Im Freien fühlt sich Björn Kern am wohlsten. Nahweh nennt der Autor den Drang nach Draußen, das Bedürfnis, in die Natur einzutauchen, die Nacht im Wald zu verbringen. Um diesen Drang zu befriedigen bedarf es keines Flugzeugs und keiner Bahn. „Man muss nur vom Schreibtisch aufstehen, die Haustür aufstoßen und nach draußen gehen.“ Wobei Kern Glück hat mit seiner Exit-Strategie: Björn Kern lebt in einer „brüsken Landschaft“, im Oderbruch in einem „im Verfall begriffenen kleinen Hof“. Hier kann er dem Nahweh nachgeben und immer wieder im Lauf der Jahreszeiten eine Wunderwelt entdecken.
Eine Ode an die Nähe
„Deutschland als Nation taugt nicht als Sehnsuchtsort“, schreibt er, „wohl aber seine Ränder, seine Brachen, seine Auen, Lüche und Brüche.“ Womöglich ist seine Ode an die Nähe heute in Zeiten des Corona Virus das Buch der Stunde. Denn wenn Europa zum Sperrgebiet mutiert, die Kreuzfahrtschiffe und Hotels zu Quarantänestationen, dann bekommt die nächste Umgebung wieder eine ganz neue Qualität.
Wie wäre es, fragt sich Björn Kern in einer schlaflosen Nacht, „wenn alle ihre Häuser verließen und ins Mondlicht drängten, die Sommernacht feierten, und am nächsten Morgen kein Flugzeug mehr ginge, kein Bus und keine Maschine und wie glücklich der volkswirtschaftliche Ausfall alle machen würden, wie sauber die Luft, wie frei die Gehirne“. Das klingt in diesen Tagen fast schon wie ein Prophezeiung. Der Autor will die Menschen aus der saturierten Gleichförmigkeit des Alltags locken – nach Draußen.
Das Große im Kleinen entdecken
Man muss ja nicht gleich den totalen Kontrollverlust beim Eisbaden riskieren oder die „körperliche Schizophrenie“ in der Schwitzhütte eines Schamanen erleben wollen, um Neues zu entdecken, das „Große im Kleinen“ vielleicht, einen Kranich im Flug, einen Fuchs im Feld. Seine fast schon poetischen Naturbeschreibungen machen Lust auf eine kleine Entdeckungsreise vor der Haustür, lassen ahnen, wie viel die Natur geben kann, wenn sich der Mensch auf sie einlässt.
Gegen die Outdoor-Industrie
Manche Erfahrung, die Björn Kern in seinem Buch schildert, ist grenzwertig. Aber die Idee, sich der nahen Natur auszusetzen, um sich selbst wieder zu spüren, hat etwas Verlockendes. Allen, die dieser Verlockung nachgeben wollen, gibt der Autor allerdings noch einen Hinweis mit auf den Weg: „Das Gefühl im Freien zu sein darf nicht länger von der Outdoor-Industrie gekapert werden, die genau anders herum vorgeht, die das Drinnen nach Draußen trägt, die Zivilisation in die Wildnis statt das Draußen nach Drinnen, also die Freiheit in den Alltag.“
Info: Björn Kern. Im Freien – Abenteuer vor der Tür, Fischer, 216 S., 14,99 Euro
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