Man merkt gleich, dass hier eine Journalistin am Werk ist, eine, die gerne und gründlich recherchiert. Aber auch eine, die eine feste Meinung hat, vor allem wenn es um Tierschutz, Umwelt oder auch die neuesten digitalen Errungenschaften geht. Nicola Förg scheut sich nicht, in ihren Krimis aktuelle Probleme anzusprechen – ob es sich nun um giftige Gülle oder Welpenschmuggel handelt wie in den letzten Krimis oder um den Unsinn von Silvesterfeuerwerken in freier Natur und die Problematik von Windenergie wie im aktuellen Buch. „Rabenschwarze Beute“ heißt das neue spannende Werk aus der Feder der erfolgreichen Autorin. Es ist ihr 19. Alpenkrimi, diesmal wieder mit der handfesten Irmi und ihrer sprunghaften Kollegin Kathi. Im aktuellen Fall hat Nicola Förg gleich mehrere aktuelle Probleme auf 350 Seiten untergebracht, und es ist ihr trotzdem gelungen, einen bis zur überraschenden Auflösung spannenden Krimi zu schreiben. Ein toter Vogelschützer und ein erfrorenes Mädchen Die beiden Kommissarinnen sind nicht nur mit einem toten Vogelschützer konfrontiert, der während der Silvesterknallerei buchstäblich vom Balkon geschossen wurde. Bei einem „Motivations-Wochenende“ in den Bergen stolpern sie auch über eine ziemlich oberflächlich wirkende Modebloggerin, die ihre kleine Tochter für ihre Auftritte instrumentalisiert. Als das kleine Mädchen erfroren aufgefunden wird, ist für…
„Uns andere aber hört man dort, wo wir einst lebten, manchmal in den Bäumen. Man hört uns im Gras und im Grillenzirpen, man hört uns, wenn man den Kopf gegen das Astloch der alten Ulme legt, und zuweilen kommt es Kindern vor, als könnten sie unsere Gesichter im Wasser des Baches sehen. Unsere Kirche steht nicht mher, aber die Kiesel, die das Wasser rund und weiß geschliffen hat, sind noch dieselben, wie auch die Bäume dieselben sind. Wir aber erinnern uns, auch wenn keiner sich an uns erinnert, denn wir haben uns noch nicht damit abgefunden, nicht zu sein. Der Tod ist immer noch neu für uns, und die Dinge der Lebenden sind uns nicht gleichgültig. Denn es ist alles nicht lang her.“ Ein Krieg, der das Land und die Seelen der Menschen verheerte Diesen längst vergessenen Toten aus einem fürchterlichen Krieg, der 30 Jahre lang das Land und die Seelen der Menschen verheerte, gibt Daniel Kehlmann in seinem fabelhaften Roman „Tyll“ das Wort. Nein, Kehlmann hat keinen Roman über den Gaukler Till Eulenspiegel geschrieben, auch wenn Titel und Umschlagbild das vorgaukeln. Kehlmann hat über den Dreißigjährigen Krieg geschrieben und den närrischen Gaukler aus dem Mittelalter da hinein gepflanzt –…
„Vera ließ sich von seiner vernarbten Fassade und dem drangierten Reedach nicht täuschen: Das Haus moche angeschlagen sein, aber es würde hier noch stehen, wenn sie schln längst ihren Abgang durch die Brauttür gemacht hatte, Füße voran.