„Meine Krimis sind immer auch ein Spiegel des Jahres, in dem sie geschrieben wurden“, schreibt Nicola Förg im Nachwort zu ihrem neuen Krimi „Dunkle Schluchten“. Das mache sie aktuell, „womöglich aber auch schnell veraltet“. Aktuell ist auch „Dunkle Schluchten“, brandaktuell. Denn mit dem verdächtigen Unternehmer von MyEi bringt Förg das Problem der Bruderhähne ins Buch. Sie werden zwar nicht mehr geschreddert, tiergerecht ist ihr meist kurzes Leben aber dennoch nicht. Profitgier contra Tierwohl Profitgier und desinteressierte Konsumenten sorgen dafür, dass das Tierwohl meist hinten runter fällt. Das macht der engagierten Tierschützerin Nicola Förg genauso zu schaffen wir ihrer Kommissarin Irmi Mangold. Furioses Ende Und dieser Fall um zwei tote Restaurateure fordert Irmis Spürnase ganz besonders. Dabei steht sie kurz vor dem Ruhestand, was ihr auch Kopfzerbrechen bereitet. Wohin dann mit all ihrer Energie? Doch vorerst braucht sie die noch, um den verzwickten Fall aufzuklären, der immer groteskere Züge annimmt und fast schon furios, zumindest aber filmreif endet. Gastro-Tipps am Lago Bis zur – unerwarteten – Lösung hat Nicola Förg reichlich Gelegenheit, nicht nur aktuelle Probleme wie die Eingliederung von ukrainischen Flüchtlingen, die Existenzsorgen der Landwirte und generell die mangelnde Rücksicht auf Nutztiere anzusprechen, sondern auch die landschaftlichen Schönheiten rund um…
Julia liebt ihr Mum, die so euphorisch sein kann, so mitreißend fröhlich. Dass diese Euphorie auch eine andere, düstere Seite haben kann, ist ihr nicht mehr bewusst. Das letzte Mal, als ihre Mum in tiefe Traurigkeit gefallen war, ist lange her. Und jetzt hat die studierte Meeresbiologin wieder ein Ziel, sie will den Grönlandhai erforschen und dazu Gelder von Hochschulen bekommen. Wie passend, dass Julias Dad für einige Zeit einen Job auf einem Leuchtturm auf den abgelegenen Shetland-Inseln hat, wo er ein Computerprogramm fürs Leuchtfeuer schreiben sollte. Da kommt Julias Mum ihrem Forschungsobjekt näher. Kin und der Sternenhimmel Alles sieht auch gut aus am Anfang, auch wenn sich Julia in der Einsamkeit des Leuchtturms etwas schwer tut. Aber immerhin hat sie die Katze Nudel, und dann lernt sie auch noch den cleveren Jungen Kin kennen, der ihr den Sternenhimmel erklärt. Doch auch Kin hat seine Probleme. Die anderen Jungs mobben ihn, weil seine Familie aus Indien kommt. Und als Julia bei Kins Verteidigung den Anführer der Boygroup, Adrian, auf die eigene Mutterlosigkeit anspricht, hat sie es sich auch mit ihrem neuen Freund verscherzt. Himmelhochjauchzend Dabei bräuchte sie ihn jetzt umso dringender, denn im Leuchtturm geht es drunter und drüber. Julias…
Es ist Sommer in der Stadt, und Odessa, die Schönheit am Schwarzen Meer, verspricht ein besonderes Lebensgefühl. Davon erzählt Irina Kilimnik im Roman „Sommer in Odessa“. Die Ich-Erzählerin Olga lebt mit Mutter, Tanten und Cousinen in einer zusammengestückelten Wohnung, typisch für das alte Odessa. Wo‘s lang geht, bestimmt der Großvater, der Töchter und Enkelinnen schikaniert. Die schönste Stadt der Welt Olga hat schon längst die Nase voll von seiner herrischen Art und der Ergebenheit der Frauen. Ihr Medizinstudium, das sie auf Wunsch der Familie begonnen hat, kotzt sie an. Wäre da nicht der indische Freund Radj hätte sie es schon längst an den Nagel gehängt. Aber da ist auch noch die „beste Freundin“ Masha, charmant und flatterhaft, die Olga immer wieder mit neuen Plänen und neuen Männern überrascht. Und natürlich Odessa mit seinen Stränden und der quirligen Altstadt. „Die schönst Stadt der Welt“, sagt Mascha plötzlich. „Ich weiß nicht, ob ich hier weggehen soll, die Vorstellung macht mich irre.“ Alte Liebe Kurz flammt die alte Liebe wieder auf, als Sergej, der Traummann aus Kindertagen, wieder zurück aus Deutschland ist. Der begabte Pianist sähe Olga am liebsten als Musikerin, was ihr Selbstverständnis erschüttert. Auch zu Hause geht es drunter und drüber….
