Susan Kreller hat eine ganz eigene Stimme, an die man sich erst gewöhnen muss. Das gilt für ihren neuen Roman „Das Herz von Kamp-Cornell“, der erst nach und nach eine sog-artige Spannung entwickelt. Sprachmächtig erzählt die versierte Autorin von einer außergewöhnlichen Familie, einem scheinbar verfluchten Haus und der Überwindung der Angst.
Die Schwestern
Sie sind vier Schwestern, die nichts mehr verbindet außer dem Namen, und auch das gilt nicht für alle vier. Eine der Schwestern trägt auch einen anderen Namen. Sie haben sich jahrelang nicht gesehen, aber nun bringt ein Brief mit der einzigen Zeile „zu spät“ sie wieder zusammen – im entleerten Elternhaus. Mit seinen seltsamen Geräuschen hatte es die Jugend der Frauen vergiftet. Entsprechend traumatisch fällt das Wiedersehen aus – auch mit dem hinfälligen Vater Viktor.
Die Kinder
Weder die Schwestern noch ihre Kinder – zwei Jungen und drei Mädchen, die alle auch ihre Traumata haben – schaffen es, sich zu verständigen. Das Haus verdammt sie zur Sprachlosigkeit. Johnny, der Jüngste, versucht die Angst zu verdrängen, indem er zwanghaft weiße Dinge berührt, immer und immer wieder. Penelope und Gabriela haben den Tod ihrer Drillingsschwester nicht verkraftet. Lu, die Tochter der toughen Geschäftsfrau Bernadette, kaut lieber Kaugummi als zu reden, und Edin ist zu schüchtern, um seine Stimme zu erheben.
Die Aufklärung
Die Jugendlichen belauern einander mit Misstrauen, während ihre Mütter versuchen, der überwältigenden Erinnerung zu entkommen. Und doch schreit das Haus nach Aufklärung. Aber ohne Hilfe von außen kann sie nicht gelingen, zu befangen sind die Familienmitglieder. Doch dann passiert fast alles auf einmal: Der alte Vater ist aus seiner Starre erwacht und mischt sich unter seine Nachkommen, während ein Gewitter das Haus erzittern lässt. Und es ist ausgerechnet der Autist Johnny, der die Tür zur Lösung öffnet und offenbart, was das Herz von Kamp-Cornell war.
Subi
Susan Kreller baut ihren Roman über die Verführbarkeit von Menschen und ihre Skrupellosigkeit mit subtilen Horror-Bezügen auf. Ihre Protagonisten kommen einander im Lauf der Geschichte zwar näher aber nicht wirklich zusammen. Sie müssen mit sich selbst auskommen – und mit dem Unbegreiflichen.
Hineingelesen…
… in das Haus
Auch die Zeit im Haus von Viktor Melitzky wuchs und wuchs, und trotzdem konnte man sie nicht sehen, schon gar nicht auf den Gesichtern hier. Nichts veränderte sich, alles bleib, wie es war. Und dagegen wäre ja auch nichts einzuwenden gewesen, wenn das, was blieb, wenigsten gut gewesen wäre. Nur – das war es nicht. Schlimm war es aber auch nicht.
Es war halb so schlimm.
Und das Fürchterliche, das schier Unerträgliche an den halb so schlimmen Dingen war , dass sie sich einnisteten. Dass sie zurückhaltend und trotzdem aufdringlich waren. Man konnte sich nicht mit ihnen anliegen, konnte sie nicht irgendwann in Würde hinter sich lassen wie die urkundlich bestätigten schlimmen Dinge, weil sie eben noch nicht schlimm genug waren und man sie deshalb gewährend ließ, aus Höflichkeit, möglicherweise aus Trägheit.
Auch in Kamp-Cornell.
Vorzugsweise in Kamp-Cornell.
Wo, wenn nicht hier?
Aber wenn man hätte sagen müssen, was in diesen Wochen am halbsoschlimmsten war, dann waren es mit Sicherheit die unergründlichen Geräusche in Viktor Melitzkys Haus, dich gefolgt von Viktor Melitzky selbst, der fast gar keine Geräusche mehr machte, und von neunmal Angst in unterschiedlichen Größen und Ausführungen.
Zahnmal Angst.
Vielleicht.
Die Geräusche kamen nur nachts aus ihren Löchern, tags wurden sie übertönt von Rosalie Melitzkys melancholischem Pfeifen oder vom Klingeln der Pflegetruppe, von den leicht piepsigen Stimmen der zwei Drillinge oder von Lu Winnefelds platzenden Kaugummiblasen; tagsüber, da würden die rätselhaften Geräusche vom Tag selbst zum Schweigen gebracht.
Doch wehe, wenn sich der Tag aus dem Staub gemacht hatte.
Wann an seiner statt die Nacht in den Staub kam.
Info Susan Kreller. Das Herz von Kamp-Cornell, Carlsen, 286 S., 15 Euro
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