Die Ukraine von innen

6. August 2024

Stephan Orth ist sicher einer der unerschrockensten Couchsurfer. 43 Jahre ist der Journalist und Buchautor inzwischen alt und noch immer bettet er sich gern auf Luftmatratzen, Sofas und Behelfsbetten, die Menschen für ihn bereitstellen, die er nur dem Namen nach kennt. Unerschrocken ist er deshalb, weil er sich dabei auch in Diktaturen wie den Iran wagt oder nach Russland. Doch so unerschrocken wie diesmal war er wohl noch nie. Denn der Couchsurfer, mittlerweile mit einer Ukrainerin liiert, hat die Ukraine zu seinem Ziel erkoren.

Starke Geschichten

Nicht ohne sich und seine Beweggründe zu hinterfragen: „Ich erlebe Tragödien aus der Nähe, und dann versuche ich, daraus Aufmerksamkeit zu generieren. Je extremer meine Erlebnisse sind, je mehr Gefahr ich mich aussetze, desto stärker die Geschichte“, weiß er aus eigener Erfahrung. Und eine starke Geschichte will er schreiben, um möglichst vielen Menschen eine Ukraine näher zu bringen, die sie nicht aus dem Fernsehen oder den Nachrichten kennen.

Hoffnung auf das Kriegsende

Natürlich ist Stephan Orth nicht in das vom Krieg heimgesuchte Land gereist, um touristische Tipps zu geben. Aber er will die Lesenden ermuntern: „Fahren Sie in die Ukraine, sobald das die Sicherheitslage erlaubt… Es lohnt sich sehr.“ Und er hofft auch: „Irgendwann ist dieser Scheißkrieg vorbei und dann wird der Tourismus helfen, die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen.“

Nah an der Front

Doch auf seiner Tour ist er mitten drin im Krieg, oft nah an der Front. Er erlebt hautnah mit, was die Menschen in der Ukraine mitmachen, sieht mit Entsetzen all die zerstörten Ortschaften, die Erinnerungen an die Toten. Er hilft zwischendurch beim Wiederaufbau, freut sich über liebende Paare in dieser feindseligen Welt und bewundert die Lebenslust, mit der die Ukrainer ihren schwierigen Alltag meistern. „Der Krieg in der Ukraine ist zehnmal schrecklicher als wir ihn uns aus der Ferne vorstellen können. Und gleichzeitig existiert zehnmal mehr Alltagsleben, als die meisten denken.“

Ungefilterte Erlebnisse

Stephan Orth ist ein erfahrener Couchsurfer. Aber nach 20 Jahren hat er das Gefühl, dass sich etwas verändert hat in der sozialen Interaktion. Die Neugier auf andere Menschen nimmt ab, die Vereinsamung zu. Doch er will den Menschen nahe kommen, ob Mann oder Frau, alt oder jung. Nur so, glaubt er, könne er ungefiltert über das Leben und Leiden in der Ukraine schreiben – auch wenn er dafür in den Keller gehen muss.

Blick hinter die Kulissen

Couchsurfing in der Ukraine ist ein Buch geworden, das viel über das Land und noch mehr über die Leute erzählt. Stephan Orth ermöglicht einen Blick hinter die Kulissen von Krieg und Zerstörung, einen Blick in Wohnküchen und Kellerabteile, in verbarrikadierte Gärten und offene Clubs.

Info  Stephan Orth. Couchsurfing in der Ukraine, Malik, 256 S., 18 Euro

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