Lucy Adlington hat sich von einer wahren Geschichte zu ihrem aufwühlenden Roman „Das Rote Band der Hoffnung“ inspirieren lassen. In dem Buch erzählt sie die fiktive Geschichte von Ella und Rose und anderen Mädchen, die in einer KZ-Schneiderei Kleider für die Aufseherinnen und die Frauen der SS-Leute anfertigten. Dichtung und Wahrheit sind hier eng beieinander.
Zebras und Eichhörnchen
Lucy Adlington lässt Ella erzählen, eine 15-Jährige, die von der Straße weg nach Birkenau deportiert wurde. Der anfangs eher schnoddrige Ton hilft ebenso dabei, das Grauen in Schach zu halten, das die qualmenden Kamine von Auschwitz verströmen, wie Ellas Angewohnheit, die anderen Mädchen mit Tieren zu vergleichen. Zebras sind alle Frauen wegen der gestreiften Häftlingskleidung. Und Rose, das zarte immer höfliche und rücksichtsvolle Mädchen, erinnert die robustere Ella an ein Eichhörnchen.
Überleben mit Nähkunst
Dass sie und Rose im Lager unzertrennliche Freundinnen werden würden, ahnt sie am Anfang nicht. Das elternlose Mädchen will sich ohne Rücksicht auf die anderen einen Platz in der Näherei erobern, und das schafft sie auch. Eine ganze Zeit lang kann sie die strenge Mina und die Aufseherinnen mit ihre Nähkunst überzeugen, und Rose ist ihr dabei eine große Hilfe.
Doch das KZ fordert Opfer. Die Aufseherinnen sind unberechenbar. Und so landen die beiden Mädchen in der Wäscherei, wo sie der harten Arbeit und der Kälte kaum gewachsen sind.
Grausiger Alltag im KZ
Überhaupt der Alltag im KZ: Erträglich wird er nur durch die Geschichten von Rose und Ellas Träumereien. Auch wenn Lucy Adlington zu drastische Schilderungen der Grausamkeiten vermeidet und den Mädchen hin und wieder ein gemeinsames Lachen gönnt, machen Details immer wieder die Unmenschlichkeit des Systems deutlich. Eines Systems, das Juden und Andersdenkende zu Untermenschen degradierte. Eines Systems, in dem selbst die Unterdrückten zu Unterdrückern wurden, um überleben zu können.
Wie Ella überlebt
Dank Rose lernt Ella, dass Rücksicht das Zusammenleben auch im KZ leichter macht, dass Freundschaft ein Grund zum Überleben ist. Doch dann ist Rose verschwunden – aus dem Todestrakt. Und Ella findet sich mit anderen auf einem Todesmarsch.
Dass sie überlebt, ist von Anfang an klar. Wie könnte sie sonst erzählen, was sie erlebt hat? Dass auch ihre Träume Wirklichkeit werden, ist fast zu schön, um wahr zu sein. Doch wie sagt Rose auf die Frage, wie sie wissen konnte, dass Ella überlebt hat: „Weil alles andere unerträglich gewesen wäre“.
Träumerei und Wirklichkeit
Das ist auch die Antwort auf manche, fast zu positiv gezeichneten Szenen in dem Buch. Gäbe es sie nicht, die Schilderungen von Hunger, Not und Entmenschlichung wären für die jugendlichen Leser unerträglich. Womöglich ist es gerade der harte Gegensatz zwischen Träumerei und Wirklichkeit, der dafür sorgt, dass Ellas Geschichte so nahe geht.
Hineingelesen…
… ins KZ-Warenhaus
Jetzt gab es keine Flucht vor der Wahrheit mehr. Kein Wegschauen. Keine Ablenkungsmanöver. Das Warenhaus war keine wertvolle Schatztruhe. Kein luxuröses Einkaufserlebnis. Es war ein schrecklicher Friedhof gestohlener Besitztümer. Wir alle waren mit Kleidern und Koffern hierher gekommen. Alles hatten sie uns weggenommen. So waren wir noch verletzlicher geworden. Wem alles genommen wird, der hat nur noch seinen nackten Körper, der geschlagen, geschunden und versklavt werden konnte… oder Schlimmeres.
Alle Kleidung und sämtliches Gepäck wurden gesammelt, sortiert, gereinigt und wiederverwendet. Wie grauenhaft effizient.
Rose hatte recht gehabt.
Das hier war das Lager eines Monsters, geführt von Monstern, die aussahen wie normale Menschen in Anzügen und Uniformen. Statt eines Märchenschlosses oder eines Kerkers hatten sie eine Fabrik gebaut. Eine Fabrik, die Menschen in Geister verwandelte und aus ihrem Besitz Profit schlug.
Ich nicht. Mir konnte das nicht passieren! Auch wenn ich meine Schultasche und meinen Pullover mit den Kirschen drauf nicht mehr hatte, war ich immer noch Ella. Aus mir würde
kein Geist werden, der als Rauch aus dem Schornstein stieg.
Beim Verlassen der Baracke stolperte Rose über einen schmalen braunen Koffer. Er klappte auf und eine Welle von Fotos schoss heraus. Rose rutsche aus und landete auf ihrem Hintern, umgeben von einer Flut von Bildern. Sommerferien, Babys, Hochzeitungen, Einschulungen…
Als ich Rose auf die Beine half, trampelten wir unwillkürlich auf den vielen Gesichtern herum. Ich hörte, wie Rose „Entschuldigung“ murmelte, als wären es richtige Leute. Was sie einst auch waren.
Ich hielt sie fest und sah ihr in die Augen.
„Wo dürfen wir nicht enden“, erklärte ich. „Unsichtbar wie Gespenster. Uns gibt es doch immer noch, auch wenn sie uns unsere Schuhe, Kleidung und Bücher weggenommen haben. Wir müssen so lebendig wie möglich bleiben, wie Gerda gesagt hat. Weißt du, was ich meine?“
Roses Blick flackerte nicht. „Wir werden leben“, sagte sie.
Info Lucy Adlington. Das Rote Band der Hoffnung, Magellan, 335 S., 18 Euro
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