Nino Haratischwili neigt zu ausuferndem Erzählen. Das war schon bei ihrem Erfolgsroman „Das achte Leben (für Brilka) so, und es ist bei ihrem vierten Roman nicht anders. „Die Katze und der General“ ist eine ebenso opulente wie verwirrende Geschichte über Krieg und Frieden, Schuld und Sühne. Dass die Autorin, 1983 im georgischen Tblissi geboren und seit 2003 in Hamburg lebend, in ihren „eigenen Textbergen strauchelt“, wie die Zeit schrieb, erklärt sich teilweise aus dem Kulturkreis, aus dem sie stammt. Pirouettenhafte Wandlungen In Georgien wird gerne fabuliert, überbordend und oft auch überzeichnet. Und diese exzessive Fabulierfreude prägt auch Haratischwilis Erzähl-Duktus. Dass ihr manche Metapher misslingt, dass sie sich hin und wieder stilistisch verstolpert, ist vor diesem Hintergrund eher zweitrangig. Einige abgedroschene Phrasen allerdings hätte das Lektorat durchaus eliminieren können. Dass die Berge den Atem anhalten, die Wanduhr sich zur Zeitbombe wandelt und das Herz Marathon läuft – geschenkt. Schwieriger zu verkraften ist die Tatsache, dass die handelnden Figuren schier pirouettenhafte Wandlungen vollziehen. Eine Tote wird zum Zentrum der Geschichte Der Roman beginnt 1994 in einem kleinen tschetschenischen Bergdorf, wo die 17-jährigen Nura sich in ein anderes Leben träumt. Der Krieg macht den Träumen und Nuras Leben ein Ende. Russische Soldaten vergewaltigen…
Das Leben war schon schwer im von den Japanern besetzten Korea, in Japan selbst wird es manchmal unerträglich, ja, es kann sogar tödlich enden für die „Zainichi“, die Ausländer mit Wohnsitz in Japan – und speziell für die Koreaner. Sie sind geduldet aber verachtet, leben meist in Gettos und haben kaum Rechte. Ja, sie werden sogar gezwungen, einen japanisierten Namen anzunehmen, damit sie nicht abgeschoben werden. Nur für Schweine und Koreaner Für Sunja, die aus ärmsten Verhältnissen stammt und von dem reichen koreanischen „Geschäftsmann“ Hansu ein Kind erwartet, ist das neue Leben ein Kulturschock. Isak, ein engagierter Pastor, hat sie trotz der Schwangerschaft zur Frau genommen, und die beiden wohnen bei Isaks Bruder Yoseb und dessen Frau in ärmsten Verhältnissen: „Die Gegend taugt nur für Schweine und Koreaner,“ erklärt Yoseb den Neuankömmlingen. Noa, der Sohn, wird von Isak im christlichen Glauben erzogen, er ist ein fleißiges, ruhiges Kind. Als dann noch der gemeinsame Sohn Mozasu geboren wird, scheint das Glück der kleinen Familie trotz der trostlosen Umgebung vollkommen. Ein Leben am Rand der Gesellschaft Doch dann wird Isak von den japanischen Behörden, denen die Christen aus Korea ein Dorn im Auge sind, verhaftet. Sunja muss sich und ihre Kinder…
Natürlich ist das ein Märchen. Denn Bäume können nicht sprechen. Aber fühlen schon. Und deshalb ist dieses Buch so wichtig, weil es teilhaben lässt an den Gefühlen eines von der Fällung bedrohten Baums. Rot heißt dieser Baum, und seit langer Zeit schon ist er der Baum der Wünsche. Einmal im Jahr kommen Alte und Junge, um ihre Wünsche an Rots Zweige zu hängen. Eine Heimat für viele Tiere Dann verstecken sich die Tiere, die sich in Rots Zweigen und Wurzeln wohnhaft eingerichtet haben; die Waschbären und die Stinktiere, die Beutelratten und die Eulen. Nur die Rabenfrau Bongo harrt aus. Bongo ist Rots beste Freundin. Auch der Baum der Wünsche braucht nämlich Freunde. Rot weiß das: „Man verbringt seine Zeit sinnvoll, wenn man anderen ein Gefühl der Sicherheit gibt,“ sagt der Baum und freut sich, wenn die Tierkinder auf ihm herumklettern. Ungeliebte Nachbarn Und da ist auch noch Samar, das türkische Mädchen, das vor kurzem mit ihren Eltern in eines der Häuser gezogen ist, in deren Gärten Rot seine Wurzeln ausstreckt. Die Familie im Nebenhaus reagiert eher feindselig auf die Neuankömmlinge – bis auf den Sohn Stephen. Und ein Junge ritzt gar „Geh weg“ in den Baum der Wünsche, eine Wunde…
