Wüstenblues: Tour der Freuden
Rezensionen / 18. Februar 2017

„Wüstenblues“, das klingt eher nach Melancholie. Dabei war das vorherrschende Gefühl, das Gerhard von Kapff bei seiner anstrengenden Radtour empfunden hat, Euphorie. Euphorie darüber, dass er sich der Herausforderung der 1200 Kilometer langen Tour de Force gewachsen gezeigt hat und Euphorie über die grandiose Landschaft, die er aus nächster Nähe erleben konnte. Ein Mountainbike-Greenhorn und eine Wahnsinnsstrecke Lust auf Abenteuer will von Kapff mit seinem bei Delius-Klasing erschienenen Buch machen, zeigen, dass auch ein ganz normale Familienvater, ein Mountainbike-Greenhorn, so eine Wahnsinnsstrecke schaffen kann. Und das gelingt ihm vorzüglich. Denn man liest gerne über seine Erlebnisse, auch weil der Autor so frisch von der Leber weg erzählt, weil er die Leser mitnimmt auf seine Tour, ihnen auch seine Zweifel nicht vorenthält, seine Vorbehalte den anderen erfahreneren Radlern gegenüber, seine manchmal auch kleinlichen Vorurteile. Lesend folgt man dem Mountainbike-Eleven, zittert mit ihm, wenn er wieder mal der letzte ist, wenn wieder mal ein Reifen platzt oder er sich mühsam den Berg hinauf quält. Geschichte von einem der auszog, das Leben auszukosten Von Kapff ist aus seinem „dahinmäandernden Alltag“ ausgebrochen, will noch einmal „Ungewöhnliches wagen“ und sich zum 50. Geburtstag selbst beweisen, dass er dazu auch fähig ist. So wird das Buch…

Superheldin im kalten Wasser
Rezensionen / 11. Februar 2017

Pirio Kasparov weiß nicht, dass sie eine besondere Gabe hat, bis ihr Freund Ned bei einem Fischzug ertrinkt und sie im eiskalten Wasser überlebt. Und sie weiß auch nicht, dass ihr die Gabe, nicht zu (er)frieren noch einmal das Leben retten wird – und dabei helfen,  einen unglaublichen Umweltfrevel aufzudecken. Doch eines weiß Pirio: Sie wird herausbekommen, warum Ned ertrunken ist – schon wegen Noah, dem kleinen Sohn des Fischers und ihrem Patensohn. Für die Wissenschaft ist Pirios Überleben ein Rätsel, und die Navy würde zu gern von ihrem Talent profitieren. Für viele Zeitungsleser ist sie als „die Überlebende“ eine Heldin, für die Kameraden von Ned allerdings ist sie eine Gefahr. Aufregende Kriminalgeschichte mit filmreifem Show-Down Elisabeth Elo erzählt in ihrem Debüt „Die Frau, die nie fror“ nicht nur eine aufregende Kriminalgeschichte mit einem filmreifen Show-down, sie lässt ihre seit langem mutterlose Heldin auch der eigenen Familiengeschichte auf die Spur kommen. Pirios Verhältnis zum autoritären, in undurchsichtige Machenschaften verstrickten Vater ist angespannt. Wie ihre vom Alkohol abhängige Freundin Thomasina, die Mutter von Noah, hat sie Probleme, eine Bindung aufzubauen, Vertrauen zu entwickeln. Nur der altkluge Noah hat es bisher geschafft, ihr Herz zu erobern. Und für ihn ist sie auch…

