Die Italienerin Nicoletta Verna hat bisher Sachbücher geschrieben. „Der Wert der Gefühle“ ist ihr Romandebüt. Und das ist ziemlich aufregend: Sie sind ein glamouröses Paar, die schöne Bianca und der erfolgreiche Herzchirurg Carlo. Doch sind sie auch glücklich? Zumindest bei Bianca, der Ich-Erzählerin in Nicoletta Vernas verstörendem Roman, kommen schnell Zweifel auf. Was hat es auf sich mit ihrem Zwang, Abfälle zu sortieren? Oder Dinge zu kaufen, um sie im Müll zu entsorgen? Das Drama ihres Lebens Nicoletta Verna gibt immer wieder kleine Hinweise auf ein Drama, das Biancas Leben überschattet – es ist der Tod ihrer bewunderten Schwester Stella. Doch warum das so ist und wie die 14-jährige Stella gestorben ist, das enthüllt sich den Lesenden nur ganz allmählich. Der Tod und seine Folgen Dafür erfahren sie, dass Biancas Mutter nie über den Tod ihrer älteren Tochter hinweg gekommen ist, dass der Vater die trauernde Familie verlassen hat, dass Bianca kaum Freunde oder Freundinnen hat. Außer Liliana, die engste Freundin Stellas, die auf den Rollstuhl angewiesen ist. Sie macht ihr Handicap allen anderen zum Vorwurf und scheint eine sadistische Freunde dabei zu empfinden, Bianca mit Erinnerungen an ihre tote Schwester zu quälen. Und dann wäre da noch die selbstgefällige…
Kann es sein, dass traumatische Erlebnisse der Vorfahren auch noch die Nachkommen belasten? Alex Schulman ist überzeugt davon, dass sein Großvater, der Schriftsteller Sven Stolpe, an seinen unvermittelten Wutanfällen Schuld trägt. Weil er damit nicht nur seine Frau schockiert, sondern auch seinen Kindern Angst einjagt, beschließt er, dieser Wut auf den Grund zu gehen. Dabei stößt er auf ein Familiengeheimnis, das ihn zu einem Roman inspiriert. In „Verbrenn alle meine Briefe“ beschreibt Alex Schulman die eigenen Probleme, dokumentiert seine Expedition in die Familiengeschichte und konzentriert beides in einer anrührend poetische Liebesgeschichte. Die Wut des Großvaters Die Wut des Großvaters, davon ist der Enkel überzeugt, hat die ganze Familie vergiftet: „Meine Mutter war die Jüngste von vier Geschwistern, sie hatte zwei Brüder und eine Schwester. Ich versuche, mich zu erinnern, aber ich glaube, ich habe nie alle vier zusammen gesehen. Sie hassten einander in wechselnden Konstellationen, Konflikte zogen sich über Jahrzehnte hin.“ Auch er selbst scheint davon vergiftet. Die Angst der Großmutter Alex Schulman erinnert sich an die Ferien bei den Großeltern, an den ewig unzufriedenen, mürrischen Großvater und die beflissene, ängstliche Großmutter. „Ich erinnere mich an ihre ständige Unterwürfigkeit, ihre Angst vor seiner Wut… Ich begriff nicht, warum sie ihn…
Wendelin Kretzschnuss heißt der Erzähler des Romans „Tage in Vitopia“, ein Eichhörnchen. Aufgeschrieben hat seine philosophierenden Ausführungen Ulla Hahn. Dass sich die 77-jährige Schriftstellerin hinter den Sciurus Vulgaris zurückzieht, hat ihr die Freiheit des Drauflos Fabulierens ermöglicht. Und das tut sie in dem Roman, der die Utopie eines guten Lebens in friedlicher Koexistenz von Mensch, Tier und womöglich auch Cyborg in den schönsten Farben zeichnet. Götter, Gelehrte und Gaia Wie in einem Wimmelbuch tauchen prominente Vertreter der Menschheit auf, Götter und Gelehrte ebenso wie Charaktere aus der Literatur. Schatzhauser, der