Stephan Orth liebt das Reisen, gern zu Sofas in aller Welt. Doch in Corona-Zeiten war es nichts mit Couch-Surfing. „Nun stattdessen Einreisebeschränkungen, Flugausfälle, Abstandsregeln. Es ist, als wolle uns ein mikroskopisch kleines Virus klarmachen, endlich mit den Makro-Reiseexzessen aufzuhören und einzusehen, dass es nicht normal ist, für ein Viertel oder Sechstel eines Monatsgehalts um die halbe Welt zu fliegen.“
Aus- statt eingesperrt
Doch immer nur zu Hause zu sitzen war auch nichts für den umtriebigen Journalisten, zumal er sich auch immer bewusst ist, dass „ohne persönliche Begegnungen ferne Länder immer abstrakter werden“. So kam er auf die Idee, vier Wochen durch sein einstiges Lieblingsland England zu reisen und dabei immer draußen zu bleiben. Aus- statt eingesperrt also. Zu Fuß, mit dem Rad, auch mal auf dem Fluss in einem Paddelboot.
Ein Weg ohne Reiseführer
„Ich bin eine Art pandemischer Katastrophentourist“, schreibt Stephan Orth am Anfang. Als solcher wird er viel erleben und sich immer mehr ans Draußensein gewöhnen. Und am Ende, nachdem er mehr als 750 Kilometer aus eigener Kraft geschafft hat „auf einem Weg, der in keinem Reiseführer der Welt vorgeschlagen wird“, könnte er sich vorstellen, wieder mal „ein fröhlicher Landstreicher mit Kreditkarte, Regenjacke und Auslandskrankenversicherung“ zu sein.
Ein Hoch auf „Free Spirit“
Unterwegs hat er sein Mini-Zelt in Gärten und Parks aufgeschlagen, am Wegrand und in einem Friedhof. Ein besonders netter Mensch hat ihm aus Schrottfahrrädern einen halbwegs fahrbaren Drahtesel zusammengeschraubt. Recycling im besten Sinn des Worts. „Free Spirit“ nennt er das Rad, das ihn 400 Kilometer lang begleitet und von dem er sich trotz aller Macken nur schwer trennen kann.
Gute Gastgeber
Und dann die Menschen, junge und alte, Brexiteers und Revoluzzer, Weltenbummler und Gartenfreunde. Alle gute Gastgeber, die den Draußengast auch an ihrem Alltag teilhaben lassen und teilweise großzügig bewirten. Denn ganz so einfach ist die Essensbeschaffung nicht, wenn man keinen Laden betreten will.
Die Sache mit dem Örtchen
Dafür freut sich so ein „Outsider“ über ein „Wohlfühlörtchen“, eine besonders schön gelegene Komposttoilette auf dem Land, oder über einen traditionellen „Temple of Relief“ in Birmingham, der ihm Erleichterung verschafft. Wer draußen bleiben will, darf auch da nicht pingelig sein, sollte aber auf jeden Fall darauf achten, die Natur nicht zu verschandeln.
Reisen ja, aber wie
Es sind oft die kleinen Freuden, die Stephan Orth bei seiner Draußen-Tour zu schätzen lernt, die eher unspektakulären Erlebnisse. Auch weil sie hart erkämpft sind. Am Ende eines jeden Kapitels gibt der Autor Tipps fürs Draußensein. Denn er weiß: „Mit dem Reisen aufzuhören, ist auch keine Lösung. Wir müssen nur dringend über das ‚wie‘ nachdenken.“ Und womöglich findet seine Idee ja Nachahmer…
Info Stephan Orth, Absolutely ausgesperrt, Malik, 224 S., 18 Euro
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