Neulich im Fernsehen: „Sie sagt, er sagt“, ein Stück von Ferdinand von Schirach über eine Vergewaltigungsklage und die unterschiedlichen Perspektiven. Darum geht es auch in dem aufrüttelnden Roman „Service“ von Sarah Gilmartin. Service um schreibt die dienstbaren Geister in einem Restaurant. Dass vor allem die Service-Kräfte, also die Kellnerinnen, immer zu Diensten sind, ist ein weit verbreiteter Irrtum, dem nicht nur männliche Gäste erliegen.
Nein heißt nein
Lange Zeit galten das Tätscheln des Hinterns, der tiefe Blick ins Dekolleté als Kavaliersdelikt. Das hat sich mit der #MeToo-Bewegung grundlegend geändert. Doch viele Männer scheinen es noch nicht begriffen zu haben. Zu ihnen gehört auch der Sternekoch Daniel, der seinerseits über die Anmache von zumeist älteren Kundinnen klagt. Doch er hat nicht erkannt, dass auch für Chefs gilt: Ein Nein ist ein Nein.
Hannahs Grenze
Ziel seiner unwillkommenen Avancen ist die hübsche, blutjunge und naive Hannah. Auch wenn sie zwischendurch den Versuchungen von Alkohol und Drogen erliegt und die Bevorzugung durch den Chef genießt, zieht sie immer eine Grenze. Nach einem Abend voller Stress und der anschließenden Alkohol und Drogen geschwängerten Feier des Personals in der Küche, passiert dann, was Hannah unbedingt vermeiden wollte.
Der Zorn der Frauen
Doch zur Anklage gegen Daniel kommt es erst Jahre später. Es ist Hannahs lebenslustige Kollegin Tracy, die den übergriffigen Chef zur Rechenschaft ziehen will – und damit krachend scheitert. Denn Tracys Lebenslauf ist gefundenes Fressen für die Verteidigung. Daniel, von Freunden, Gästen und der Familie fast schon vorverurteilt, wird frei gesprochen und fühlt sich völlig rehabilitiert. Doch da hat er nicht mit dem Zorn der Frauen gerechnet…
Drei Perspektiven
Sarah Gilmartin lässt in ihrem Roman drei Personen zu Wort kommen: Daniel, Hannah und Daniels Frau Julie. Diese höchst unterschiedlichen Perspektiven bringen Spannung in den Erzählfluss und verunsichern die Lesenden. Denn Daniel kann durchaus Sympathien wecken, seine Sorge um die Familie kann man teilen, selbst seine Leidenschaft für das Restaurant. Hannah dagegen weckt Beschützerinstinkte, selbst dann noch, als sie sich bewusst in den Exzess stürzt. Und Julie? Sie steht scheinbar zwischen den beiden, fühlt sich ihrem Mann und der Familie verpflichtet und kann doch nicht einen hartnäckigen Verdacht abschütteln, der sie quält.
Eine Ermächtigungsgeschichte
Service ist nicht nur ein starker Roman, es ist auch eine Ermächtigungsgeschichte für Frauen. Eine Aufforderung, jede Art von sexueller Gewalt und von Übergriffen zur Anzeige zu bringen. Für die Daniels dieser Welt wird die Luft dünner.
Hineingelesen…
… in Hannahs Albtraum
„Flynn“, sagte Daniele. „Lass sie in Ruhe.“ Er schnappte sich Flynns Arm und zog ihn zurück. „Lass sie.“
„Was zum -“
„Raus“, sagte Daniel.
„Das ist doch nicht dein Ernst, Alter, du -“
„Ich hab gesagt, raus,“ warnte Daniel ihn. „Hau ab.“
Flynn war verblüfft, kokainbeflügelte Wortschwalle brachen aus ihm hervor, doch Daniel Brachte ihn zum Schweigen.
„Verpiss dich.“ Daniel öffnete die Tür zum Flur und stieß Flynn aus der Kühlkammer.
Er streckte den Kopfe hinaus und sagte irgendetwas, das ich nicht verstand. Ich wollte aufstehen. Als die Tür wieder zuging, stand ich aufrecht, das weiß ich noch.
„Tut mir leid.“ Daniel nahm mich in den Arm. „Der ist ein Tier.“
Meine Beine gaben nach, und ich sackte gegen ihn.
Er zog ein Geschirrtuch aus der Tasche und drückte es auf meine Platzwunde. Er stank nach Knoblauch: „Arme Hannah.“ Er tupfte auf der Wunde herum, wiederholte meinen Namen. Dann küsste er mich snaft auf die Stirn, auf die Nase. „Schon gut“, sagte er . Ich war froh, als er das Handtuch fallen ließ, aber dann waren seine Hände in meinen Haaren, feuchte Lippen auf meinem Mund.
„Nein.“ Ich spürte, wie wir nach unten sanken.
„Komm schon“, raunte er mir ins Ohr. „Tut mir leid, dass er dir Angst eingejagt hat. Aber jetzt sind wir zu zweit, Hannah. Du und ich. Zwischen uns ist doch was.“
„Nein“, sagte ich. „Bitte, Daniel.“
„Zier dich nicht so“, sagte er. „Ich kenne dich doch.“
„Ich will nicht-“
„Schon gut. Schhh.“ Er legte uns auf den Boden.
„Nein.“
„Du willst es doch auch“, sagte er.
Und dann hörte ich auf, Nein zu sagen, weil ich dachte, dass es so einfacher würde. Weniger gewaltsam, weniger peinlich.
Info Sarah Gilmartin, Service, Kein & Aber, 319 S., 24 Euro
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