Arno Geiger ist einen langen Weg gegangen, ehe er mit „Es geht uns gut“ 2015 den Deutschen Buchpreis bekam. Der Preis verschaffte dem bis dahin glücklosen Schriftsteller, der sein Geld 16 Jahre lang als Videotechniker bei den Bregenzer Festspielen verdient hatte, die lang vermisste Anerkennung seines Verlags. In seinem neuen Buch „Das glückliche Geheimnis“, weniger ein Roman als eine Art Geständnis, erzählt der Vorarlberger auch davon.
Glückliche Sammelleidenschaft
Und er enthüllt, was er bisher geheim gehalten hat: Dass er, der lange Zeit „im Zwischenreich der Erfolglosigkeit“ gelebt hatte, seine Einsichten einer Sammelleidenschaft verdanke. Dass er, wie die Buchpreis-Jury lobte, „Vergängliches und Augenblick, Geschichtliches und Privates, Bewahren und Vergessen in eine überzeugende Balance“ bringen konnte, führt Geiger auch darauf zurück, dass er sich als leidenschaftlicher Altpapier-Sammler auch fremde Leben aneignen konnte.
Schamhaftes Plündern
Ganze Briefkonvolute hat er aus den Altpapier-Tonnen gezogen, Tagebücher, Notizen, weggeworfene Bücher. Sie alle haben ihm Einblicke verschafft, die er in seinen Büchern verarbeiten konnte. Das Plündern der Altpapier-Tonnen, verschämt am frühen Morgen, blieb bis vor kurzem eine Konstante in seinem Leben, gesteht Arno Geiger, ein „glückliches Geheimnis“, für das er sich jahrelang geschämt hat.
Rettung aus der Tonne
Heute, als erfolgreicher Schriftsteller, kann er dazu stehen – auch in dem Bewusstsein, dass er der heimlichen Lektüre einen Teil seines Erfolgs zu verdanken hat. Dass dieser Erfolg lange auf sich warten ließ, machte dem jungen Geiger allerdings zu schaffen, stürzte sein Leben zeitweise ins Chaos.
Die Rettung kam buchstäblich aus der Tonne: „Die vielen Stunden auf der Straße verschafften mir einen unkonventionellen Schliff. Und die vielen gefundenen Briefkonvolute, die ich las, schärften meinen Wirklichkeitssinn. Die Vielfalt der Stimmen, die Vielfalt der Perspektiven, die vielen unterschiedlichen Vergleichsmaßstäbe: sie bildeten ein ständig wachsendes Nervengeflecht.“ In vielen Briefen, schreibt er, „stieß ich auf eine beiläufige Offenheit, die mir gefiel, eine gänzlich unverkrampfte Direktheit, die mich zuerst beeindruckte, dann beeinflusste und schließlich mein Schreiben veränderte.“
Im geliehenden Anzug zum Preis
Der Buchpreis kam dann trotz allem ganz unerwartet. Nicht der Verlag hatte das Manuskript von „Es geht uns gut“ eingereicht, sondern der Lektor. Und der bis zuletzt zweifelnde Autor musste sich für die Preisvergabe den Anzug leihen.
Den Stress des darauf folgenden Lesungs-Marathons konnte Geiger nur mithilfe des gesammelten Altpapiers ertragen: „Ohne Zugang zu Alltagstexten, wie ich sie im Altpapier fand, hätte ich mein Leben schlechter gelebt“, ist er überzeugt. „Und meine Bücher hätte ich nicht geschrieben, in der Form in der sie erschienen sind. Es geht uns gut ist fiktiv, wie gesagt, die Handlung erfunden, alle Charaktere von mir erschaffen. Aber beim Schreiben bewegte ich mich in einem Erfahrungsraum, dessen hinterste Winkel mir mehrfach gefundene Brief und Tagebücher ausgeleuchtet hatten.“
Herausforderndes Leben
Doch das Leben stellt den Schriftsteller auch weiter auf die Probe. Die langjährige Liebesbeziehung droht zu scheitern, der in die Demenz abdriftende Vater braucht Zuwendung und dann hat auch noch die bis dahin tatkräftige Mutter einen Schlaganfall. Arno Geiger verheimlicht nichts; diesmal schreibt er über sich selbst, seine Zweifel, seine Abstürze, seinen Erfolg. Und darüber, was für ihn Literatur ausmacht „das Leben sichtbar und dadurch verständlicher zu machen“.
Lob der Bücher
Seither hat Arno Geiger noch mehrere Bücher veröffentlicht, darunter „Der alte König in seinem Exil“ über die Demenz seines Vaters. Denn Bücher sind seiner Meinung nach „eines vom Großartigsten, was es gibt“: „Durch Lesen verkürzen wir unsere Lebenszeit nicht, wir verlängern sie. In wenigen Stunden können wir die Erfahrungen nachvollziehen, die ein anderer Mensch in Jahren oder Jahrzehnten gemacht hat. Wir gewinnen Erfahrung im Zeitraffer. Derlei Wundersames vermögen Bücher.“ Das gilt auch für dieses aufrichtige Buch.
Info Arno Geiger. Das glückliche Geheimnis, Hanser, 237 S., 25 Euro
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