Am 14. Juli 2016, vor einem Jahr, starb Péter Esterházy, da war der studierte Mathematiker und Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels 66 Jahre alt. Das Ende seines Lebens hat der ungarische Autor in einem „Bauchspeicheldrüsentagebuch“ verarbeitet, das teilweise verstörend ehrlich die mit seiner Krebserkrankung einhergehenden Veränderungen seines Körpers und seines Alltags schildert. Die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs trifft ihn völlig unerwartet. Am 24. Mai 2015 beginnt er sein Tagebuch.
Die Drüse drängt sich ihm auf wie eine verschmähte Geliebte
Es ist der Versuch, mit den Mitteln der Sprache die Hoheit über sein Leben zurückzugewinnen. „Ich versuchte, versuche, das Unheil am Schlafittchen zu packen. Es unter das Joch der Sätze zu zwingen,“ schreibt er im ersten Eintrag. Er berichtet über sich, die Krankheit, die Familie, das Leben. Er isst, was ihm schmeckt, liest, was ihn tröstet, fragt nach, was ihm fehlt und beschäftigt sich intensiv mit dem Organ, das sein Leben bedroht. Die bislang unbeachtete Drüse drängt sich ihm auf wie ein unwillkommene Geliebte. Mutzi nennt er sie, Bauchspeichelchen, B., wenn er mit ihr streitet und manchmal auch flirtet. Ist sie doch ganz und gar die seine – bis zum Tod. Sie ärgert ihn nicht wie die Freunde oder Bekannten, die ihn aufzumuntern versuchen oder die Ärzte, die ihn nur als Patienten wahrnehmen.
Die onkologische Heiterkeit des Todkranken
Dagegen sucht der Autor Trost bei Schriftstellerkollegen, die ihr Sterben ebenfalls im Tagebuch dokumentierten wie Harold Brodkeye, den er mit dem Satz zitiert: „So endete mein Leben. Und mein Sterben begann.“ In den neun Monaten, in denen Esterházy sein Tagebuch schreibt, beschäftigt er sich auch mit Ungarn und der Flüchtlingskrise, er schildert sich als liebevoller Familienvater und als Autor, der noch viel vorhat. Mehr noch als die Familie ist es die Arbeit, die ihn von seiner Krankheit und den Folgen der Chemotherapie ablenkt. Auch wenn die oft qualvolle Therapie von der Hyperthermie über die Bestrahlung bis zur Chemotherapie auf die Dauer seine Kraft überfordert, verlässt den Schriftsteller nie sein oft schwarzer Humor, von onkologischer Heiterkeit spricht er und stößt mit diesem Tumor-Humor so manchen vor den Kopf. Doch gerade dieser oft schmerzhafte Witz verhindert, dass die für einen Krebskranken nahe liegende Larmoyanz und erleichtert es dem Leser, den Todkranken fast bis zum Ende zu begleiten und die immer kleiner werdenden Freuden mit ihm zu teilen.
Die Müdigkeit bis zum Tod
Auffallend, welche große Rolle das Essen für ihn spielt. Daran, ob ihm die Ente, die Knödel, das Chili con Carne und der Wein schmecken, kann man ablesen, wie es ihm geht. Auch an den Haaren, die er täglich einsammelt. Wenn er sich dann im Spiegel sieht, kann er auch der Familie gegenüber ungerecht werden, erst recht gegenüber den Freunden. Dann haut er ab oder flieht in den Schlaf, den die zunehmende Müdigkeit ihm als erstrebenswert vorgaukelt. „Schlafen wäre schön,“ schreibt er am 2. März, an dem das Tagebuch endet. Vier Monate später ist Peter Esterházy entschlafen.
Péter Esterházy. Bauchspeicheldrüsentagebuch, übersetzt von György Buda, Hanser Berlin, 240 S., 20 Euro
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