Jules Verne ließ seinen Phileas Fogg in 80 Tagen die Welt umrunden: Tobi und Alexandra schaffen das in 8 Tagen. Und das kam so: Ausgerechnet Alexandra, die Tobi nicht nur als Torwart, sondern auch bei den Schulnoten aussticht, bietet ihm eine Wetter an. Sie würden in 8 Tagen um die Welt reisen – mit den Freimeilen ihres Vaters und dessen Kreditkarte. Und Tobi lässt sich das Abenteuer nicht entgehen. Erste Lektionen über das Fliegen Ein Abenteuer wird Tobis erste Flugreise dann tatsächlich, Tobi lernt Flughäfen kennen und allerhand über das Fliegen. Da erweist sich Alexandra, Tochter eines Flugkapitäns und einer Flugbegleiterin als versierte Vielfliegerin. Sie weiß auch, dass man auf Flughäfen keine Päckchen von fremden Personen annimmt, auch wenn die noch so sympathisch wirken. Und Tobi staunt und staunt. Sogar in der Business fliegen die beiden zwischendurch. Aber dann geht doch einiges schief, die beiden stranden auf den Azoren – ohne Kreditkarte und ohne Flieger. Jetzt wird Tobi zum Helden Und plötzlich wird Tobi zum Helden. Er entdeckt die Macht von Social Media: „An den Likes konnte man sehen, dass die Delfine die Besucherzahlen meines Blogs noch einmal in die Höhe getrieben hatten. Delfine waren scheinbar noch besser als katzenfotos,…
Gefühle sind flüchtig und manchmal auch schwer nachvollziehbar. Eben ist man noch total verliebt und voller Optimismus, was die Partnerschaft angeht. Und im nächsten Moment überkommen einen Zweifel, ob der Partner wirklich der richtige ist. Dann stört selbst das, was man sonst charmant oder liebenswert findet. Kurz, man hat gemischte Gefühle. So heißt auch der Roman von Katherine Heiny, in dem sie mit Pinzette und Skalpell die Beziehung von Graham und Audra seziert, die durch den leicht autistischen Sohn Matthew nicht ganz einfach ist. Wie auf einem anderen Planeten Heiny erzählt aus der Perspektive von Graham, der eigentlich ganz zufrieden ist mit seinem Familienleben. Aber eben nur eigentlich. Audra ist Grahams zweite Frau und 15 Jahre jünger. Manchmal hat er das Gefühl, sie lebe auf einem anderen Planeten. Trotzdem oder gerade deshalb liebt er Audra. Schließlich verbindet die beiden nicht nur das gemeinsame Leben, sondern auch die gemeinsame Sorge um Matthew. Doch als Graham entdeckt, dass Audra ein Leben außerhalb ihrer Ehe hat und als Elspeth, Grahams erste Frau, wieder Zugang zu seiner Welt findet, gerät Grahams Gefühlsleben völlig durcheinander, gemischte Gefühle eben: „Er musste dran denken, dass Audra ein Satinnachthemd trug und Elspeth ein Tank Top und eine Pyjama-Hose…
Bewundernswert ist die Leistung von Christine Thürmer schon, auch wenn die 12 000 Kilometer Abenteuer in Europa, die sie in dem Buch „Wandern, Radeln, Paddeln“ beschreibt, nicht unbedingt zum Nachahmen einladen. Denn die Autorin, die 2007 ihr normales Leben als Geschäftsführerin aufgegeben hat, um auf den amerikanischen Trails unterwegs zu sein, ist für ihre „Outdoor-Karriere“ als moderne Nomadin mit minimalistischem Gepäck unterwegs – Zahnbürste ja, Kamm nein. Hab und Gut in einer Lagerbox Ihr ganzes Hab und Gut, das meiste Outdoor-Equipment, passt in eine Lagerbox. Auch die meisten ihrer neuen Freunde sind Outdoor-Freaks wie sie, die sich auch von Sturzregen und Stürmen nicht abschrecken lassen. Beides erlebt Christine Thürmer auf ihrer Wanderung von Berlin zum südlichsten Punkt Europas ebenso wie bei ihrer Radreise durch Polen und das Baltikum nach Finnland und bei ihrer Paddeltour durch Schweden. In Europa ist manches anders Bald stellt sie fest, dass in Europa so manches anders ist als in den USA: „In jeder größeren Stadt stoße ich hier auf irgendein Schloss oder Museum und mindestens ein halbes Dutzend interessante Kirchen und Baudenkmäler. Und damit wird es zeitlich eng.“ Also plant Christine Thürmer mehr Zeit zum Sightseeing ein. Gar nicht so einfach, wenn sie entweder verschwitzt…
Dieser Sörensen ist kein fernsehgerechter Ermittler. Zu depressiv, zu eigenbrötlerisch. Vielleicht macht gerade das den Erfolg des ersten Sörensen-Krimis aus. Nach „Sörensen hat Angst“ legt Sven Stricker mit „Sörensen fängt Feuer“ nach. Eine blinde junge Frau im Nachthemd Es ist kurz vor Weihnachten in Katenbüll, wo die Leute noch immer unter dem Missbrauchskandal leiden, den der neue Kriminalkommissar Sörensen aufgedeckt hatte. Und dann das: Eine junge Frau im Nachthemd läuft dem Gelegenheitsmusiker Ole Kellinghusen vors Auto. Jette ist nicht nur völlig abgemagert, sondern auch blind – und sie will nichts über ihre Herkunft