“ Die Sehnsucht nach der heilen Welt Das alte Haus steht im Mittelpunkt von Dörte Hansens Roman „Altes Land“, der sich überraschend monatelange auf den Bestsellerlisten behauptete. Der erste Hype ist schon wieder abgeebbt, aber Landleben zieht noch immer. Die Sehnsucht nach einer „heilen Welt“, zurück zu den Wurzeln, pflanzen und ernten. Dörte Hansens hat sich diesen Hype zunutze gemacht und ihn gleichzeitig karikiert. Ihr Roman spielt in den Apfelgärten der Elbmarsch südlich von Hamburg – und in dem alten Haus spielen sich Dramen ab – Flüchtlingsdramen. Im Zweiten Weltkrieg stranden dort die ostpreußische Adelige Hildegard von Kamcke und ihre Tochter Vera, von der Hofherrin als Gesindel verachtet. Später erbt Vera das Haus mit „seiner vernarbten Fassade“. Und als die schroffe Zahnärztin schon in die Jahre gekommen ist und das Haus heruntergekommen, flüchtet sich ihre Nichte Anne mit Sohn Leon unter das brüchige Reetdach. Anne hat genug von der Großstadt, vom allseits zur Schau gestellten Mutterglück, genug von dem Mann, der sie betrogen hat. Das…
Gleich vorneweg. Wer diesen ersten Band von Haruki Murakami liest, kommt um die Fortsetzung nicht herum. Zu viele Erzählstränge sind noch offen, zu groß ist die Neugier, ob der Autor die Balance zwischen Ost und West, zwischen Realität und Magie aufrechterhalten kann. Murakami schlüpft in „Die Ermordung des Commendatore“ in die Figur eines minder begabten Malers, der im Haus eines Freundes Zuflucht findet, nachdem ihn seine Frau verlassen hat. Der Porträtmaler droht am Auftrag zu scheitern In dem Haus am Berg, in das er sich nach einer längeren Irrfahrt zurückzieht, hat dessen Vater, ein berühmter Maler, gelebt, bevor er an Demenz erkrankte. Der neue Bewohner, der als Porträtmaler relativ erfolgreich war, verdient seinen Lebensunterhalt inzwischen mit Kunstunterricht für Laien. Da sucht ihn eines Tages ein schon etwas älterer Herr auf, der ihm einen unvernünftig hohen Preis bietet, wenn er von seinem Vorsatz, nie wieder Porträts anzufertigen, abrückt und ihn malt. Nach einigem Überlegen nimmt er den Auftrag an – und steht vor unerwarteten Problemen. Es will ihm kein aussagekräftiges Porträt gelingen – fast so, als hätte der Mann mit dem auffallend weißen Haarschopf kein Gesicht. So wie der Porträtkunde im anfänglichen Alptraum. Das Rauschen der Zeit unter der Oberfläche Murakami…
Das muss man dem Franzosen Grégoire Hervier schon lassen. Er versteht sein Handwerk und hat sein Thema gründlich recherchiert. Der Roman „Vintage“ dreht sich um Kult-Gitarren und lädt zu einer Zeitreise bis zu den Anfängen der Blues- und Rockmusik, die Hervier bis in die 1920er Jahre zurückdatiert. Das Ganze verpackt in eine kriminalistische Spurensuche, die den Helden, einen mäßig erfolgreichen Pariser Musikstudenten und Journalisten namens Thomas Dupré, über den großen Teich und bis nach Australien führt. Eine Prise Okkultismus und schwarze Magie Der ohnehin schon spannende Roadtrip wird durch Anspielungen auf Okkultes und finstere Machenschaften noch aufregender: „Ich war auf der Suche nach der wertvollsten Gitarre aller Zeiten, einem fluchbeladenen Instrument, das hervorbrachte, was so manchen als Musik des Teufels galt.“ Auch der Auftraggeber dieser Suche, ein angeblicher Lord Winsley, der in einem Landhaus wohnt, das Jimmy Page von Led Zeppelin gehört und in dem der schwarze Magier Aleister Crowley eine Zeitlang als Laird of Boleskine residiert hatte, ist eine zwielichtige Figur. Doch sein Auftrag, den verschollenen Prototyp der „Moderne“, eine wertvollen Gitarre aus dem Hause Gibson, zu finden, ermöglicht Thomas nicht nur eine Weltreise, sondern macht es ihm auch möglich, in die Gründungsmythen der Rockmusik einzutauchen. Der Mythos der…
