„Wie die Saat, so die Ernte“ heißt Donna Leons neuester Brunetti-Roman, der sich schon seinen Platz auf der Spiegel-Bestsellerliste gesichert hat. Dabei hat es Donna Leon schon längst aufgegeben, ihren Commissario Brunetti auf die übliche Art ermitteln zu lassen. Sind ihre Krimis schon lange viel mehr als Kriminalromane, sie sind Gesellschaftskritik, Zeitbild und Familienroman. Denn die Lesenden begleiten den Commissario auch beim Älterwerden. Und je älter er wird, umso mehr erinnert er sich an seine Jugend. Blick zurück So erfährt man von Buch zu Buch mehr über den Commissario, der sich mit Paolo in die höheren Kreise Venedigs eingeheiratet hat. Dass Brunetti aus kleinen Verhältnissen stammt, weiß man inzwischen. Dass er seine Mutter sehr geliebt hat, auch. Doch wie verlief seine Jugend in den revolutionären Zeiten der Roten Brigaden? Die Zeit der Roten Brigaden Antwort darauf gibt der Donna Leon in diesem Roman. Am Anfang steht ein toter Mann aus Sri Lanka, den Brunetti anlässlich einer Immobilien-Recherche kennengelernt hat. Er wurde erstochen. Auf der Suche nach dem Täter – die Schwere der Verletzungen deutet auf einen Mann hin – stößt Brunetti in der Wohnung des Toten auf ein Konvolut von Zeitungen aus der Zeit der Roten Brigaden. Erinnerungen kommen auf…
Cy Baxter, der Social-Media-Mogul im neuen Roman „Going Zero“ von Anthony McCarten könnte Elon Musk nachempfunden sein oder auch Mark Zuckerberg. Auf jeden Fall ist er ein Technologie-Freak, der von den Überwachungsmöglichkeiten seiner Firma Fusion nicht nur überzeugt, sondern geradezu begeistert ist. Um seine 360-Grad-Datenbank zu propagieren, bietet er der CIA eine Wette an: Zehn Menschen – fünf Internet Profis und fünf Laien – sollen versuchen, sich 30 Tage lang dem Netz zu entziehen. Wer nicht gefunden wird, kassiert drei Millionen Dollar. Sollte es aber keinem der Probanden gelingen, unentdeckt zu bleiben, will Baxter einen Milliarden-Auftrag der Regierung für das Aufspüren von Tätern, die Gewaltakte planen. Unter dem Radar „Go Zero“ heißt das Projekt, „Going Zero“ der Roman. Denn für die Überwachenden sollen die zehn Auserwählten unauffindbar sein, eine Nullnummer. Doch unter dem Radar zu bleiben wird schwierig. Baxter setzt ein ganzes Heer von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern darauf an, die Lebensumstände der Beteiligten zu erforschen, ihre Bewegungsprofile zu scannen, ihre Vorlieben zu durchleuchten, ihre Freunde aufzuspüren. Das Internet als Waffe Natürlich haben sich auch die zehn Probanden einiges überlegt, um unentdeckt zu bleiben. Der eine taucht in die Obdachlosenszene ab, die andere will auf einer Segelyacht der Überwachung entgehen. Dem…
Wer „Das Restaurant der verlorenen Rezepte“ von Hisashi Kashiwai mit Genuss lesen will, sollte sich für die japanische Küche und die Kultur Japans interessieren. Sonst könnte der Episodenroman mit seinen immer gleichen Abläufen schnell langweilig werden. In Japan freilich ist das Buch ein Verkaufserfolg. Glück beim Essen Dort weiß man auch um die sozialtherapeutischen Möglichkeiten von Esslokalen. Im Restaurant der verlorenen Rezepte schöpfen der ehemalige Polizeibeamte Nagare und seine Tochter Koishi diese Möglichkeiten aus, um ihre Gästen mit lang entbehrten Geschmackserlebnissen glücklich zu machen. Der Geschmack der Vergangenheit Wer in das versteckte Restaurant findet, will seiner Vergangenheit noch einmal nachschmecken, will sich an seine Jugend erinnern, die erste Liebe, ein Gefühl der Geborgenheit. Und weil der Witwer Nagare bei der Recherche nach den verlorenen Rezepten ebenso pflichtbewusst vorgeht wie beim Kochen, erfüllen die Gerichte auch die Wünsche der Kunden: „Als nächstes griff Hisahiko nach der Miso-Suppe und trank aus der Schale. Ein kurzer Seufzer entwich seinen Lippen. Dann verrührte er mit den Stäbchen das Ei in der Suppe und trank noch einmal. Jetzt entspannte sich auch seine linke Wange. Er strich ein Stück Selleriekohl mit den Stäbchen glatt, legte es auf den Reis und spreizte die Stäbchen anschließend so, dass…