Erst der Literaturnobelpreis hat mich auf Annie Ernaux aufmerksam gemacht. Ich muss gestehen, ich hatte bis dahin noch nichts von ihr gelesen. Dabei hatte ich Französisch studiert und blieb auch an französischer Literatur interessiert. Aber nun habe ich „Die Jahre“ der mittlerweile 83-jährigen Autorin gelesen. Was für ein Buch! Es katapultierte mich unmittelbar hinein in mein eigenes Erleben, das dem von Ernaux nicht unähnlich ist. So vieles teilen wir, auch wenn ihre Erinnerungen französisch gefärbt sind. Ein Buch der Veränderungen „Das Buch soll nicht das sein, was man üblicherweise unter Erinnerungsarbeit versteht, bei der es darum geht, ein Leben nachzuerzählen und sich zu erklären“, schreibt Annie Ernaux: „Sie schaut nur in sich hinein, um dort die Welt, das Gedächtnis und die Träume der Vergangenheit zu finden, um zu erfassen, wie sich Ideen, Glaubenssätze und Gefühle, wie sich die Menschen und das Subjekt verändert haben.“ Freizeitgesellschaft Und wie sich alles seit der Nachkriegszeit verändert hat! Die rigiden Moralvorstellungen sind ebenso verschwunden wie die Kriegsruinen, hinweg gefegt vom Wirtschaftswunder und der 68-er-Revolte. Wir hatten das Gefühl, es ginge uns immer besser. „Man rief die Freizeitgesellschaft aus“, heißt es bei Annie Ernaux. Reisen wurde demokratisiert, die Frauen emanzipierten sich. Überforderte Frauen Doch mit…
„Wenn halt nur mehr Leute so wie wir zwei regelmäßig die Augsburger Allgemeine lesen würden, dann würde weniger Schmarrn in die Welt hinausposaunt werden.“ Man schreibt das Jahr 1886 im Werdenfelser Land, und die „Huberin“ ist wohl die einzige Zeitungsleserin im kleinen Dorf Loisbichl. Es sei denn, sie kann die junge Witwe Vroni auf dem abgelegenen Graseggerhof mit der nützlichen Lektüre anstecken. Bei der Heumahd hat die junge Frau schließlich schon unerwartete Stärke gezeigt. Allein gegen ein Dorf Susanne Betz‘ gleichnamiger Roman konzentriert sich auf eine trotzige junge Frau, die im Kampf mit den Naturgewalten und überkommenen Vorstellungen tumber Zeitgenossen einen einsamen Hof führen will. Unerwarteten Rückhalt bekommt Vroni dabei von der herrschsüchtigen und reichen Huberin, die das Potenzial der jungen Rebellin sieht. Ganz anders als der Dorfpfarrer, für den die Frauenwirtschaft auf dem Graseggerhof fast schon sündig ist. Gäbe es doch im Ort genügend heiratswillige junge Männer. Auch die hat sich Vroni mit ihrer abwehrenden Haltung zu Feinden gemacht. Schlimme Erfahrungen Doch die junge Witwe leidet immer noch unter den schlimmen Ehe-Erfahrungen mit dem deutlich älteren Bauern. Die Narben der Schläge verheilen nur langsam. Trost findet sie beim „Rosl“, der anhänglichen Stieftochter mit dem Down-Syndrom. Dass das Rosl im…