„Vier Jahre am Fließband die Drehmaschine überwachen und weitere achtundzwanzig auf einem Gabelstapler – das bin ich… Ein Roboter, kein Mensch. Ein mechanischer Arm, kein Herz.“ Der Ich-Erzähler ist ein älterer Mann, der sein Leben verpasst hat – zuerst in der Fabrik, dann im Gefängnis. Wie es dazu kam, davon erzählt Marco Balzano in dem Roman „Das Leben wartet nicht“. Eine Kindheit in extremer Armut Alles beginnt Ende der Fünfziger Jahre in einem sizilianischen Dorf, wo der kleine Ninetto, so heißt der Erzähler, aufwächst, in extremer Armut. Den Spitznamen Pelleossa, Haut und Knochen, behält er sein Leben lang. Der Kleine ist ein guter Schüler, er hätte womöglich eine bessere Zukunft vor sich; aber nach dem Schlaganfall seiner Mutter schickt ihn der gewalttätige Vater nach Mailand, um Geld zu verdienen. Nach der Strafe ist das Leben ein anderes Der Bub wurstelt sich so durch, geht mit 15 in die Fabrik, heiratet und wird Vater einer Tochter. Jahre später bringt ihn ein unglücklicher Zwischenfall ins Gefängnis. Als er seine Strafe abgebüßt hat und wieder frei kommt, erkennt er, dass das Leben nicht auf ihn gewartet hat. Seine Tochter hat den Kontakt mit ihm abgebrochen, die Enkelin kennt ihn nicht einmal. Das bittere…
„Sie macht keine Mühe, am liebsten steht sie und schaut.“ Was die Mutter über die kleine Olga gesagt hat, könnte auch für die erwachsene und später die alte Olga gelten. Und doch ist diese scheinbar so angepasste Olga eine starke Frau, eine Frau, die sich durchsetzt gegen alle Widrigkeiten. Olga will nur ihren Herbert Eine einzige große Liebe gibt es in ihrem Leben: Herbert, der Sohn des Gutsherrn. Die Verbindung ist aussichtslos, denn Olga kommt aus armen Verhältnissen und Herberts Eltern würden sie nie als Schwiegertochter akzeptieren. Und doch überlebt diese Liebe, denn Olga lässt Herbert seine Freiheit und seine Abenteuer, ja sie lässt ihm auch seinen „Herrenstolz“, will nichts wissen vom Schlachtfeld in Namibia und dem Mord an den Herero, will nur ihren Herbert, sein Strahlen, seine Begeisterung. Die Heldenträume enden in der NSDAP Doch dann bricht Herbert auf zu einer Expedition ohne Wiederkehr, und Olga bleibt mit ihren Erinnerungen zurück – und mit dem kleinen Eik, dem sie Herbert als Helden präsentiert – so lange, bis der Junge selbst Heldenträume träumt und in die NSDAP eintritt – gegen Olgas Wunsch und Vorstellung. Aber sie hat bald ohnehin nichts mehr zu sagen, verliert nach einem Fieber ihr Gehör und…
Irgendwie hat Barbara Kenneweg das mit der Midlife-Krise falsch verstanden. Die Generation Y ist noch lange nicht soweit. Oder doch? in ihrem Roman „Haus für eine Person“ nimmt sich die 46-Jährige der Generation Y an, verkörpert durch Rosa Lux. Die 31-Jährige leidet an ihrem Leben, sie hat sich von ihrem Freund getrennt und ist aufs Land gezogen. Die Nachbarschaft überfordert Weg aus der Berliner Tristesse, zurück zur Natur, dahin wo die Nachbarn einander noch kennen. Doch auch da ist die junge Frau überfordert. Im Einkaufszentrum überfällt sie die Erkenntnis: „Ich vertrage die soziale Realität nicht, bin ein Snob.