.
Zum Sterben nach Israel
Wie Ygal hat sich auch die Erzählerin weit vom naiven Idealismus ihrer Jugend entfernt, wie er sieht sie kritisch, was aus dem einst so geliebten Staat Israel geworden ist. Doch Ygal hat sich nicht damit begnügt, sich zurückzuziehen. Er hat sich als Einmann-Opposition eingemischt, gegen Rassismus und Nationalismus gekämpft, ist für Menschenrechte eingetreten und bei alldem zum Zyniker geworden. Und doch ist er zurückgekehrt nach Israel, dem „besten Ort für Juden um zu sterben“.
Trauer und Wut
Für die Ich-Erzählerin ist das alles nur schwer erträglich. Die Erinnerungen wühlen sie auf, da hilft keine Ablenkung. Sie ist nicht nur traurig, sie wütet. Und während Ygal allein in seinem Hospizbett stirbt, hat sie ihn wieder zurück in ihr Leben geholt. Das ganze Buch ist ein sehr weltliches Kaddisch für einen verlorenen Freund und ein Aufschrei gegen einen Staat, in dem der Krieg zum Alltag geworden ist.
Leben mit den Kriegen
Im Interview mit der Deutschen Welle sagte Lizzie Doron: „Ich bin jetzt beinahe 70 und habe so viele Kriege erlebt. Als ich drei Jahre alt war, den Sinai-Krieg, als ich in der Grundschule war, den Sechstagekrieg, als ich zur Armee ging, kam der Yom Kippur Krieg, als ich eine junge Mutter war, die Intifada und der Golfkrieg und so weiter und so weiter. Als meine Kinder zur Armee gingen, gab es den Libanonkrieg. Es ist eine nie endende Geschichte. So zu leben, macht alle zu Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen.“
Info Lizzie Doron. Was wäre wenn, dtv, 145 S., 18 Euro
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