Die Unmöglichkeit der Nähe
Rezensionen / 11. Februar 2017

„Ich dachte immer noch es gäbe so vieles nachzuholen, so vieles zu erklären, noch lebte er, aber das war das Furchtbare an seinem allmählichen Entgleiten, dass es zu spät war.“ Frieda hat ihre berufliche Laufbahn als Geschichtslehrerin beendet, ihr Vater Theo ist am Rand des Todes. Zeit für eine Annäherung. Davon erzählt Anna Mitgutsch in ihrem neuen Roman, dem zehnten, den diese außergewöhnliche Autorin veröffentlicht hat. Auch hier legt sie den Finger in die Wunden und lässt trotzdem ihren – oft schwachen – Charakteren ihre Würde. Das gelingt ihr, indem sie die Geschichte aus zwei Perspektiven erzählt, aus der Perspektive der lange zurückgewiesenen Tochter und aus der des allwissenden Erzählers, der die Geschehnisse objektiviert. Entfremdete Familie  Friedas Besessenheit, die Wahrheit über die Rolle ihres Vaters bei den Kriegsgräueln der Wehrmacht zu erfahren, hat ebenso zur Entfremdung zwischen Vater und Tochter beigetragen wie die allzu schnelle Heirat des Vaters nach dem Tod der Mutter und die hasserfüllte Eifersucht der neuen Frau, Berta, auf die widerspenstige Tochter. Berta zwingt den willenlosen Theo, den Kontakt zu Frieda abzubrechen. Doch als der Mann hinfälliger wird, lässt sie widerwillig einen neuen Versuch der Annäherung zu. Ein Jahrhundert  in Jahreszeiten Mitgutsch hat ihren Roman in fünf…

Kochkünste und Küchenlatein
Rezensionen / 11. Februar 2017

In J. Ryan Stradals Roman „Die Geheimnisse der Küche des Mittleren Westens“ geht es zwar um eine geniale Köchin und die Kapitelüberschriften weisen allesamt auf Rezepte hin. Trotzdem ist der Titel eher irreführend. Denn Stradal erzählt zwar ausführlich vom Kochen, aber vor allem eine ungewöhnliche Familiengeschichte in der amerikanischen Provinz. Die Frau mit dem absoluten Geschmackssinn Im Mittelpunkt des Buches steht Eva Thorwald, die Frau mit dem „absoluten Geschmackssinn“. Kein Wunder, ihr Vater ist Koch, ihre Mutter eine ausgezeichnete Sommelière. Doch das weiß Eva nicht. Denn die Mutter verlässt die kleine Familie, als Eva noch ein Baby ist, und der Vater stirbt ausgerechnet an Evas ersten Weihnachtsfest. Seine über alles geliebte Tochter wächst bei Onkel und Tante auf und wird zu einer Virtuosin der Küche des Mittleren Westens und bald auch zu einem umschwärmten Star, der mit seinen Pop-up-Dinners jeden Preis verlangen kann und trotzdem ellenlange Wartelisten abarbeiten muss. Kein Wunder, dass auch Evas leibliche Mutter davon hört und alles in Bewegung setzt, um an solch einem Dinner teilzunehmen… In jedem Kapitel ein neuer Blickwinkel 425 Seiten braucht J. Ryan Stradal in seinem Debütroman, um die beiden ungleichen Frauen aufeinander treffen zu lassen. Weil er Evas Geschichte in jedem Kapitel…

Jäger des verlorenen Schatzes
Rezensionen / 27. Januar 2017

Da hat Krimi-Spürnase Tom Hillenbrand wieder einmal eine spannende Geschichte zusammengerührt. Es geht um verschlüsselte Botschaften in einem alten Gastroführer, um eine vergessene Geschichte aus dem 2. Weltkrieg, um skrupellose Politik und rivalisierende Geheimdienste – und natürlich auch um kulinarische Geheimnisse. „Gefährliche Empfehlungen“ heißt der neue Krimi um den kriminalistisch begabten Koch Xavier Kieffer. Diesmal wird der Luxemburger zum Jäger eines verlorenen Schatzes. Er muss seiner Freundin, der Herausgeberin des Traditions-Gastroführers, zur Seite springen – und gerät dabei beinahe unter die Räder. Kieffer darf nicht sterben  Aber Kieffer darf nicht sterben. Sonst wären wir ja um einen der originellsten Ermittler ärmer. Und Tom Hillenbrand hat sicher noch ein paar Rezepte in der Hinterhand, wie sich Kulinarik und Krimi verbinden lassen. Diesmal jedenfalls steht der Gastroführer „Gabin“ im Mittelpunkt, besser eine Ausgabe aus dem Jahr 1939. Sie scheint ein tödliches Geheimnis zu bergen. Aber was ist so wichtig, dass man 70 Jahre nach Kriegsende noch Menschen umbringt? Xavier Kieffer macht sich auf die Suche bei den Bouquinisten in Paris, in Museen und Küchen – und kommt einer Verschwörung auf die Spur, die bis ins höchste Amt Frankreichs führt. Kein Respekt vor großen Namen  Auf rund 410 Seiten hat Tom Hillenbrand reichlich…