“ Ein Snob ohne Geld und ohne Job. Ihre Gedankenmonologe kreisen vor allem um sich selbst, daran kann auch eine unverhoffte Schwangerschaft nichts ändern. Sie macht Rosa nur noch träger. Die Schwangerschaft noch mehr Die junge Frau kann sich zu nichts aufraffen, weder dazu, die nette alte Nachbarin im Krankenhaus zu besuchen, noch dazu, sich auf die Geburt vorzubereiten. Auch wenn die Leser ihren Kulturpessimismus zeitweise teilen können – da liefert Kenneweg einiges mit Wiedererkennungswert – die penetrante Larmoyanz Rosas, ihre fast schmerzhafte Trägheit nerven mit der Zeit, überfordern die Empathie. Erst recht zum Schluss, als Rosa ihr Baby zur Welt bringt –…
„Unser Alltag besteht aus verpassten Umarmungen. Aber im Grunde ist das alles nur Taktik, damit die unerwarteten Umarmungen dann umso schöner sind.“ Matteo Bussola hat sich eingerichtet im Vater- und Ehemann-Sein. Der studierte Architekt hat drei Töchter – Virginia, Ginevra und Melania – und verdient inzwischen sein Geld als Comic-Zeichner. Die kleinen Mädchen sind neugierig, frech und trotz aller Einschränkungen, die drei Kinder für die Partnerschaft bedeuten, Vaters Lieblinge. Warum das so ist, hat Bussola auf Facebook dokumentiert und mit seinen Alltags-Posts jede Menge Menschen begeistert. Denn die drei kapriziösen Persönchen haben ihre ganz eigenen Ansichten vom Leben, von der Liebe und vom Jenseits. Dass Erwachsene der kindlichen Logik nur wenig entgegenzusetzen haben, schildert Bussola in vielen kleinen Episoden – manche eher banal, andere witzig, die meisten anrührend. Der Italiener hat viel gelernt von seinen Töchtern – auch über sich selbst. Er hat gelernt, früh aufzustehen, um wenigstens ein paar Stunden Zeit für sich und seinen Job zu haben. Er hat gelernt, sein Bett nicht nur mit einer Frau, sondern hin und wieder auch deren mehreren zu teilen. Er hat gelernt, auch auf die skurrilsten Fragen Antworten zu finden. Und er bewundert seine Töchter, die für ihn kleine Philosophinnen sind,…
Lesen ist wichtig – auch in der heutigen, der digitalen Welt. Und ist es nie zu früh, Kinder für Bücher zu begeistern. Psychologen raten gar werdenden Müttern, ihren ungeborenen Babys vorzulesen. Wenn die Kleinen dann auf der Welt sind, gibt’s für inzwischen wunderbare Papp-Bilderbücher, in denen Kleinkinder ihre Welt wieder erkennen. „Ich bin jetzt…“ heißt so eine Kinder-Wundertüte in Pappbilder-Buch-Form. Constanze von Kitzing zeigt kleine Szenen aus dem Alltag, die illustrieren, wie es sich anfühlt glücklich, wütend, stark, traurig, wild oder ängstlich zu sein. Anhand der Bilder können Eltern mit ihren kleinen Kindern darüber reden, wie es sich anfühlt, fürsorglich oder fantasievoll, mutig oder schlau zu sein und was es bedeutet, Freunde zu haben. Constanze von Kitzing hat schon früh gerne gezeichnet, am liebsten Prinzessinnen und Pferde. Inzwischen malt sie lieber schräge Charaktere in satten Farben. Ihre Kinderbücher sind international preisgekrönt und in 14 Ländern erschienen. Prinzessinnen und Pferde zeichnet die Illustratorin übrigens immer noch – aber nur auf sehr ausdrücklichen Wunsch ihrer Kinder. Info: Constanze von Kitzing. Ich bin jetzt … glücklich, wütend, stark, Carlsen, 12,99 Euro, www.carlsen.de. www.constanzevonkitzing.de Link zum animierten Film: https://www.youtube.com/watch?v=dQY9Op82lr0