Werner Herzog ist eine Ausnahmeerscheinung – als Regisseur, als Autor und als Mensch. Auch deshalb ist dieses Buch über sein Leben so außergewöhnlich. Herzog erzählt in „Jeder für sich und Gott gegen alle“ nicht linear, er reiht Erinnerungen aneinander. An die Kindheit in Sachrang, wo es nur im Herbst und Winter Schuhe gab und alles „in einem Zustand der Anarchie“ war. An die Frauen in seinem Leben, ohne die sein Leben „ein Nichts gewesen wäre“. Artverwandte Film-Heroen Aber dieses inzwischen 80 Jahre währende Leben war alles andere als ein Nichts. Es hat ihn durch die ganze Welt geführt, hat ihn lebensgefährliche Abenteuer erleben und Freundschaften schließen lassen. Vieles, was er erlebt hat, ist in seine Filme eingeflossen. Und die Heroen dieser Filme, schreibt er, „sind alle artverwandt“, unterschätzte Visionäre wie Echnaton, „er ein halbes Jahrtausend vor Moses eine frühe Form des Monotheismus einführte“. Kinski, der liebste Feind Immer wieder kommt der alte Herzog auf seine Kindheit zurück, auf die Care Pakete, von denen eines das Buch „Pu der Bär“ enthielt, „eine Offenbarung“. Und dann München in der Nachkriegszeit, ein Abenteuerspielplatz für die Kinder. Später die Wohnung in Schwabing und das erste Zusammentreffen mit Klaus Kinski, der Herzogs „liebster Feind“ wurde….
Sie sind reich, superreich, und mächtig – die sieben Frauen und Männer, die sich zum Bitcoin Komplott verschwören, um eine neue Welt zu gründen. Denn im gleichnamigen Roman von Andreas Brandhorst geht es um nicht weniger als die Weltherrschaft. Und darum kämpfen die Verschwörer mit allen Mitteln – auch gegeneinander. Gefährlicher Bitcoin Lange haben die Staatenlenker tatenlos zugesehen, wie die Unternehmer immer reicher und mächtiger wurden, wie Bitcoin zu einer Art Goldstandard wurde und die Leitwährungen verfielen. Es sieht so aus, als hätten die Sieben leichtes Spiel. Doch irgendwann ist auch die Politik aufgewacht, die Währungshüter sind alarmiert. Im Netz der Verschwörer Das alles interessiert Martin Freeman nur am Rand, denn er will vor allem den Mord an seinen Eltern aufklären, von dem er auf rätselhafte Weise erfahren hat. Und so geraten er und seine Hacker-Freundin Dakota mitten hinein in das Netz, dass die Sieben mit ihrem Bitcoin Komplott gespannt haben. Während die beiden immer tiefer in die Welt von Bitcoin, Blockchain und KI eintauchen, dezimiert sich die Zahl der Verschwörer. Wer ist Satoshi Nakamoto? Die Gegner sind nicht zimperlich im Umgang mit den Frauen und Männern, die sich durch ihren Reichtum unantastbar wähnten. Aber wo ist die undichte Stelle?…
Das Meer „ist in jeder Hinsicht immens“, schreibt Richard Hamblyn in der Einleitung zum gleichnamigen Buch – und es ist immens wichtig für Mensch und Tier. Allerdings überfordere es die menschliche Vorstellungskraft. Mit seinem Buch unternimmt der Engländer den Versuch „einer kulturell und geografisch geprägten Reise von den Flussmündungen bis zu den Tiefseegräben“, die mit „wahrscheinlichen Zukunftsszenarien für unsere Maritime Umwelt“ endet. Gormleys „Another Place“ Seit Homers Zeiten seien „kreative Geister wie besessen vom lockenden Sirenengesang des Meeres“ schreibt Hamblyn und präsentiert solche kreativen Geister wie den Bildhauer Anthony Gormley. Mit seiner beunruhigend realistischen Unterwasser-Installation „Another Place“ rufe Gormley den Untergang verletzlicher Küsten ebenso ins Bewusstsein wie „das Auftauchen der Menschheit aus dem Ozean vor Anbeginn der Zeit“. Strandräuber und Seebäder In den folgenden Kapiteln spürt Richard Hamblyn alten Mythen, Schiffshavarien und