Durch die rosarote Brille
Rezensionen / 24. Januar 2017

Das wäre doch was: Ein lebendiger Spielzeugelefant, noch dazu in rosarot, der in der Dunkelheit leuchtet. Martin Suter, der Schweizer Erfolgsautor mit dem Händchen für aktuelle Themen, konfrontiert die Leser in seinem neuen Roman „Elefant“ mit dem verblüffenden Ergebnis einer Gen-Manipulation. Die kleine Elefantendame verzaubert alle Was so niedlich und harmlos daherkommt, hat einen gefährlichen Hintergrund. Die Möglichkeit, Einfluss auf das Erbgut zu nehmen, könnte skrupellosen Manipulationen Tür und Tor öffnen. Die winzige Elefantendame Sabu, die ihren birmanischen Pfleger Kaung wie ein Gesandter vom Himmel erscheint und die den Obdachlosen Schoch aus seiner Höhle zurück in ein menschenwürdiges Dasein bringt, wäre „ein entzückendes Werbemaskottchen“ für die Harmlosigkeit von Gen-Manipulationen. Gerade das aber wollen der besorgte Veterinär Reber, „Elefantenflüsterer“ Kaung und später auch Schoch und die engagierte Tierärztin Valerie verhindern. Denn Sabu hat sie alle verzaubert. Am Ende wird aus dem Roman ein Märchen Die Rettungsaktion des zwergwüchsigen Wundertiers wird zu einer spannenden Verfolgungsjagd mit einem halben Happy End. Die chinesische Mafia ist involviert und es gibt einen tragischen Unfalltod. „Ein Roman über ein kleines Wunder in einer Welt, in der alles machbar scheint“ heißt es im Werbetext. Suter bietet viel Recherchearbeit auf, um dieses kleine Wunder möglich zu machen, am…

Der ganz normale Wahnsinn
Rezensionen / 29. Dezember 2016

Es fängt eher kurios an: mit einer Gurkenscheibe, dem Relikt eines Gin Tonics. Max Küng spannt seine Leser ganz schön auf die Folter, bis er zur Sache kommt – dem Haus, das entmietet werden soll. Die fünf Mietparteien, die um den Verbleib in dem Haus in der (fiktiven) Züricher Lienhardstraße bangen, skizziert er allerdings auch noch im Prolog, der wohl zeigen soll, wie das Kleinste mit dem Größten zusammenhängt. Die Geschichte ist schnell erzählt: Der Hausbesitzer möchte die Wohnungen sanieren und später teurer vermieten. Dagegen laufen die Mieter Sturm, und sie schließen sich – obwohl höchst unterschiedlich – zu einer Art Schicksalsgemeinschaft zusammen. Unter normalen Umständen würde den eitlen Moderator Tim Gutjahr und den glücklosen Immobilienmakler Fabio ebenso wenig verbinden wie die Kunststudentin Delphine und die Klatsch-Journalistin Paola oder die labile Alleinerziehende Virginia. Die drohende Kündigung wirkt wie eine Katharsis Doch die drohende Kündigung überwindet zunächst alle Schranken. Gemeinsam wird überlebt, wie man juristisch gegen die Kündigung vorgehen könnte. Ausgerechnet bei einer Unterredung unter den Männern öffnet Fabio einen Glückskeks mit dem Spruch „Wenn du dein Haus verlässt, beginnt das Unglück“ – womit der Titel des Buches erklärt wäre. Doch das Unglück hat schon im Haus begonnen. Alle Bewohner stecken…

