Ein Frauenleben zwischen den Welten

30. März 2022

Anne Müller („Sommer in Super 8“) hat mit „Das Lied des Himmels und der Meere“ zwar einen historischen Roman geschrieben. Doch die Hauptperson Emma, die nach Kalifornien auswandert statt einen Mann zu heiraten, den sie nicht lieben kann, ist ihrer Zeit weit voraus. Von Feminismus war zu ihren Lebzeiten noch keine Rede, aber Emma schafft es, ein in vielen Bereichen selbst bestimmtes Leben zu führen.

Inspiration durch die Ururgroßtante

Hartnäckig kämpft sie gegen die Bevormundung der Eltern und später des Ehegatten an. Anne Müller, die gern Biographisches in ihren Romanen verarbeitet, hat sich vom Leben ihrer Ururgroßtante zur Figur der Emma inspirieren lassen. Sie ist den Spuren ihrer Ahnin gefolgt, die tatsächlich nach Amerika ausgewandert ist und hat aus Fakten und Fiktion einen lesenswerten Roman gestrickt.

Zwischen zwei Männern

Dabei hat sie es geschafft, die Atmosphäre der damaligen Zeit mit ihren zahllosen Konventionen so erlebbar zu machen wie das Streben der Protagonistin nach dem eigenen Glück. Das Leben der Ururgroßtante gab zwar den Anstoß für den Roman, doch die Leerstellen musste die Autorin mit der eigenen Vorstellungskraft füllen. Und so gerät ihre für die damalige Zeit reichlich emanzipierte Emma zwischen zwei Männer. Dass sie sich für den ihr angetrauten Gatten entscheidet, ist der Zeit und ihren Ansprüchen geschuldet. Denn ihre große Liebe ist der andere.

Erfrischend respektlos

Anne Müller beschreibt den Lebensweg dieser patenten Frau in einem klassisch erzählten Roman, hin und wieder unterbrochen durch Briefe, in der Emma der Schwester zu Hause in Schleswig  erfrischend respektlos ihre Sicht der Dinge schildert. Sie hat zwar in Amerika aus eigener Kraft ein Leben gefunden, das ihr größtenteils entspricht, aber nicht das ganz große Glück. Auch die Sehnsucht nach der alten Heimat nagt an ihr. Womöglich hat ihre Nichte Emma da mehr Glück. Nach dem Tod der Mutter wird sie die Tante in die neue Welt und ein neues Leben begleiten.
Info: Anne Müller. Das Lied des Himmels und der Meere, Penguin, 400 S., 20 Euro

Hineingelesen…

… in Heimwehgedanken der Auswanderer

Emma hatte ihre Hand wieder von seiner genommen. „Das heißt, dass du deiner Mutter ähnlich siehst. Ich freue mich so für dich, Hans, dass du wieder Kontakt zu deinen Lieben aufgenommen hast.“
„Ich wollte dir danken, ohne dich hätte ich es nicht gemacht. Ach ja, mein Bruder hat mich eingeladen, mal sehen, wenn die Geschäfte wieder besser laufen, vielleicht mache ich das irgendwann einmal, eine Reise in die Heimat. Ich vermisse Dänemark doch sehr. Weißt du, ich träume fast jede Nacht von der Landschaft da oben, der Küste, dem Dünengras. Deshalb habe ich die Werft auch mit Blick auf die Halbinsel gebaut, das hier erinnert mich alles ein bisschen an Jütland. Weißt du noch, im Sommer die langen Tage da im Norden, hat dir das auch immer so gut gefallen?“
Emma wurde ganz melancholisch. Sie nickte. Ja, die kurzen Nächste, Juni, Juli, mit dem zauberhaften, blauen Abendhimmel, zu schön war das. Und ihr wurde klar, dass selbst jemand wie Hans, der seit über zehn Jahren hier lebte und den Kontakt abgebrochen hatte, nie mit seinem ganzen Herzen ausgewandert war, sondern immer noch an der Heimat hing. Hatte er diesen tiefen Schmerz tilgen wollen, indem er alle Fäden kappte? Und war ihm klar geworden, dass ihm das nicht gelungen war, dass sich, im Gegenteil, die gekappten Fäden auf eine schicksalhafte Weise zu einem noch festeren Seil mit der Heimat verbanden, das an einem zog. Emma verstand , dass sie als Ausgewanderte auch einen Preis zahlten. Den Preis der Halbherzigkeit, weder dort noch hier ganz zu Hause zu sein.

Info  Anne Müller. Das Lied des Himmels und der Meere, Penguin, 400 S., 20 Euro

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