Helme Heine kennen die meisten wohl als Kinderbuchautor. Die liebenswerten Geschichten um die tierischen Freunde Johnny Mauser, Franz von Hahn und den dicken Waldemar haben dem mittlerweile in Neuseeland lebenden Autor weltweit Freunde beschert. Der Autor und Illustrator machte im wörtlichen Sinn eine Bilderbuchkarriere. Doch Helme Heine kann auch anders. Zusammen mit seiner Frau Gisela von Radowitz hat er auch Bücher für Erwachsene geschrieben. Nun also wieder ein Roman. „Im freien Fall“ erzählt in Rückblicken die Geschichte des Unternehmersohns Max, den das Leben auf eine harte Probe stellt und der beinahe daran zerbricht. Flug ohne Wiederkehr Es beginnt damit, dass Max ein Flugticket nach Südafrika löst – one way. Denn er hat nicht vor zurückzukommen. In dem Land, in dem er vor langer Zeit mit seiner französischen Frau Marie glücklich war, will er seinem Leben ein Ende setzen. Im freien Fall – bei einem Sprung in den Schacht eines Bergwerks: „Jetzt nahm er Abschied von der Erde, auf der er 58 Jahre lang Gast gewesen war. Im Lauf der Zeit hatte er alles erfahren, was das Leben zu bieten hatte, hatte Liebe empfangen und verschenkt, Reichtum erworben und verloren. Aber Lügen, Verrat und Krankheit hatten sein Leben durcheinandergewirbelt und es…
Joël Dicker liebt verschachtelte Romane und Cliffhanger. Der erfolgreiche Autor führt seine Lesenden gern in die Irre, in Sackgassen und über Haarnadelkurven dicht über dem Abgrund. Das gilt auch für den neuen Roman „Die Affäre Alaska Sanders“, vom Verlag als „Die Fortsetzung des Weltbestsellers ‚Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert`“ angepriesen. Allerdings spielt Harry Quebert in diesem dicken Wälzer eine eher untergeordnete Rolle. Denn es geht, wie immer bei Joel Dicker, wild durcheinander. Alter Fall, neue Erkenntnisse Wieder steht der Schriftsteller Marcus Goldmann (ein alter Ego Dickers?) im Mittelpunkt – er ermittelt zusammen mit Sergeant Gahalowood in einem zehn Jahre alten Mordfall, der eigentlich aufgeklärt schien. Die junge Alaska Sanders war am Strand des beschaulichen Städtchens Mount Pleasant erschlagen aufgefunden worden. Der Hauptverdächtige hatte sich den Ermittlungen zufolge nach seinem Geständnis selbst erschossen, ein weiterer saß hinter Gittern. Doch dann bringt ein anonymer Brief Bewegung in den alten Fall. Nichts ist so wie es damals schien. Und heute? Sein und Schein Goldmann und Gahalowood machen sich auf die Suche nach dem wahren Täter. Die führt sie nicht nur zurück in die Zeit vor dem Mord an Alaska und von Mount Pleasant nach Salem, sondern noch weiter zurück in die…
