Overtourism brauchte Dirk Liesemer nicht zu füchten, nicht einmal rund um Neuschwanstein – auch wenn er nicht in Corona-Zeiten unterwegs war. Denn nachts sind nicht nur alle Katzen grau, sondern auch nur wenige Menschen unterwegs. Das gilt für den Süden Deutschlands genauso wie für den Norden. Auf seinen Streifzügen durch die Dunkelheit ist Liesemer kaum Menschen begegnet, aber er hat erfahren „wie sehr uns Menschen die Nacht abhanden gekommen ist“. Das gilt vor allem für die Städte, gegen deren Dauerbeleuchtung der Sternenhimmel kaum ankommt.
Spinnen, Sagen, Sommersonnenwende
Dirk Liesemer hat seine nächtlichen Ausflüge im winterlichen Füssen begonnen und im herbstlichen Schwarzwald beendet. Er hat Sternen- und Spinnenforscher getroffen, Sagensammler und Astronomiefotografen, Jäger und Insektenforscher, Ornithologen und Künstler. Er hat unterm Sternenhimmel geschlafen, ist durch die Nacht geradelt, hat im Dunkeln Wälder und Moore durchwandert und die Sommersonnenwende zusammen mit Schamanen erlebt. In der Einsamkeit hat er sich an die Träume seiner Kindheit erinnert, an alte Geschichten und alte Lieder.
Zwischen Angst und Euphorie
Er hat Ängste ausgestanden und Momente voller Euphorie erlebt. An all diesen Erlebnissen lässt Dirk Liesemer die Leser teilhaben, er nimmt sie nicht nur mit auf seine Streifzüge, sondern auch in seine Gedankenwelt. Und er macht ihnen klar, wie wenig die Menschen unserer Zeit von der Nacht und ihrer Schönheit wissen, ja wie selten sie wirklich einen Sternenhimmel sehen. Liesemer ist keiner, der ausgerüstet mit Stirnlampe auf Abenteuersuche geht, er vermeidet es selbst beim Radeln, Licht zu machen. Er will die Dunkelheit hautnah erleben, will eintauchen in den schwarzen Mantel – in der Stadt wie auf dem Land, in den Bergen und an der See.
Wider die Lichtverschmutzung
Und er erkennt, dass Lichtverschmutzung nicht nur in den Städten stattfindet. Die Internationale Dark Sky Association engagiert sich dagegen. Sie hat das Havelland zum ersten Sternenpark Deutschlands gemacht. Natürlich war Dirk Liesemer auch dort und hat sich in „mondloser Dunkelheit“ an seinen Großvater und „Peter und der Wolf“ erinnert. Man folgt ihm zunehmend fasziniert auf seinen nächtlichen Ausflügen und lernt dabei ganz unterschiedliche Facetten der Nacht kennen. Nicht nur als Nachtlektüre empfehlenswert!
Hineingelesen
… in den Sternenhimmel
Mein nächtlicher Streifzug mit Marcel war kurz und neblig gewesen, ein wenig hatte ich dabei die Nacht aus dem Blick verloren, aber fortan sollte ich sie, wenn sie dann einmal sternenklar war, mit anderen Augen sehen. Der Hobbyastronom hatte mein Interesse für die Sterne und den Weltraum geweckt, auch wenn es für mich in den kommenden Monaten noch viele andere Facetten der Nacht zu entdecken gab. Vor allem eine Aussage von ihm blieb in meinem Gedächtnis hängen, die er mit einer gewissen Verärgerung über unsere Welt vorgebracht hatte: „Das Sternenlicht ist oft Millionen von Lichtjahren unterwegs, aber kurz bevor es auf der Erde ankommt, wird es von Straßenlampen oder Autoscheinwerfern überblendet.“
Info: Dirk Liesemer. Streifzüge durch die Nacht, Malik, 270 S., 20,60 Euro
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