Das Leben ist kein (Glücks)Spiel

6. Januar 2019

 

Das Leben war schon schwer im von den Japanern besetzten Korea, in Japan selbst wird es manchmal unerträglich, ja, es kann sogar tödlich enden für die „Zainichi“, die Ausländer mit Wohnsitz in Japan – und speziell für die Koreaner. Sie sind geduldet aber verachtet, leben meist in Gettos und haben kaum Rechte. Ja, sie werden sogar gezwungen, einen japanisierten Namen anzunehmen, damit sie nicht abgeschoben werden.

Nur für Schweine und Koreaner

Für Sunja, die aus ärmsten Verhältnissen stammt und von dem reichen koreanischen „Geschäftsmann“ Hansu ein Kind erwartet, ist das neue Leben ein Kulturschock. Isak, ein engagierter Pastor, hat sie trotz der Schwangerschaft zur Frau genommen, und die beiden wohnen bei Isaks Bruder Yoseb und dessen Frau in ärmsten Verhältnissen: „Die Gegend taugt nur für Schweine und Koreaner,“ erklärt Yoseb den Neuankömmlingen. Noa, der Sohn, wird von Isak im christlichen Glauben erzogen, er ist ein fleißiges, ruhiges Kind. Als dann noch der gemeinsame Sohn Mozasu geboren wird, scheint das Glück der kleinen Familie trotz der trostlosen Umgebung vollkommen.

Ein Leben am Rand der Gesellschaft

Doch dann wird Isak von den japanischen Behörden, denen die Christen aus Korea ein Dorn im Auge sind, verhaftet. Sunja muss sich und ihre Kinder durchbringen. Wäre da nicht Hansu, der im Hintergrund über sie und seinen Sohn Noa wacht, wäre ihr Leben vollends unerträglich. Auch so ist es ein Leben am Rand der Gesellschaft – und Sunjas einziges Glück sind ihre Söhne. Sie sollen es einmal besser haben. Während Noa die Hoffnungen der Mutter erfüllt und als fleißiger Student Karriere macht, wählt Mosazu den leichteren Weg – als Geschäftsführer einer Glücksspiel-Kette. So kehren sich die Verhältnisse um. Hansus Sohn verachtet das Gewerbe des Mannes, der ihn auch finanziell fördert, während Isaks Sohn nichts von Religion und Schule hält.

Der Fokus liegt auf der Familie

Min Jin Lee konfrontiert die Leser in ihrem Roman „Ein einfaches Leben“ mit einer koreanischen Familiengeschichte, wobei sie den Bogen von 1910 bis 1989 spannt. Es ist ein Generationen-Roman, der den Blick konsequent auf die Familie fokussiert. Die politischen Ereignisse wie Hiroshima oder der Krieg in Korea werden dabei zu Randnotizen. So sehen es die Frauen, die Min Jin Lee hier zeichnet. Es sind starke Frauen, die ihre Schicksal in die eigene Hand nehmen, aber auch Frauen, die nicht lesen und nicht schreiben und damit auch nicht über den Tellerrand Familie hinaussehen können. Als Kyunghee, Yosebs Frau, durch eigene Arbeit zum Unterhalt der Familie beitragen will, rastet der sonst so gutmütige Mann aus. Er sieht sich in seiner Männerehre gekränkt: „Was war das für ein Mann, der seine Frau in einem Restaurant arbeiten ließ“, fragt er sich und kommt wie so oft zu dem Ergebnis: „Für einen Koreaner war jede Wahl eine beschissene.“

Ein Dasein in Selbstverleugnung

Auch deshalb macht sich Noa zum Japaner. Sein Leben lang verleugnet er sich selbst um anerkannt zu werden. Als die mühsam aufgebaute Fassade einzustürzen droht, ist er den Folgen nicht gewachsen. Auch Mosazu, der als Glücksspiel-Manager viel Geld verdient, leidet unter der Missachtung der japanischen Umwelt. Erst sein Sohn Solomon hat die besten Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben. Doch auch er trägt schwer am Erbe der Vorfahren aus Korea. Wie schwer, das kann seine Freundin Phoebe, die in Seattle als Tochter ausgewanderter Koreaner aufgewachsen ist, nicht ermessen: „In gewisser Weise war er selbst Japaner,“ denkt Solomon, „wenn auch nicht in den Augen der Japaner. Das verstand Phoebe nicht. Nicht das Blut allein bestimmte, wer man war. Der Spalt zwischen ihm und Phoebe würde sich nicht schließen.“
Min Jin Lees großartiger Roman, von Susanne Höbel ins Deutsche übertragen, führt vor Augen, wie schwierig es ist, in einem anderen Land Wurzeln zu schlagen und wie wichtig, dass Einwanderer sich angenommen fühlen. So besehen ist der Roman das Buch der Stunde.
Info: Min Jin Lee. Ein einfaches Leben, dtv, 550 S., 24 Euro

 

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