Wünsche erfüllende Waldgeist aus Wilhelm Hauffs Märchen „Das kalte Herz“ spielt eine Hauptrolle, Nils Holgersson, Kater Murr und Pinocchio sind dabei. Luther und Jesus von Nazareth, Franz von Assisi und Charles Darwin, Hildegard von Bingen, Marie Curie, Mutter Teresa, Richard Wagner, Wilhelm Hauff, Dichterfürst Goethe, sein persischer Kollege Hafis und unzählige andere geben sich bei den Tagen in Vitopia die Ehre, um die Menschheit wieder auf den rechten Weg zu bringen. Zurück zur Natur. Das ist vor allem das Anliegen von Gaia, der „großen Mutter Erde“, die unter den Zerstörungen der Umwelt ächzt. Marx und Morus Geleitet wird die Weltkonferenz im antiken Epidaurus von Karl Marx und Thomas Morus, von…
Baret Magarian wurde in London geboren, hat armenische Wurzeln und lebt in Florenz, er hat als Journalist, Schauspieler, Theaterleiter und Aktmodell gearbeitet, hat Persönlichkeiten wie Salman Rushdie oder Peter Ustinov interviewt und sich seit Schulzeiten als Autor versucht. Auch diese Erfahrungen münden wohl in den surrealistischen Roman „Die Erfindung der Wirklichkeit“ – zugleich Medienschelte und Gesellschaftssatire. Zwei Männer, ein Plan Im Mittelpunkt stehen zwei höchst ungleiche Männer: Der Autor Daniel Bloch, ein Mann in der Midlife-Krise, der an einer Schreibblockade leidet und auf der Suche nach Intuition ist. Und der junge Oscar Babel, scheinbar ein geborener Looser, der als Filmvorführer arbeitet, nachdem er sich erfolglos als Maler versucht hat. Dann kommt Bloch die Idee: „Ich könnte eine Geschichte über dich schreiben“, sagt er zu Oscar. „Ich würde mir gern ein anderes Leben für dich ausdenken. Eine Parallelwirklichkeit. Ich könnte eine mögliche Zukunft in Worte meißeln.“ Scheinwelt der Social Media Gesagt, getan. Was dann passiert, erschreckt den Autor zu Tode: Oscars Leben passt sich Blochs literarischen Skizzen an. Es beginnt mit einer Katze und führt geradewegs hinein in die Scheinwelt der Social Media. Und während Bloch dem eigenen Projekt immer ängstlicher gegenüber steht – „Weißt du, dass Kunst töten kann?“ hatte…
Charles Lewinsky (Jahrgang 1946) kann vieles: Volkslieder, Sitcoms, Hörspiele. Vor allem aber kann er schreiben. Und wie! Sein Roman „Der Halbbart“ stand 2020 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises und wurde für den Schweizer Buchpreis nominiert. Preiswürdig ist auch sein neuer Roman „Sein Sohn“. „Von dem Sohn, den der Herzog von Orléans mit der Köchin Marianne Banzori zeugte, ist nur bekannt, dass er im Dezember 1794 zur Welt kam und in einem Waisenhaus in Mailand abgegeben wurde. Alles andere ist Erfindung.“ So steht es am Ende dieses Buches. Suche nach der eigenen Identität Für den fiktiven Lebensweg dieses Sohnes hat sich Lewinsky tief in die Geschichte der nachnapoleonischen Zeit begeben. Doch trotz aller historischen Hintergründe ist „Sein Sohn“ viel mehr als ein historischer Roman. Denn die Suche nach der eigenen Identität ist zeitlos. Für Louis Chabot, den Protagonisten des Romans, beginnt das Leben als Underdog in einem Waisenhaus. Ganz allmählich und mit der Hilfe eines wohlwollenden Marquis arbeitet sich der von allen gemobbte Junge zu einem angesehenen Bürger empor. Viel Glück im Leben Das Glück scheint ihm auch in schlimmen Zeiten hold zu sein. Und Louis Chabot ergreift es mit beiden Händen, ohne seine Menschlichkeit zu verlieren. Das zahlt sich…