Die Inderin Anuradha Roy ist nicht nur mehrfach ausgezeichnete Buchautorin, sondern auch begeisterte Töpferin. Ihr Roman „Ton für die Götter“ profitiert von dieser Passion für das Schöpferische. Denn sowohl Elango im indischen Kummarapet als auch Sara im englischen London brauchen das Töpfern, um sich in ihrem Leben zurecht zu finden. Der Traum von der Schöpfung Der Hindu Elango verdient sein karges Geld mit dem Töpfern von Alltagsgeschirr. Aber eines Nachts träumt er davon, ein flammendes Pferd zu erschaffen – für die Muslimin Zohra, die er schon lange liebt. Und seine Schülerin, die kleine Sara, darf ihm dabei helfen. Auslöser von Elangos neuer Schaffenskraft ist aber nicht nur der Traum, sondern auch der Hund Chinna. Seit der kleine Vierbeiner ihm zugelaufen ist, hat sich Elangos Leben verändert. Chinna, so glaubt er, ist sein Glücksbringer. Falsche Hoffnungen Lange sieht alles gut aus, das Pferd aus Ton wächst in einem geheimen Versteck, Zorah erwidert Elangos Liebe, und ihr Großvater, ein blinder Kalligraph, willigt ein, das Geschöpf mit Schriftzügen zu verzieren. Elango weiß nicht, dass Chinna bei einem Überfall auf seine früheren Besitzer entkommen ist und von ihnen verzweifelt gesucht wird. Nur Saras Mutter, eine Journalistin, kennt den Hintergrund. Ist es schlechtes Karma, das…
Lisa Weeda hat ihre Wurzeln in der Ukraine, sie kennt die Traditionen. Auch davon handelt ihr Roman. Die Lebenslinien der Familienmitglieder sind auf ein Leinentuch gestickt, rot für das Leben, schwarz für den Tod. Dieses Tuch soll Lisa nach dem Willen ihrer 98-jährigen Großmutter Aleksandra zum Grab von Kolja in der Ukraine bringen. Auch durch den Roman „Aleksandra“ zieht sich ein roter Faden – es ist die Geschichte einer von den Donkosaken abstammenden Familie im Grenzland der Ukraine. Ein Jahrhundert-Opfer Die niederländische-ukrainische Virtual-Reality-Regisseurin hat ihren Jahrhundert-Roman als filmische Erzählung mit Virtual Reality Effekten angelegt. Es geht vor und zurück, um Krieg und Frieden, um Fliehen oder Bleiben, um Leben und Tod. Die Ukraine als Land des Leidens angefangen bei der Oktoberrevolution über den Hungerterror Stalins, den Holodomor, den Zweiten Weltkrieg samt Nazis und Holocaust bis zur Annektion der Krim. Magischer Palast Alles steht zeitgleich nebeneinander dank des magischen Realismus, mit dem Lisa Weeda die Vergangenheit in die Gegenwart holt. Passieren kann das nur im fiktiven Palast des verlorenen Donkosaken, den Lisas 1953 verstorbener Urgroßvater Nikolaj ihr öffnet. Es ist ein Ort der Untoten, ein magischer Ort, an dem historische Ereignisse nicht vergehen und an dem Lisas gefallene und ermordete Vorfahren…
Die Unverbesserlichen sind wieder da! Port Grimaud ist nicht das Allgäu und Monsieur Lipaire ist nicht Kommissar Kluftinger, auch wenn er eigentlich Deutscher ist. Und doch verbindet „Die Unverbesserlichen“ viel mit dem Kult-Kommissar aus dem Allgäu. Das liegt natürlich am Autoren-Duo Klüpfel und Kobr. Die beiden sind selbst einfach unverbesserlich mit ihren Slapstick-Einlagen. Aber wie bei den Kluftinger-Krimis sollten sie vielleicht auch bei den Gaunergeschichten von der Côte d‘Azur aufpassen, es nicht zu übertreiben. Die Farben des Pudels Wie der erste Band beginnt auch der zweite mit einer Leiche, einer Hundeleiche. Louis XIV., der Pudel der betagten Lebedame Lizzy, ist seiner eigenen Neugierde zum Opfer gefallen. Um ihre Freundin vor dem Schock zu bewahren, klauen Lipaire und seine Freunde einfach einen anderen Pudel und färben ihn um, was im Lauf der Story für einige Komik-Einlagen sorgt. Die Urkunde im Fokus Dass sich die Unverbesserlichen wieder zusammenfinden, hängt aber nicht mit des Pudels Kern oder besser seiner Farbe zusammen, sondern mit dem Adelsgeschlecht derer von Grimaud. Denn seitdem sie ihren Anspruch auf Port Grimaud urkundlich haben, wollen die Vicomtes ihr „Fürstentum“ in ein Luxus-Hideaway verwandeln. Für kleine Leute wie Delphine mit ihrem Handyladen oder Karim, den Wassertaxi-Fahrer, wäre da kein Platz….
