Warum fühlen sie sich nicht als Europäer? Auf der Suche nach Erklärungen für das Verhalten seiner Schülerinnen und Schüler geht Jan Kammann, Lehrer an einer Europaschule, auf eine Reise in deren Heimatländer – nach Griechenland, Nordmazedonien, Serbien, in die Türkei, nach Ungarn, in die Ukraine und – ja auch das – nach Nordirland.
Heterogener Kontinent
Auch er muss lernen, wie heterogen dieser Kontinent ist, was die einzelnen Nationalitäten voneinander trennt, wie lange Kriege und Konflikte nachhallen – nicht nur im Balkan, auch in Nordirland. Der unkonventionelle Lehrer, der am liebsten in Hostels absteigt und keiner Plauderei aus dem Weg geht, erlebt viel herzliche Gastfreundschaft, stößt aber auch immer wieder an seine Grenzen.
Wichtige Hintergründe
Nach dem Erfolg seines Bestsellers „Ein deutsches Klassenzimmer“ lässt sich Jan Kammann auch in diesem Buch gern auf neue Erfahrungen ein, er entdeckt dabei nicht nur kulinarische Besonderheiten, sondern auch spannende Hintergründe – etwa zum russischen Überfall auf die Ukraine. Hier wird ihm klar, dass für die Menschen damals ihr bisheriges Leben endete und „es nie wieder so sein wird wie es war“.
Zusammen und doch allein
Das gilt auch für seine Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine: „In den ersten Tagen in der Schule tauschten sie sich aus und teilten, was sie durchgemacht hatten. Die Geschichten ähnelten einander, zumindest, was die Fluchterfahrungen betrifft, und es entstand ein Gefühl der Gemeinschaft, und doch gibt es da scheinbar etwas, was man nicht teilen kann. Mir kam es vor, als seien sie zusammen und bleiben doch allein.“
Ungewisse Zukunft
Sie haben ihrem Lehrer ihre Geschichten aufgeschrieben – auch vom unbeschwerten Leben vor dem Krieg. „Ich lebe in Deutschland und vermisse mein Zuhause und meine Freundinnen jede Sekunde meines Lebens“, schrieb die 14-jährige Karina, und Jan Kammann weiß, dass „wir es nicht geschafft haben, ihr (und kaum einer anderen Schülerin, kaum einem anderen Schüler), eine neue Perspektive zu eröffnen“.
In der Ukraine ist der Ausnahmezustand derweil normal geworden, registriert der Lehrer bei einer Reise, aber: „Ich kenne niemanden, der weiter als zwei Monate in die Zukunft denkt“, sagt der ukrainische Gesprächspartner. Und der Besucher empfindet die Atmosphäre in der Hauptstadt Kyiv als „einzigartig aber nicht normal“.
Eine Chance für Europa
Das erklärt vielleicht auch, warum der Lehrer mit seinem Deutschunterricht für Ukrainische Kinder gescheitert ist. Die Jugendlichen waren nicht bereit dafür. „Wie auch? Sie wurden von einem Tag auf den anderen aus ihrem bisherigen Leben gerissen und fanden sich seither an verschiedenen Orten in Europa wieder, die sie meisten nach kurzer Zeit wieder verlassen mussten.“
Jan Kammann hält sich nicht raus aus den heute so akuten Diskussionen um Migration und deutsche Kultur. Er ergreift Partei, gibt „seinen“ Jugendlichen eine Stimme und macht Hoffnung darauf, dass Europa doch noch eine Chance hat.
Info Jan Kammann. Ein europäisches Klassenzimmer, Malik, 320 S., 20 Euro
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