Er ist sicher einer der bekanntesten Kommissare. Gäbe es ihn wirklich, Guido Brunetti könnte ein Dienstjubiläum feiern. Denn seit 1992 versucht der sympathische Commissario nimmermüde in der Questura von Venedig Heuchlern und Verbrechern das Handwerk zu legen. Pädophile und Sex-Touristen hat er ebenso aufgespürt wie mafiöse Verstrickungen von Immobilienhaien oder Giftmüllskandale aufgeklärt. Und dabei (fast) den Glauben an die Menschheit verloren. Alltagsfrust Denn Urheber vieler Verbrechen oder Skandale sind oft angesehene Bürger der Stadt. Und die meisten kommen am Ende dank ebenso findiger wie skrupelloser Anwälte ungeschoren davon. Hinzu kommt die oft frustrierende Zusammenarbeit mit dem Vorgesetzten, Vize-Questore Patta. Ohne die hilfreiche Präsenz der charmanten und klugen Signorina Ellettra und das meist heile Familienlieben wäre soviel Alltagsfrust unerträglich. Auszeit in der Lagune Kein Wunder also, dass Brunetti nach 25 Jahren einen Zusammenbruch hat. Der ist zwar vorgetäuscht, um einen Kollegen vor einem falschen Schritt zu bewahren. Aber der Commissario merkt schon im Krankenhaus, dass tatsächlich eine Auszeit braucht. Die findet er auf einer kleinen Insel in der Lagune, wo eine Tante seiner Frau ein Anwesen hat. Der wortkarge Verwalter stellt sich als alter Freund von Brunettis Vater heraus, er ist Hobby-Imker und nimmt den Kommissar mit auf seine Streifzüge durch…
Es fängt alles ganz banal an: Ein alter Sack und eine ebenso alte Dame kommen über eine Dating Plattform zusammen. Roy, Typ zauseliger Misanthrop, lässt von Anfang an nichts Gutes ahnen. Da kann einem die nette, scheinbar ahnungslose Betty schon leid tun. Eine Achterbahn der Gefühle Doch dann nimmt die Geschichte Fahrt auf, und Nicholas Searle katapultiert die Leser in seinem Debüt-Roman auf eine Achterbahn der Gefühle. Wobei sie der ehemalige Lehrer und Mitarbeiter des neuseeländischen Geheimdienstes lange an der Nase herumführt. In raschen Perspektivwechseln wird mal Roys krimineller Hintergrund enthüllt, mal Bettys biederes Leben dargestellt. Rückreise in dunkle Zeiten Immer schneller geht es rückwärts in der Zeit, und allmählich dämmert selbst dem naivsten Leser, dass er einer klugen Inszenierung auf den Leim gegangen ist. Denn nichts ist so wie es scheint, nicht einmal auf die Namen ist Verlass. Alles, was sich jetzt ereignet, wäre nicht möglich ohne die Anfänge im Jahr 1938. In der Nazi-Zeit wurde der Samen gelegt für das, was später passiert. Als das Alte Böse noch jung war Damals war „Das alte Böse“, so der Buchtitel, noch jung. Und doch schon spürbar. Ein Junge, selbstverliebt und skrupellos, reift zum Mann, der über Leichen geht. Die Demaskierung…
Ein Mann muss seinen Hund einschläfern lassen und lernt seine Frau, der er sich über die Zeit entfremdet hat, von einer neuen Seite kennen. Eine junge Frau verliert ihre Tasche mit fremdem Geld und macht sich auf die Suche nach dem seltsamen Finder. Ein junger Mann kommt über seine extravaganten Nachbarn der Öde des eigenen Lebens auf die Spur und der Möglichkeit einer Änderung. „Ab morgen wird alles anders“ heißt die neue Sammlung von fünf Erzählungen im ganz eigenen Gavalda-Sound. Wer ändert schon sein Leben mittendrin? Ach, wie oft hat man das selbst schon gedacht – folgenlos. Wer ändert schon sein Leben, mittendrin und ganz ohne Anlass? Anna Gavaldas Protagonisten finden einen Anlass, und