Blue Skies, so der Titel des neuen Romans von T.C. Boyle sind im Kalifornien dieser Tage Alltag – ebenso wie die daraus folgende Dürre. Der Klimawandel lässt grüßen. Naturkatastrophen sind keine Schlagzeilen mehr wert: Brände in Kalifornien, Überschwemmungen in Florida. Die Menschen scheinen sich damit abzufinden. Und wenn alles immer schlimmer wird, hilft der Alkohol. Zumindest in der Familie, aus deren unterschiedlichen Perspektiven T.C. Boyle erzählt. Eine Familie im Mittelpunkt Ottilie und Frank versuchen, sich anzupassen und Ottilie nimmt Heuschrecken im Speiseplan auf. Sohn Cooper, der Insektenforscher, findet das gut. Allerdings ist er überzeugt davon, dass der Planet Erde in den letzten Zügen liegt. Tochter Cat dagegen hofft auf eine Karriere als Influencerin und legt sich dafür eine Python zu, mit der sie die Zahl ihrer Follower in die Höhe zu treiben gedenkt: „Sie war eine Schlangenlady. Und das war cool, voll cool. Es verlieh ihr eine ganz eigene Identität, und das würde sie von den anderen Influencerinnen unterscheiden, denn wie viele Schlangenladys gab es unter denen?“ Wandel und Gefahren Das ist die scheinbar harmlose Ausgangslage. Doch man ahnt dahinter die drohende Gefahr. Sie geht von Cats Schlange aus, von Coopers Besessenheit, von den vielen Drinks. Die Familie erweitert sich:…
Es geht um Abschied und Aufbruch in dem Roman „Wer braucht schon Wunder“ von Anne Müller. Lika, die Ich-Erzählerin musste schon einmal Abschied nehmen – von ihrer Mutter, die bei einem Unfall ums Leben gekommen war. Und sie weiß eines: „Wer zu Trauernden ‚Das Leben geht weiter‘ sagt, der hat wirklich nichts, aber auch rein gar nichts verstanden.“ Eine Sommerliebe Nun steht ihr erneut ein Abschied bevor. Um Theaterwissenschaft zu studieren, muss sie ihre geliebte Heimat an der Schlei, ihren Vater und den kleinen Bruder verlassen. Das macht ihr zu schaffen. Aber bevor sie sich in einen neuen Lebensabschnitt verabschiedet, will sie noch mit Kellnern ein bisschen Geld verdienen. Bei Fränkie im Kakadu verliebt sie sich in den Bretonen Antoine, der ihr neue Perspektiven in Sachen Kochkunst und Liebe eröffnet. Wankende Sicherheiten Es ist eine Sommerliebe ohne große Zukunft. Aber Lika genießt Antoines Aufmerksamkeit, zumal ihre eigenen Sicherheiten ins Wanken geraten. Wen hat ihre Mutter vor dem tödlichen Unfall getroffen? Und was hat das mit ihrem Bruder zu tun? Kann sie ihren Erinnerungen noch trauen? In ihrem „Schatzkästlein“ findet sie einen Origami-Vogel mit der Zeile „Die Liebe ist ein Kind der Freiheit“. Reif für den Abschied Doch als sie ihre…