Lonely Planet hat‘s vorgemacht, jetzt verkündet auch Marco Polo „Die besten Ziele für 2023“. Marco-Polo-Autoren haben ihre Favoriten genannt, eine Jury hat daraus 40 Ziele in den Kategorien „Noch unentdeckt“, „Neuer Glanz“, „2023 erleben“ und „Nachhaltig“ destilliert. Wohin also geht bei Marco Polo die Reise in diesem Jahr? Hauptsache nachhaltig In jedem Fall auch wieder nach Deutschland und da – im Sinne der Nachhaltigkeit – zum E-Biken etwa auf der grenzüberschreitenden Route Verte. Zum Wandern nicht nur in den Bayerischen Wald, sondern auch in die Städte, z.B. zum Zollvereinsteig in Essen. Oder auch in eines der Bergsteigerdörfer, die es inzwischen auch in der Schweiz gibt. Und zum Wassersport geht‘s ins eher noch unentdeckte Fränkische Seenland. Entdecken empfohlen Zu den Entdeckungen des Jahres zählen bei Marco Polo außerdem das belgische Gent, wo sich mitten im Mittelalter-Ambiente eine Graffiti-Gasse öffnet. Aber auch Länder wie Kirgistan, „perfekt für Outdoor-Freaks“, Panama – nicht nur wegen des Kanals, oder das wildromantische Albanien. Was wieder glänzt Neuen Glanz entdeckten die Autoren u.a. in Singapur, das sich anschickt, „die grünste Megacity der Welt“ zu werden. Oder in Luxemburg, das „jetzt auch Canyon-Trails und stylisch gepimpte Hochöfen im Programm“ hat. „In der Fremde zu Hause ankommen“ ist das…
Dass der Vorarlberger Michael Köhlmeier ein großartiger Autor ist, beweist er auch mit seinem neuen Roman Frankie. Im Mittelpunkt steht der 14-jährige Ich-Erzähler Frank, der in einer fast symbiotischen Gemeinschaft mit seiner Mutter in Wien lebt. Seinen Großvater lernt er mit Verspätung kennen, weil der über 18 Jahre hinter Gittern gesessen hat. Faszination des Bösen Der eher introvertierte Junge ist zugleich abgestoßen und fasziniert von dem alten Mann, der wirkt, als könne ihn nichts umhauen. Das abwertende Frankie nervt ihn zwar, aber mehr noch interessiert ihn, welche Geheimnisse der Großvater, der sich die Anrede Opa verbietet, hinter seinem schroffen Wesen verbirgt. Es ist die Anziehungskraft des Bösen, die Köhlmeier immer wieder thematisiert – auch in diesem Roman. Viele Freiheiten Der weitgehend vaterlos aufgewachsene Junge kommt eigentlich gut mit seinem Leben zurecht. Der Beruf seiner Mutter, die in der Volksoper als Schneiderin arbeitet, lässt ihm viele Freiheiten. Frank fühlt sich als der Mann im Haus – bis der autoritäre Großvater diese Rolle beansprucht. Die furchtsame Mutter interessiert den Alten nicht. Aber den Enkel will er nach seiner Vorstellung formen. Die Waffe als Versuchung Frank erliegt der Versuchung des Abenteuers, die der Großvater verkörpert. Und es ist ja auch ein Abenteuer, was…
Mit den 1976 erschienenen „Mitteilungen an den Adel“ hat sich Elisabeth Plessen, eigentlich Elisabeth Charlotte Marguerite Auguste Gräfin von Plessen, einen Platz in der deutschen Nachkriegsliteratur gesichert. Auch im Roman „Die Unerwünschte“ (2019) setzt sich die Autorin mit ihrer Herkunft und dem Bedeutungsverlust des Adels auseinander. Nun also ein neues Buch „Die Frau in den Bäumen“. Und wieder hat der Roman autobiographische Züge. Die Ich-Erzählerin Anna darf wohl als das Alter Ego der Autorin gesehen werden. Erzählt wird eine Art Heldenreise der End-Zwanzigerin, die im italienischen Süden lernen muss, sich zu emanzipieren. Blitzschlag in der Idylle Anna ist mit ihrem doppelt so alten Freund – ein Vaterersatz? – unterwegs. Der literarisch gebildete Journalist will ihr sein Italien auf Goethes Spuren zeigen. Die sich im Ferienhaus einnistende Apathie wird durch die Nachricht vom Tod des Vaters und einen darauffolgenden Blitzeinschlag regelrecht zerschmettert. Das Paar sucht Schutz bei einem befreundeten schwulen Musikliebhaber, der sich mit einem Buch über Beethoven abplagt. In seinem gastfreundlichen Haus lernt Anna den jungen und schönen Matteo kennen, Kameramann mit dem Ehrgeiz zu Größerem. Auch Matteo arbeitet an einem ambitionierten Projekt, einem Film über Che Guevara. Unklare Zukunft Anna folgt dem Matteo nach Rom und später auf eine…