Papyrus ist ein Buch über Bücher. Und was für eines! Fabelhaft! Die Spanierin Irene Vallejo erweist sich mit „Papyrus“ als versierte und wortmächtige Anwältin des gedruckten Buches. Ihre über 700 Seiten dicke Geschichte der Welt in Büchern beginnt im 3. Jahrhundert vor Christus mit der Weltbibliothek von Alexandria und endet mit der Absetzung des letzten römischen Kaisers Romulus Augustus im Jahr 476 nach Christus. Vom Papyrus zum E-Book Dazwischen hat Irene Vallejo viel Zeit und Gelegenheit für Anekdoten, Rekurse auf historische Quellen, Ausflüge in die Gegenwart, ja sogar Kriminalgeschichten. Immer geht es um das Überleben der Worte, ob auf Stein, Ton, Schild, Leder, Holz oder Papier. Es war ein weiter Weg vom gerollten Papyrus der Ägypter über das Pergament der Griechen bis zum E-Book und den Graffiti. Fesselnd wie ein Abenteuerroman Irene Vallejo erzählt eine Überlebensgeschichte so fesselnd wie ein Abenteuerroman: „Das Buch hat sich im Laufe der Zeit bewährt, es hat sich als Langstreckenläufer erwiesen. Wann immer wir aus dem Traum der Revolutionen oder dem Alptraum der Katastrophen erwachten, war das Buch noch da. Es ist, so sage Umberto Eco ‚ein technisch vollendetes Meisterwerk‘.“ Eco ist nicht der einzige Literat, auf den sich Vallejo bezieht, unter anderen treten…
Andrej Kurkow ist Ukrainer, und das Schicksal der Ukraine liegt ihm am Herzen. Jetzt hat er einen historischen Kriminalroman geschrieben, der 1919 spielt, „weil die Situation damals der heutigen in der Ukraine sehr ähnelt“, wie er dem Spiegel verriet. „Samson und Nadjeschda“ ist keine Liebesgeschichte, eigentlich auch kein Krimi und auch kein historischer Roman, eher alles zusammen und eine Art Schelmenroman dazu. Zufallsopfer der Umbruchszeit Denn dieser Samson, ein studierter Maschinenbauer, wird durch einen unglücklichen Zufall zu einem erfolgreichen Ermittler in der Miliz. Rotarmisten haben auf offener Straße seinen Vater erschlagen und ihm das rechte Ohr abgetrennt. Die beiden gutbürgerlichen Männer sind Zufallsopfer einer brutalen Umbruchszeit. Die russische Revolution hat Horden von Banditen nach Kiew gespült, die der Stadt und den Bewohnern zusetzen. Das talentierte Ohr Doch Samson hat Glück, auch wenn der Augenarzt das Ohr nicht mehr annähen kann. Das in einer Dose aufbewahrte Organ rettet ihm das Leben und wird zum Schlüssel seiner Karriere. Denn wundersamerweise hat das Ohr das Talent eines Abhörgeräts: Es hört mit. Schräge Dialoge, wirre Konversationen aber auch das, was die bei Samson einquartierten Rotarmisten planen, die so eifrig große Säcke in Samsons Wohnung schleppen. Ein Schneider als Opfer Irgendwie geht es dann auch…
Isabel Allende kann auch mit 80 Jahren vom Schreiben nicht lassen. Die erfolgreichste lebende Schriftstellerin Lateinamerikas hat immer noch viel zu sagen. Auch in ihrem neuen Roman Violeta. Er handelt – wie sollte es bei der engagierten Frauenrechtlerin auch anders sein – von einer starken Frau und von einem geschichtsträchtigen Jahrhundert. Denn Violeta ist 100 Jahre alt, als sie beschließt, ihrem Enkel Camilo ihr Leben zu erzählen. Und sie verspricht: „Du wirst sehen, mein Leben ist ein Roman“. Was für ein Leben Und was für ein Leben das war: Eine missglückte Ehe, eine toxische Liebesbeziehung, aus der zwei Kinder hervorgingen und eine erfolgreiche Karriere als Unternehmerin. Die tödliche Drogensucht der Tochter, die Verfolgung des politisch aktiven Sohnes, die Erziehung des mutterlosen Enkels Camilo, eine neue Liebe, und gar eine Wanderung auf dem Jakobsweg. 