Strandräubergeschichten ebenso nach wie modernen Interpretationen von Meeressehnsucht oder dem Klimawandel. Er entwirrt Seemannsgarn und erklärt das moderne SeaSpeak, eine Art Basic English für die Containerschifffahrt. Er beschreibt, wie sich Fischerdörfer in Seebäder verwandelten. Und er erinnert an die „Friendly Floatees“, Plastikschwimmtiere, die von einem havarierten Frachter aus auf Weltreise gingen und neue Erkenntnisse über Meeresströmungen vermittelten. Forschung und Kunst Ein Großteil des Buches widmet sich der Meeresforschung,…
Rebecca Wait schreibt gern über Familien, auch in ihrem neuen Roman „Meine bessere Schwester“. Und wie heißt es so schön bei Tolstoi: „…jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Weise“. Die Familie von Alice und Hanna ist besonders unglücklich. Das liegt schon am Erbe der Mutter Celia. Das eher hässliche und schüchterne Mädchen stand lange im Schatten ihrer schönen und klugen Schwester Katy, bis diese in die Schizophrenie abdriftete. Ihr Schicksal hängt fortan wie eine dunkle Wolke über der Familie. Die freudlose Celia krallt sich in ihrer Verzweiflung den Freund ihrer einzigen Freundin, Paul. Dominante Mutter Neben den Zwillingen Alice und Hanna haben den beiden noch den wenig auffälligen und eher gefühlsarmen Sohn Michael. Celia wird zu einer dominanten Mutter, die in der Furcht lebt, ihre Kinder könnten die Schizophrenie ihrer Schwester geerbt haben. Irgendwann entflieht Paul dem lieblosen Haushalt in die Arme einer jüngeren Frau. Ungleiche Zwillinge Trotz des häuslichen Elends steht die hübsche Hanna meist im Mittelpunkt einer großen Freundeschar. Aber der unscheinbaren Alice droht ein ähnliches Schicksal wie Celia, ein Leben ohne Freunde und ohne Liebe: Alice ohne Wunderland. Doch dann scheint sich bei Hanna Katys Erbe zu manifestieren. Die lebenslustige junge Frau verfällt in eine tiefe…
Klüpfel und Kobr sind ausgewandert – in wärmere Gefilde. Cote d’Azur statt Allgäu. Und den Kluftinger haben sie zurück gelassen. Das Allgäuer Autorenduo will sich ganz offensichtlich neue Gefilde erschließen. „Die Unverbesserlichen“ heißt der gerade erschienene Roman, wobei der Untertitel mehr verspricht als das Buch hält. Denn „Der grosse Coup des Monsieur Lipaire“ entpuppt sich als Gaunerstück mit glücklichem Ausgang. Lipaire alias Liebherr Tatsächlich hat der Deutsche, der nach dem Scheitern seiner Ehe und seiner beruflichen Tätigkeit als Apotheker, in Port Grimaud an der Cote eine neue Heimat gefunden hat, mehr Glück als Verstand. Guillaume Lipaire nennt er sich, Wilhelm Liebherr hieß er in seiner deutschen Vergangenheit. Aber als Guillaume fühlt er sich französischer als so mancher Franzose, zumal er sich zugute hält, auszusehen wie Alain Delon in seinen späteren Jahren. Sein Geld verdient er als Hausmeister für die Inhaber von Zweitwohnsitzen und -Villen, die er hin und wieder zweckentfremdet und an Touristen vermietet. Kleine Gaunereien Auch der junge Karim, als Wassertaxifahrer unterwegs, nutzt sein Gefährt zwischendurch für private Zwecke. Die beiden verbindet fast eine Vater-Sohn-Beziehung. Und als Lipaire glaubt, einem Schatz auf der Spur zu sein, weiht er Karim ein. Doch es bleibt nicht bei den beiden. Mit Pudel…