sie tun das, was wir uns oft wünschen: Sie brechen noch einmal auf. Das junge Mädchen erkennt nach dem Verlust ihrer Tasche die Oberflächlichkeit ihres Daseins, die Lächerlichkeit ihrer Sehnsüchte. Der merkwürdige Finder, ein Koch, erscheint ihr zunächst suspekt aber mit größerem Abstand auch als Ausweg aus der alltäglichen Misere. Normal wie diese Mathilde sind auch die anderen Protagonisten, Menschen wie du und ich. Ihr Leben verläuft ohne große Katastrophen, aber eben auch ohne Glücksgefühle. Normalos, die plötzlich aufwachen Gavalda beschreibt die Wendungen nicht als dramatische Entscheidung…
Jonas Hassen Khemiri, 1978 als Sohn eines tunesischen Vaters und einer schwedischen Mutter in Stockholm geboren, gilt als die zornige Stimme der Vororte und als Star der schwedischen Literaturszene. Sein Debütroman, „Das Kamel ohne Höcker“ (2003), brachte ihm internationale Anerkennung ein. „Alles, was ich nicht erinnere“, sein vierter Roman, wurde mit dem August-Preis ausgezeichnet, dem wichtigsten schwedischen Literaturpreis. Auch in diesem Roman leiht er den Vororten seine Stimme, den Menschen am Rand der Gesellschaft. Ungeordnete Erinnerungsfetzen Der Inhalt ist schnell erzählt: Der 27-jährige Samuel, der in einer Migrationsbehörde arbeitet, fährt den alten Opel seiner Oma gegen einen Baum. Unfall oder Selbstmord? Ein Autor – am Ende des Buches erfährt man mehr über diese Figur – versucht zu verstehen, was passiert ist und Samuels Leben und Persönlichkeit aus ungeordneten Erinnerungsfetzen seiner Freunde und Verwandten zusammenzusetzen. In oft nur fragmentarischen Statements berichten die unterschiedlichsten Ich-Erzähler über ihre Erfahrungen mit dem jungen Mann. Für den Leser ist es kompliziert, die einzelnen Puzzleteile den jeweiligen Personen zuzuordnen, denn Khemiri hält sich auch nicht an eine zeitliche Abfolge. Am Ende ein Scherbenhaufen So bleibt es dem Leser überlassen, die oft widersprüchlichen Einzelteile zum Ganzen zusammenzufügen. Ein Ganzes, das eine brüchige Welt offenbart. Unter den Stimmen…
Das waren noch Zeiten, als die deutschen Herrschaften in Ostpreußen auf ihren Gütern noch regieren konnten wie kleine Herrscher. Die Dame des Hauses musste sich nur um die Organisation des Haushalts kümmern und manchmal vielleicht auch mit der Mamsell, der Hausdame, darüber streiten, wer das letzte Wort hat. Und natürlich Feste planen, bei denen die Freunde und Nachbarn zusammenkamen und man schauen konnte, ob die Kinder nicht zusammenpassen könnten. Spätere Heirat nicht ausgeschlossen. Solange man unter sich blieb. Adel verpflichtet schließlich. Die mittellose Tochter muss unter die Haube Das bekommt auch Frederike zu spüren, die durchaus ein Gefühl für Gerechtigkeit entwickelt hat und einen Blick dafür, dass die Freuden der Gutsbesitzer manchmal mit der Ausbeutung der Dienerschaft erkauft sind. Trotzdem: An Auflehnung denkt das junge Mädchen auch dann nicht, als die Schwester wegen eines Techtelmechtels mit dem Sohn des Kutschers zu einer gestrengen Tante exiliert wird. Die Mutter hatte nach dem Tod ihres Vaters zwei Mal wieder geheiratet. Der aktuelle Stiefvater war der Bruder des verstorbenen Stiefvaters, und Frederike hat kein Erbe zu erwarten. Manchmal hat sie Angst, sie könnte zu einem Dasein als alte Jungfer verurteilt sein wie die unverheiratete Schwester ihres Stiefvaters, die ebenfalls auf dem Gut lebt….