400 Seiten prall gefüllt mit Erlebnissen, politischen Ereignissen und Anekdoten. Die Jahrhundertfrau Eine eigenwillige und selbstbewusste Heldin, die zu ihren Schwächen ebenso steht wie zu ihrer Familie. Da hat Isabel Allende wieder aus dem Fundus der eigenen Familiengeschichte geschöpft, hat das Schicksal der Mutter mit der eigenen Vita verwoben. Violeta, die Jahrhundertfrau, ist trotzdem ein ganz eigenständiger Charakter. Von der Konservativen zur Aktivistin Bürgerlich, eher der konservativen…
Es ist heiß, brandheiß. Gleich über dem Fluss gegenüber vom Hotel brennt der Waldl ichterloh. Die meisten Menschen haben das Dorf verlassen, nur die Hotelerbin hält noch tapfer stand. Nein, dies ist nicht die Beschreibung eines der derzeitigen Waldbrände, es ist der Beginn eines im wahrsten Sinn des Wortes brandaktuellen Romans. Geschrieben hat ihn die gebürtige Augsburgerin Franziska Gänsler. „Ewig Sommer“ ist das Debüt der jungen Autorin, die heute in Wien lebt. Eine der letzten im Ort „Franziska Gänsler schreibt mit einer ungeheuren sprachlichen Kraft… und erzeugt gleich von der ersten Seite an so viel Spannung, dass man das Buch nur so verschlingt“, lobt der Verlag. Franziska Gänsler schreibt aus der Sicht von Iris, die das Hotel von ihrem Großvater geerbt hat. Als eine der letzten harrt sie im ehemaligen Kurort Bad Heim, der inzwischen in einem Waldbrandgebiet liegt, aus – rauchend und auf Regen hoffend. Mutter und Tochter Es gibt keine Gäste im Hotel, kaum mehr Menschen im Ort bis auf Baby, die dicke, alte Frau, die scheinbar schon immer da war. Und das Klimacamp vor dem brennenden Wald. Für Iris vergehen die Tage in Monotonie. Und dann klopft eines Tages Dori an die Tür, eine junge Mutter mit…
In dunkle Abgründe führt das Autoren-Duo und Ehepaar Nicci French ((Nicci Gerrard und Sean French) die Lesenden in seinem neuen Thriller. Tess ist geschieden und vergöttert ihre dreijährige Tochter Poppy. Von Kindsvater Jason, dessen junge Frau ein Kind erwartet, hat sie sich einvernehmlich getrennt. Auch der Regelung, dass Poppy Zeit mit ihm und der neuen Frau verbringt, hat sie zugestimmt. Was ist passiert? Doch dann findet sie nach einem Vater-Wochenende eine krakelige Zeichnung des Kindes, die darauf hindeutet, dass es etwas Schreckliches gesehen, gehört oder womöglich erlebt haben könnte. Und so beginnt Tess‘ Suche nach etwas, von dem sie nicht weiß, was es ist. Nachdem sie von einem Mord an einer jungen Frau gelesen hat, der in das Schema von Poppys Zeichnung passt, beginnt sie, alle Männer in ihrer Umgebung zu verdächtigen, zuvördest Jason aber auch ihren neuen Freund. Und sie zeigt ihren Verdacht bei der Polizei an. Wer ist schuld? Doch niemand will ihr glauben, sie isoliert sich immer mehr, sammelt Beweise und Verdachtsmomente, die niemanden interessieren. Bei der Polizei gilt sie bald als schwieriger Fall. Dass auch Poppys Verhalten immer problematischer wird, kommt erschwerend hinzu. Doch Tess gibt nicht auf. Ihre Suche führt sie an Abgründe und bringt…