Tania Witte ist in ihrem Büchern immer nah dran am Zeitgeist. Ihr neuer Roman Einfach nur Paul“ macht da keine Ausnahme. Der 16-jährige Paul, der noch dabei ist, seinen Weg zu finden, wird mit einer Entdeckung konfrontiert, die sein bisheriges Leben auf den Kopf stellt. Folgenschwere Entdeckung Eigentlich ist Paul ein normaler 16-Jähriger und verliebt wie so ziemlich alle in seinem Alter. Nur dass seine Freundin Amira asexuell ist, bekümmert ihn. Doch schon bald muss er erfahren, dass das sein geringstes Problem ist. Denn per Zufall entdecken er und seine Schwester, dass er nicht das biologische Kind seiner Eltern sein kann. Und das wirft ihn erstmal komplett aus der Bahn. Warum haben ihm seine Eltern nichts gesagt? Wer ist sein Vater, mit dem er ständig im Clinch liegt, wirklich? Und vor allem: Wer ist seine Mutter, die sie beide verlassen hat? Und warum? Aufschlussreiche Briefe Tania Witte gibt den Lesenden in ihrem Roman durchaus Hinweise, indem sie jedes Kapitel mit einem Brief der Mutter an ihr Kind ergänzt. Und trotzdem stellt die Begegnung der beiden Pauls Welt auf den Kopf. Er macht eine Entdeckung, die zwar alles erklärt, mit der aber niemand gerechnet hat. Was ist das Problem? Am allerwenigsten…
Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet das friedliche Gunzenhausen Schauplatz eines spannenden Thrillers werden könnte? Melissa C. Hill und Anja Stapor sind in Gunzenhausen aufgewachsen und sie haben vor Ort den perfekten Schauplatz für ihren gemeinsamen Erstling „Lupus Noctis“ gefunden – das unterirdische Hilfskrankenhaus. Für Melissa C. Hill „der Stoff, aus dem Alpträume gemacht sind“. Ihr Thriller zeigt, wie aus einem Spiel ein Alptraum werden kann. Sechs Freunde im Bunker Sie sind beste Freunde und freuen sich auf ein gemeinsames Spielabenteuer: Theo, Lena, Jakob, Eileen, Marcel und – neu dabei – Josephine, Theos Nachhilfeschülerin. Das Rollenspiel Lupus Noctis verspricht diesmal ein ganz besonderes Abenteuer, denn es geht in ein verlassenes Bunkerkrankenhaus in Gunzenhausen. Ein böses Spiel Doch aus dem Spiel um Werwölfe und ihre Opfer wird diesmal blutiger Ernst. Die sechs Jugendlichen müssen bald erkennen, dass es um mehr geht als um eine Kerze als Lebenslicht. Der Schlüssel zum rettenden Ausgang verschwindet, das Licht erlischt. Ist noch jemand mit ihnen unter der Erde? Oder schlimmer noch: Ist jemand unter ihnen, der in diesem bösen Spiel die Fäden zieht? Wechselnde Perspektiven Melissa C. Hill und Anja Stapor lassen in Lupus Noctis die Jugendlichen selbst zu Wort kommen. Die beiden Autorinnen haben die…
Der in Deutschland eher unbekannte französische Schriftsteller Hervé Le Tellier wurde 2020 mit dem renommierten Prix Goncourt ausgezeichnet. Dank des Romans „Die Anomalie“, der inzwischen auch auf Deutsch erschienen ist. Eine Reihe von Personen Das Buch beginnt eher verwirrend als spektakulär. Kapitelweise treten Personen auf, als erster der Profikiller Blake. Dann auch der erfolglose Schriftsteller Victor Miesel, der in seinem Abschiedsbrief am Wert seiner Existenz zweifelt. Auch die attraktive Lucie, eine alleinerziehende Mutter tritt auf, der todkranke David oder die kleine Sophia. Das Jahrhundert-Unwetter Es wäre gut, wenn die Lesenden diese Porträts für die folgenden Seiten im Gedächtnis behielten. Denn all diese Menschen fliegen am 10. März 2021 von Paris nach New York. Nichts Besonderes heutzutage. Doch ein Jahrhundert- Unwetter verändert alles, auch wenn die Passagiere bei der Landung in den USA erst einmal nur froh sind überlebt zu haben und in ihren Alltag zurückkehren. Doppelte Identitäten Sie können ja nicht wissen, dass sich das Flugzeug während des Unwetters verdoppelt hat. Aus unerfindlichen Gründen fliegt die Zwillingsmaschine erst im Juni den Airport an und wird wegen der anomalen Auffälligkeiten auf eine Militärbasis umgeleitet. Schnell wird klar, dass sowohl Flieger als auch Insassen identisch mit der im März gelandeten Maschine sind….