Wenn Gemälde sprechen könnten
Rezensionen / 12. Dezember 2016

Hannah Rothschild kennt sich aus in der Welt der Reichen und der Kunst. Die 1962 geborene Autorin aus der berühmten Bankiersfamilie steht seit 2015 dem Aufsichtsrat der Londoner National Gallery vor – als erste Frau in der Geschichte des renommierten Hauses. Für ihr Romandebüt „Die Launenhaftigkeit der Liebe“ hat sie jahrelang recherchiert. Das merkt man dem Buch an, das immer wieder mit präziser Sachkenntnis überrascht. Viele Geschichten in einem Roman Dabei ist Rothschilds dickes Buch über die verschlungenen Wege eines Gemäldes und die Perfidie von Kunsthändlern weit mehr als ein Roman über Kunst, er ist auch Historien- und Kriminalroman und zudem eine Liebesgeschichte – und er bringt ein Gemälde zum Reden. Es ist Watteaus „Die Launenhaftigkeit der Liebe“, lang verschollen und nun unter dubiosen Umständen wieder aufgetaucht. Zur Versteigerung sind alle angereist, die auf dem Kunstmarkt Geld und Namen haben. Für das – fiktive – Gemälde eine Selbstverständlichkeit, hatte es doch zu seinen besten Zeiten Könige, Päpste und Mätressen erfreut: „Ich wusste, dass ich gerettet werden würde, aber nicht, dass es fünfzig Jahre dauern sollte. Es hätte Suchmannschaften geben müssen, Bataillone und Legionen. Warum? Weil ich unbezahlbar bin.“ Außerdem galt das so von sich überzeugte Gemälde als größte und bewegendste Darstellung…

Höhenflüge und Fallhöhen
Rezensionen / 12. Dezember 2016

Himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt. Der Volksmund hat die Krankheit richtig erkannt. Die Betroffenen werden von einem Extrem ins andere katapultiert, von der Manie mit Höhenflügen und übersteigertem Selbstbewusstsein bis in die tiefste Depression mit Selbstmordgedanken. Der Begriff „bipolare Störung“ umschreibt nur unzureichend die oft extremen Ausschläge der Krankheit, die oft zur gesellschaftlichen Isolierung der Betroffenen führen. In seinem Buch „Die Welt im Rücken“, das auf der Shortlist des Buchpreises stand, beschreibt Thomas Melle ohne Rücksicht auf sich selbst, wie zerstörerisch die Krankheit wüten kann. Zwischen Wahn und Weltschmerz  Er schildert die Manie, die ihm vorgaukelt, ein bedeutender Künstler zu sein, ja ein Weltenretter, dem die Umwelt mit Verehrung begegnet und der bei den Frauen leichtes Spiel hat. Auf die Umgebung wirkt er in dieser Zeit befremdlich hyperaktiv, ja selbstzerstörerisch. Er fühlt sich allem und jedem überlegen, und während er Freunde und Vorgesetzte beschimpft, die Wohnung zertrümmert und seine geliebten Bücher vernichtet, ergeht er sich in Allmachtsfantasien. Das macht ihn unerträglich für die anderen. Für ihn selbst aber wird erst die auf den Wahn folgende Depression unerträglich. Dann erkennt er das volle Ausmaß der Zerstörung, die er angerichtet hat, erkennt die absolute Leere seines Lebens und fällt in ein tiefes, schwarzes…

Leben wie in der Geisterbahn
Rezensionen / 5. Dezember 2016

Er wollte immer anders sein als sein Vater. Das hat John Burnside auch geschafft. Immerhin ist der Schotte Schriftsteller geworden und lehrt als Professor kreatives Schreiben an der Universität von St. Andrews. Trotzdem ist er überzeugt davon, dass sein Vater nicht stolz auf den Erfolg gewesen wäre. „Er hätte gesagt: Das ist etwas für Weicheier, Bücher lesen und mit Studenten sprechen“, sagte der 61-Jährige in einem Interview. In dem Roman „Lügen über meinen Vater“ hat er mit dem alkoholkranken Stahlarbeiter abgerechnet, dessen Brutalität seine Kindheit überschattet hat. Die Fortsetzung heißt „Wie alle anderen“, und Burnside beschreibt darin, wie er selbst in den 1980er-Jahren drogensüchtig und alkoholabhängig war und zudem noch schizophren. Seltsame Höhenflüge  –  nah daran an der Selbstzerstörung Damals war sein größter Wunsch, wie alle anderen zu sein, also ein normales Leben zu führen – am besten in der Vorstadt und „aufs angenehmste betäubt“. Doch die Betäubung hält nicht an, er gerät wieder in den Sog der Abhängigkeit und fällt ganz tief, so tief, dass ein Kneipenbekannter ihn als Mörder seiner Frau engagieren will. Sein Leben wird zur Geisterbahn, heimgesucht von den Gespenstern der Vergangenheit. Er ist verliebt, hat Sex, reist und erlebt in selbst gewählter Einsamkeit seltsame Höhenflüge…