Himmel und Hölle

7. Februar 2024

Peter Grandl bleibt in seinen Thrillern stets nah an der Realität, das macht sie umso beängstigender. Auch der neueste Wälzer aus der Grandl-Werkstatt „Höllenfeuer“ ist keine Science Fiction, sondern in unserer Gegenwart angesiedelt – teilweise sogar mit Klarnamen: Ein Islamist verübt in einer Münchner U-Bahn einen Anschlag, der über 300 Opfer fordert. War der bayerische Innenminister mit dem bezeichnenden Namen Himmel das Ziel? Der Politiker fährt jeden Montag mit der U-Bahn statt mit dem Dienstwagen in die Staatskanzlei.

Glaubenskrieg und Höllenfeuer

Schon der Titel des Thrillers, Höllenfeuer,  zeigt, welche Dimension der Autor anstrebt, und die Kapitelüberschriften Genesis, Exodus, Levitikus, Numeri, Deuteronomium verweisen auf den Pentateuch, die fünf Bücher Mose. Allerdings geht es auf den 472 hochspannenden Seiten nicht um Israel, die Juden oder Antisemitismus. Es geht um islamische Terroristen, die den Glaubenskrieg mitten hineintragen wollen in die deutsche Bevölkerung – mit Feuer, Schwert und Gift.

Die Folgen von Nowitschok

Der Attentäter in der U-Bahn hat eine Substanz versprüht, die eine indische Ärztin, schnell als Nowitschok identifiziert, eine hochgiftige Substanz, die bei dem Mordversuch an Sergej Skripal eingesetzt worden war. Ein Lockdown für München ist die Folge der Entdeckung. Doch davon lassen sich die Terroristen nicht von weiteren Morden abhalten. Genauso wenig wie von den beiden Ermittlern Torge Prager und Markus Erdmann. Dabei hat Prager schon früh einen Verdacht, steht aber damit ziemlich allein.

Zwischenmenschliches…

Nicht nur die Verweise auf aktuelle Ereignisse und die Klarnamen einiger der Protagonisten zeigen, wie ausgiebig Peter Grandl auch für diesen Thriller recherchiert hat. Natürlich darf bei aller Spannung auch Zwischenmenschliches nicht fehlen: Der Innenminister hat bei einem Unfall seine geliebte Frau verloren, eine Iranerin und Mutter seines rebellischen Sohns Lukas.

… und Liebensgeschichten

Seine Tochter Antonia, ebenfalls ins Staatsdiensten, hatte vor Jahren eine aussichtslose Affäre mit Torge Prager, ihrem Cousin. Diese Liebe lebt wieder auf, als Prager nach dem Anschlag nach München kommt. Dann ist das noch die indische Ärztin Indira, die ihren tunesischen Verlobten Hamid vor dem Nowitschok-Tod bewahrt – gegen alle Einwände ihres frauen- und fremdenfeindlichen Chefs. Auch das Flüchtlingspaar Abaaoud verbindet eine intensive Liebesgeschichte.

Erschreckend nah an der Realität

Diese amourösen Randgeschichten lockern die nervenaufreibende Handlung etwas auf, offenbaren aber auch die Schwächen des Thriller-Autors. Peter Grandl hat zwar seit seinem ersten Thriller „Turmschatten“ stilistisch durchaus dazu gelernt, kämpft aber zwischendurch immer noch mit einer eher hölzernen Sprache. Das tut allerdings der Spannung keinen Abbruch.
„Höllenfeuer“ jagt einem kalte Schauer über den Rücken, auch weil Grandl so nah an der Realität bleibt. Es gehe ihm darum die Zebrechlichkeit unserer Demokratie zu zeigen, hat der Autor gesagt. Das ist ihm gelungen. Der Cliffhanger am Schluss zeigt, dass Peter Grandl noch lange nicht am Ende seiner Schreckensszenarien ist.

Hineingelesen…

… in die Reaktionen auf den Anschlags

Schließlich griff eine Paranoia um sich wie Schimmel, der in feuchen, geschlossenen Räumen gedieht, sich in den Ecken der Wände einnistete und seine giftigen Sporen verbreitete. Menschen mit dunkler Hautfarbe wurden kollektiv als potenzielle Terroristen verdächtigt, insbesondere, wenn sie Muslime waren, Kopftücher trugen oder Moscheen besuchten. In U-Bahnen und Bussen nahmen die Fahrgäste erst gar nicht mehr Platz, um fluchtartig aussteigen zu können, wenn verdächtig aussehende Personen zustiegen. Reihenweise gab es Notrufe bei der Polizei, weil Menschen ihre muslimischen Nachbarn verdächtigten, Terroristen zu sein. Dann kamen die Übergriffe: Bilder von brutal zusammengeschlagenen und misshandelten Ausländern machten Schlagzeilen. Und wieder einmal brannten in Deutschland Asylantenheime, weil Demagogen aus dem rechten Flügel mit populistischen Parolen Flüchtlinge für das Leid verantwortlich machten. Aus demselben braunen Sumpf entsprang auch die Idee, in Stadtvierteln und Ortschaften „Nachbarschaftswachen“ zu organisieren – ganz nach amerikanischem Vorbild, am besten bewaffnet und uniformiert. Das Erschreckende dabei war nicht die Idee allein, sondern die große Zustimmung, die der Vorschlag bei einer breiten Bevölkerungsschicht fand.
Ein großes Boulevardblatt fasste in seiner Sonntagsausgabe all diese düsteren Entwicklungen in einem plakativen Aufmacher zusammen und brachte damit auf den Punkt, was viele Menschen in Deutschland dachten:

GOTT STEH UNS BEI

Unter diesem Eindruck traf am Montag das gesamte Kabinett der Bundesregierung in München ein, um gemeinsam mit der Bayerischen Staatsregierung der der dreihundertvierzehn Opfer zu gedenken, die seit dem Anschlag vor einer Woche gestorben waren.

Info Peter Grandl. Höllenfeuer, Piper, 480 S., 18 Euro

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