Seine Reisebücher waren immer Ereignisse, denn Andreas Altmann ist ein Autor, der sich und anderen nichts schenkt. Aber auch einer, der um Worte nicht verlegen ist, der sagen kann, was er denkt, weil er die Sprache beherrscht. Nach „Gebrauchsanweisung für die Welt“ hat Altmann sich nun an einer „Gebrauchsanweisung für das Leben“ versucht. Radikale Denkanstösse Natürlich kann auch der Weitgereiste keine Antworten auf existenzielle Fragen geben, aber er kann Denkanstöße liefern. Auch da ist Altmann radikal. Die Aufforderung aus dem Film Creed an einen jungen Boxer „Du sollst nicht fügsam sein, du sollst leben“ könnte auch von ihm stammen. Schließlich ist ihm nichts so verhasst wie Fügsamkeit, Gehorsam, der „Ranz der Routine“ oder auch der „Terror der Ereignislosigkeit“. Nein, ein Rezept fürs Leben hat auch Altmann nicht, er kann nur gelungene Leben präsentieren, kann zeigen, wie lebensmutig so mancher Krüppel ist und wie halbtot so mancher Handy-Sklave. Ringen um ein erfülltes Dasein Manche der erzählten Episoden sind hinreißend in ihrer oft entlarvenden Ehrlichkeit, andere scheinen eher verzichtbar. „Dieses Buch ist kein Reiseführer, dieses Buch soll zum Leben anspornen,“ schreibt Altmann. Aber natürlich spielen auch in diesem Buch seine Reise-Erfahrungen eine Rolle, die Begegnungen mit einem Sterbenden am Ganges, mit Heimatlosen…
„Und so wurden wir ja wirklich das Wüten der ganzen Welt.“ (Koja Solm bei seiner späten Beichte) Ein Monsterbuch, eine monströse Geschichte: Chris Kraus rechnet in „Das kalte Blut“ auf 1200 Seiten mit der jüngeren deutschen Geschichte ab – und er mutet seinen Lesern ganz schön viel zu. Kein Wunder, dass der arme, kranke Hippie, dem der alte Konstantin (Koja) Solm 1974 im Krankenhaus seine Geschichte und die seines Bruders erzählt, fast verrückt wird. Es ist größtenteils keine erfundene Geschichte, die Kraus seinen Protagonisten erzählen lässt, es ist die Geschichte seines Großvaters. Schon in seinem Film „Die Blumen von gestern“ hat sich der Regisseur und Autor bei seiner Familiengeschichte bedient. Zwei Brüder und eine verhängnisvolle Affäre In dem breit angelegten Roman „Das kalte Blut“ lässt er den Großvater selbst zu Wort kommen. Sein alter Ego ist der Deutschbalte Koja, Sohn eines labilen Künstlers und einer stolzen Aristokratin und jüngerer Bruder des Theologiestudenten Hub, der sich zum fanatischen Nationalsozialisten wandelt. Auch Koja wird Nazi, das politische Engagement verbindet die Brüder ebenso wie die Liebe zu Ev, die als angenommene Schwester in der Familie aufwächst und erst spät erfährt, dass sie eigentlich Jüdin ist. Sie heiratet den Älteren und bekommt vom Jüngeren…
Anfang der 1990er Jahre hat ein texanischer Milliardär ein „außerirdisches“ Projekt namens „Biosphäre 2“ finanziert. Ein luftdicht verschlossenes riesiges Gewächshaus, in dem vier Frauen und vier Männer zwei Jahre lang mit den unterschiedlichsten Tier- und Pflanzenarten leben, um zu testen, ob ein Leben außerhalb der Erde (Biosphäre 1) möglich sein könnte. Von dieser Endzeit-Hoffnung und diesem Ausdruck menschlicher Hybris hat sich Amerikas Erfolgsautor T.C. Boyle für seinen Roman „Die Terranauten“ inspirieren lassen. Es ist ein echter Boyle geworden, changierend zwischen Truman Show und Dschungelcamp, Big Brother und Sartres „Geschlossener Gesellschaft“. Der Einzug ins Glashaus wird von