Das Schweigen des Dorfes

14. Oktober 2024

Donatella Di Pietrantonio kennt die Gegend um Pescara, von der sie in ihren Romanen erzählt. Das spürt man in jeder Zeile. Und als Kinderzahnärztin hat die Schriftstellerin viel Erfahrung mit Kindern und Jugendlichen. Auch die ist in ihren mit dem Premio Strega ausgezeichneten Roman „Die zerbrechliche Zeit“ eingeflossen.

Leben im Lockdown

Der Roman erzählt die Geschichte eines kleinen Ortes. Zugleich ist es die Geschichte der jugendlichen Amanda, die im Lockdown in das ungeliebte Zuhause zurückkehrt. „Mailand hat mir eine erloschene Tochter zurückgegeben“, stellt die Mutter traurig fest. Zwischen dem Schweigen Amandas und der Wortkargheit ihres Vaters versucht sich die Ich-Erzählerin Lucia in der Erklärung ihres eigenen Lebens und seiner Zerbrechlichkeit.

Gesammeltes Schweigen

Früh ahnt man, dass die Menschen unter dem Dente del Lupo, dem Wolfszahn, an einem Unglück leiden, das sie nie bewältigt haben. Auch Amanda hat etwas erlebt, das ihr Grundvertrauen erschüttert hat. Wie das Dorf begräbt sie das Erlebte, indem sie sich zurückzieht. Unheilvoll hängt dieses gesammelte Schweigen über dem Alltag. Lucia sorgt sich um ihre Tochter, fühlt sich ausgeschlossen: „Das geheime Leben der Kinder. Wir wissen, dass es existiert, sind aber nie darauf gefasst, es zu berühren.“

Seelenlandschaft

Der Dente del Lupo in den Abruzzen mit dem verrottenden Campingplatz ist eine Seelenlandschaft. In ihr spiegelt sich die Zerrissenheit Lucias, die zwischen Mutterliebe und Tochterpflicht ihren eigenen Weg finden muss. „Die zerbrechliches Zeit“ ist ein klug inszenierter Roman, der die Folgen des Corona-Lockdowns mit einer realen Kriminalgeschichte verbindet. Das Drama am Berg schärft das Bewusstsein für die Unsicherheit dieser Welt, die keine wirklichen Zufluchtsorte mehr kennt.

Info Donatella Di Pietrantonio. Die zerbrechliche Zeit, aus dem Italienischen von Maja Pflug, Kunstmann, 238 S., 22 Euro

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