Der Schriftsteller Hernan Diaz hat mit dem Roman „Treue“ (im Original „Trust“ – Vertrauen) ein literarisches Meisterwerk geliefert. Doch worum geht es in diesem verschachtelten Roman? Mit der Geschichte eine fiktiven Wallstreet-Milliardärs und seiner Frau lockt Diaz die Lesenden in ein literarisches Labyrinth, wobei er ein raffiniertes Spiel mit Schopenhauers „Die Welt als Wille und Vorstellung“ treibt. Vier verschiedene Perspektiven In vier verschiedenen Perspektiven kreist Diaz um den Wallstreet-Tycoon Andrew Bevel und seine Frau Mildred. Am Anfang steht ein Roman um den erfolgreichen Aktienspekulanten Benjamin Rask und dessen psychisch kranke Frau Helen, die in einer Schweizer Nevenklinik an den Folgen barbarischer Experimente stirbt. Es folgt die Lebensgeschichte Andrew Bevels, die auffallend viele Parallelen zum Roman hat, in der Mildred allerdings in einem Sanatorium ihrem Krebsleiden erliegt. Die Memoiren der Journalistin Ida Partenza, die als 20-Jährige Bevels Memoiren teilweise aus der eigenen Fantasie ergänzte, rücken einiges zurecht. Doch eine Art Auflösung bringt erst Mildreds Tagebuch. Bilder einer Frau Wer also ist Mildred/Helen? Eine durch die Kindheit als Hochbegabte traumatisierte Frau, die der Fortschrittsglaube ihres Mannes umbringt? Eine warmherzige Mäzenin und liebevolle Ehefrau, die der Krebs dahinrafft? Oder eine kluge Finanzjongleurin, die bis an ihr Ende und darüber hinaus nicht aus dem…
Wütende Bärin heißt dieser verstörende Roman von Ingeborg Berg Holm. Und die norwegische Autorin gibt schon im Prolog die ebenso unterkühlte wie abschreckende Atmosphäre vor: „So wird die Leiche liegenbleiben, mit einem Fleckchen nackter goldener Erde um den angenagten Schädel. .. Und selbst wenn der Körper sich vollständig aufgelöst hat und die Knochen verwittert sind, wird der Nylonanzug fortbestehen. Eine fossile Plastikhülle in Menschenform, gekrönt von einem Glorienschein aus Pflanzen, wo der Kopf zu Erde geworden ist.“ Drei Perspektiven und ein Kind Noch weiß niemand, wer von den drei Protagonisten die Leiche sein wird, die hier die Erde düngt. Es geht um Njal, Sol und Nina, die abwechselnd ihre Sicht der Dinge schildern. Vor allem aber geht es um Lotta, das Kind, um das die Gedanken der drei so unterschiedlichen Menschen kreisen. Wunschwelt und Realität Für Njal ist Lotta die Erfüllung seines nagenden Kinderwunsches, ein kleiner Mensch als Versprechen für die Zukunft. Für Nina, die auf Njal wegen ihres Körperumfangs wie ein „Fruchtbarkeitsfetisch“ wirkt, die aber nie Kinder wollte, war schon die Geburt ein Alptraum. Sie fühlt sich entfremdet und lehnt im tiefsten Inneren das Kind ab. Und Sol, die Njal wegen Nina verlassen hat? Die Pastorin mit den speziellen…