medialem Rummel begleitet Die acht Auserwählten für einen zweiten Versuch im Glashaus von „Ecosphere 2“ sind fest entschlossen, den Fehler ihrer Vorgänger nicht zu wiederholen und die Luftschleuse, die sie von der wirklichen Welt trennt, unter keinen Umständen zu öffnen. Während sie begleitet von medialem Rummel Einzug in ihr neues Universum halten, müssen diejenigen draußen bleiben, die es nicht geschafft haben. Ihre Perspektive vertritt die Koreanerin Linda Ryu, die beste Freundin von Dawn Chapman, die Boyle ebenfalls zur Ich-Erzählerin macht. Dazu kommt noch der attraktive Ramsey, den die Frage, mit welcher der Frauen er Sex haben könnte, mehr beschäftigt als seine eigentliche Aufgabe. Keiner…
Ausgerechnet „am Ende der Welt“, im bretonischen Finistère, gibt es eine ganz besondere Bibliothek. Hier können abgelehnte Manuskripte abgegeben werden. Und ausgerechnet hier entdeckt eine junge Lektorin, die sich durch ihr Gespür für erfolgversprechende Bücher einen Namen gemacht hat, einen Roman, der das Zeug zum Bestseller hat. Hauptsache, das Narrativ stimmt Der Verfasser, ein Pizzabäcker, ist schon tot und seine Witwe beteuert, ihr verstorbener Mann habe Zeit seines Lebens kein Buch in die Hand genommen. Zweifel sind also angebracht. Doch schnell spült der Buchmarkt den Roman nach oben: Die Geschichte des unbekannten Pizzabäckers, der einen Bestseller verfasst hat, ist zu schön, um nicht in die Öffentlichkeit hinaus posaunt zu werden. Posthum wird Henri Pick zum Literaturhelden – und zu einem Katalysator, der das Leben in Finistère verändert. Witwe und Tochter Picks stehen plötzlich im Rampenlicht ebenso wie die Leiterin der örtlichen Bibliothek. Ja selbst deren Gründer, auch er längst verstorben, kommt zu neuen Ehren. Die Eitelkeiten der Literaturszene David Foenkinos beschreibt den erstaunlichen Reigen, den die Entdeckung auslöst, mit viel Spaß am Vexierspiel und noch größerer Freude an der Entlarvung der Eitelkeiten in der literarischen Szene. Dass er die als Insider zur Genüge kennt, beweisen die Namen und Anekdoten, die…
Am Anfang ist der Traum: Der Lehrer Nani träumt von einem Mädchen in einem roten Mantel. Es könnte seine Tochter sein, Martina, die mit acht an Leukämie gestorben ist und deren Tod auch den Tod seiner Ehe bedeutete. Am Morgen erfährt der Träumer, dass ein Mädchen im roten Mantel verschwunden ist, die achtjährige Lucia. Nani, der den Traum als Wink des Schicksals interpretiert, wird zum Detektiv und sucht auch dann noch weiter, als die Polizei die Akten geschlossen hat und die Eltern sich mit dem Tod ihrer Tochter abgefunden zu haben scheinen. Seine Suche verwickelt ihn in einen anderen Fall, bei dem ein ebenfalls achtjähriges Mädchen nach Kambodscha verschleppt und in die Prostitution gezwungen wurde. Nah dran an einer bestürzenden Realität Dacia Maraini, die große alte Dame der italienischen Literatur, bleibt im ihren Roman „Das Mädchen und der Träumer“ nah dran an einer bestürzenden Realität. „Das gekidnappte Kind sowie das andere Kind, das in einem asiatischen Bordell landet – das sind wahre Geschichten, die ich von Amnesty International erfahren habe“, sagte sie in einem Interview. Allein in Italien verschwinden alljährlich Tausende von Menschen. 27000 waren es zwischen 1974 und 2014, darunter 11565 Kinder. In ihrem Roman beleuchtet Maraini schlaglichtartig viele Aspekte…