Mit „Turmschatten“ hat der Münchner Peter Grandl vor zwei Jahren einen hochspannenden Thriller um den von voyeuristischen Medien begleiteten Rachefeldzug eines alten Juden gegen drei Neonazis vorgelegt. Nun also die Fortsetzung „Turmgold“. Und wieder geht es um diesen Turm im Umfeld von München – und um existentielle Fragen wie „Darf man ein Leben opfern um zehn andere zu retten?“ Alltagsrassismus und Behördenversagen Und wieder hat der Medienexperte seinen Roman entlang der Schlagzeilen der letzten Jahre geschrieben und aktuelle Probleme wie den Alltagsrassismus, das Wiedererstarken der Rechten, das Versagen der Behörden, Corona, die Aufmerksamkeitsgier der Medien und den wachsenden Antisemitismus in einen bis zur letzten Seite spannenden Thriller verpackt. Halt im bürgerlichen Leben Zehn Jahre sind vergangen, seit der alte Jude Zamir die drei Neonazis in seine Gewalt gebracht hatte. Karl Rieger, der gegen seine Kumpane ausgesagt und als Kronzeuge eine neue Identität bekommen hatte, hat seinem alten Leben abgeschworen und sich in Frankreich als Vergolder eine neue Existenz aufgebaut. Mit seiner französischen Frau und den zwei Töchtern ist er als Paul Trautmann ein angesehener Bürger. Von dem Angriff auf den Turm erfährt er, als er in Augsburg in der Jugendstilkirche Herz Jesu arbeitet. Zum Killer gedrillt Für den ehemaligen Kumpan…
Arno Geiger ist einen langen Weg gegangen, ehe er mit „Es geht uns gut“ 2015 den Deutschen Buchpreis bekam. Der Preis verschaffte dem bis dahin glücklosen Schriftsteller, der sein Geld 16 Jahre lang als Videotechniker bei den Bregenzer Festspielen verdient hatte, die lang vermisste Anerkennung seines Verlags. In seinem neuen Buch „Das glückliche Geheimnis“, weniger ein Roman als eine Art Geständnis, erzählt der Vorarlberger auch davon. Glückliche Sammelleidenschaft Und er enthüllt, was er bisher geheim gehalten hat: Dass er, der lange Zeit „im Zwischenreich der Erfolglosigkeit“ gelebt hatte, seine Einsichten einer Sammelleidenschaft verdanke. Dass er, wie die Buchpreis-Jury lobte, „Vergängliches und Augenblick, Geschichtliches und Privates, Bewahren und Vergessen in eine überzeugende Balance“ bringen konnte, führt Geiger auch darauf zurück, dass er sich als leidenschaftlicher Altpapier-Sammler auch fremde Leben aneignen konnte. Schamhaftes Plündern Ganze Briefkonvolute hat er aus den Altpapier-Tonnen gezogen, Tagebücher, Notizen, weggeworfene Bücher. Sie alle haben ihm Einblicke verschafft, die er in seinen Büchern verarbeiten konnte. Das Plündern der Altpapier-Tonnen, verschämt am frühen Morgen, blieb bis vor kurzem eine Konstante in seinem Leben, gesteht Arno Geiger, ein „glückliches Geheimnis“, für das er sich jahrelang geschämt hat. Rettung aus der Tonne Heute, als erfolgreicher Schriftsteller, kann er dazu stehen –…