In Joel Dickers neuem Roman „Das Geheimnis von Zimmer 622“ geht‘s drunter und drüber. Auch wenn der Titel erstmal gar nicht so aufregend klingt, die Auftritte der oft undurchschaubaren Charaktere sind so turbulent, ihre Motive so rätselhaft, dass selbst der Autor zwischendurch die Übersicht zu verlieren scheint.
Als Autor im Roman
Dabei hat er sich auch noch selbst in den Roman geschrieben – in einer Rahmenhandlung, in der auch sein verstorbener Förderer und Verleger auftaucht. Und eine schöne Frau, die ihn bei der Konzeption des neuen Romans antreibt und unterstützt. Dass sie sich am Ende des Buches als Chimäre entpuppt, verwundert nicht mehr. Denn auch im Roman ist kaum etwas, wie es scheint. Nicht einmal auf die Personen selbst ist Verlass.
Ein Opfer und viele Verdächtige
Es ist deshalb für den Autor die reinste Sisyphos-Aufgabe, das Geheimnis von Zimmer 622 zu lüften. Dass in diesem Zimmer im noblen Hotel Palace de Verbier eine Leiche gefunden wurde, wird schnell klar. Nur wer das Opfer ist, bleibt lange im Dunkeln. Und fast bis zum Schluss kann man höchstens ahnen, wer die Tat begangen hat. Zu viele geraten in den Verdacht, von dem Mord zu profitieren.
Dreiecksgeschichte im Bankenmilieu
Der ganze Roman spielt im vornehmen Züricher Banken-Milieu, ist aber im Kern eine Dreiecksgeschichte zwischen dem Bank-Erben Macaire, der schönen Anastasia und dem faszinierenden Emporkömmling Lew. Alle anderen Personen, die um das Trio herum wuseln, bleiben eher blass und eindimensional, bloße Statisten bei einem Drama um Liebe, Macht und Geld.
Und natürlich muss das Liebespaar Anastasia und Lew, das sich in der Jugend findet, um sich dann für lange Jahre zu verlieren und danach wieder zu finden, etwas ganz besonderes sein: Sie betörend wie eine Liebesgöttin und er schön und stark wie ein Adonis. Da schwelgt der Autor geradezu in Superlativen.
Zerbrechliches Glück
Widrigste Umstände sorgen dafür, dass diese Bilderbuch-Liebe zerstört wird. Doch auch als die beiden sich nach langen Jahren der Trennung und einigen rätselhaften Ereignissen wieder gefunden haben, als sie im Luxus baden können, scheint ihr Glück zerbrechlich. Die Vergangenheit holt sie wieder ein und damit auch „Das Geheimnis von Zimmer 622“. Aber womöglich ist auch das nur zu ihrem besten.
Joel Dicker ist ein Meister verschachtelter Romane. Wie bei einer russischen Matrjoschka stecken auch in diesem Roman viele Puppen in einer. Wie das möglich ist, enthüllt der Autor erst gegen Ende seines trotz aller Schwächen und anfänglicher Längen ebenso verwirrenden wie fesselnden Romans.
Hineingelesen …
… in Lews Liebesgedanken
Er wusste, dass die Leidenschaft des Wiedersehens, die sie in Genf erfüllt hatte, die Leidenschaft des Verbotenen, der Neuheit, dieses Bedürfnis, das sie beide empfanden, sich andauernd zu sehen, sich immerzu zu bewundern, wenn sie zusammen waren, die Verzweiflung, wenn sie getrennt waren, dass all das unter dem Zusammenleben leiden würde, sobald sie auf Korfu endgültig vereint wären. Man musste schon zugeben, dass sich die Tage hinziehen konnten, wenn es nichts zu tun gab. Manchmal langweilten sie sich. Also kämpften sie, um ihre Leidenschaft am Leben zu erhalten. Daher das Theater mit den schönen Kleidern, dem Raffinement, den Kerzen, sich baden, herausputzen, stets in Bestform zu sein. Es war notwendig, sich dieser Maskerade zu unterwerfen, als einziges Mittel gegen das unausweichliche Schicksal der Liebe, die zersetzende Kraft der Routine, die alle Leidenschaft ereilt, sobald aus zwei eigenständigen Verliebten ein Paar wird. Dann beginnt man , sich einzurichten, sich un den anderen zu vergessen, es ist das Ende der großen Lüge, die einem bis dahin erlaubt hat, perfekt, schön, makellos und wohlriechend zu sein und plötzlich jede Nachlässigkeit gestattet: bequeme Kleidung, Jogginghosen, wachsendes Bäuchlein und Körperbehaarung, schlechten Atem. „Liebling, bringst du mir bitte das Toilettenpapier?“ Das Abendessen auf einem Tablett vor dem Fernseher. Einschlafen wie zwei Kartoffelsäcke auf dem Sofa, während die Glotze weiterläuft, mit offenem Mund, Schnarchen und allem Drum und Dran. Niemals! hatte Lew sich geschworen. Nicht mit Anastasia! Eher wollte er sterben.
Info: Joel Dicker. Das Geheimnis von Zimmer 622, Piper, 624 S., 25 Euro
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