verraten. Sörensen und seine Kollegin Jennifer nehmen die junge Frau in ihre Obhut. Der Kommissar kämpft mit den Nerven Nein, dies ist keine Neuauflage des Fritzl-Falls, in dem ein Vater seine Tochter im Keller eingesperrt und über Jahre vergewaltigt hat. Hier geht es um etwas anderes, um religiösen Wahn. Schnell überstürzen sich die Ereignisse. Ein Mann wird erstochen im Wohnzimmer des Hauses aufgefunden, aus dem Jette entkommen ist. Der Kommissar, noch von seinem ersten Fall gebeutelt und gerade dabei, die Psychopharmaka abzusetzen, kämpft mit den Nerven. Eine Mauer des Schweigens Die Menschen in der Umgebung des Mordhauses weigern sich, vor der Polizei Aussagen zu machen. Dann gibt es…
Er hätte auch nur durch laufen können, ohne nach links und rechts zu schauen – und auch das wäre im Himalaya schon eine Riesenleistung gewesen. Aber das ist nicht die Art, wie Peter Hinze unterwegs sein will. Zwar hat der Münchner Journalist und Autor den Great Himalaya Trail von Ost nach West durchlaufen – aber es ging ihm, dem Ultra-Marathonläufer, vor allem um das Schicksal der Menschen, um die Zukunft der Bergregion. Ein Weg in den Alltag einer aussterbenden Kultur 1982 war Hinze das erste Mal in Nepal, illegal, und von da an war der Reporter dem geschundenen Land verfallen. Hinze lernt Sir Edmund Hillary kennen, er interviewt den Dalai Lama, macht Reportagen über das Leben im Himalaya und die Helden der Berge, die Sherpas – und entdeckt seine Leidenschaft fürs Trail-Running. Auf dem Great Himalaya Trail, 1864 Kilometer lang, kann er beides verbinden. Was er am Wegrand sieht und erlebt, macht ihm zu schaffen: Von China finanzierte und gebaute Straßen schlagen Schneisen in die Landschaft, Dörfer und Klöster verfallen, tibetische Freunde verschwinden, der Klimawandel verändert die Landschaft, die jungen Leute wandern ab, der Tourismus bedroht die Traditionen. Das Schicksal der Sherpas Hinze inszeniert sich nicht als Held, auch wenn…
Fabio Geda hat viele Jahre mit Jugendlichen gearbeitet. Das kommt ihm als Autor zugute. Auch den Roman „Vielleicht wird morgen alles besser“ hat er auch der Sicht eines Jugendlichen geschrieben: Ercole hat keine guten Erfahrungen mit Erwachsenen. Seine Mutter hat seinen Vater verlassen, als er noch klein war. Und sein Vater ist überfordert – vom Leben und von seiner Aufgabe als Erzieher. Nur Ercoles große Schwester Asia gibt dem Jungen noch Halt. Sie übernimmt die Rolle der Mutter, mit ihr fühlt sich Ercole auch vor den Monstern hinter der Wand sicher. Ein mutiger Kerl Und dann lernt der Vierzehnjährige Viola kennen, das Mädchen aus gutem Haus, das Ercole auf Wolken schweben lässt und seinen Kopf „von Nordlicht erfüllt“. Die beiden kommen zusammen. Denn für Viola ist der Junge aus der Gosse etwas Besonderes, ein mutiger Kerl, der sich ihrer Liebe würdig erweist. Auch wenn er mit seiner hirnlosen Eifersucht alles kaputt macht, mutig ist Ercole wirklich. Zumindest dann, als es darauf ankommt. Verantwortung für den kleinen Bruder Als der Junge nach seiner verzweifelten Suche doch noch auf seine Mutter stößt und dabei auch seinen sechsjährigen Bruder Luca kennen lernt, übernimmt er schnell die Verantwortung für den Kleinen. Aus eigener Erfahrung…
Die Autorin ist schon tot, 2014 starb Elizabeth Jane Howard im Alter von 90 Jahren. 14 Jahre vorher hatte ihre die Queen den Verdienstorden Commander of the British Empire verliehen. Ausgezeichnet wurde das ehemalige Model für die fünfbändige Familienchronik über die Cazalets, die im England der Dreißigerjahre spielt und ein Spiegel der damaligen Gesellschaft ist. Die Schatten des Zweiten Weltkriegs Im Mittelpunkt steht eine großbürgerliche Familie, die auf dem Familiensitz Home Place in Sussex zusammenkommt. Elisabeth Jane Howard erweckt mit ihrer detailreichen Familiensaga über die Cazalets nicht nur eine vergangene Welt zum Leben, sie zeigt auch die Schatten, die der Zweite Weltkrieg auf die friedliche Idylle in Sussex warf. Und sie ist in der Beschreibung der in der Familie schwelenden Konflikte durchaus aktuell. Im ersten Band kehren die Cazalet-Brüder Hugh, Edward und Rupert wie jeden Sommer zusammen mit ihren Familien in das Haus ihrer Kindheit zurück. Die unbeschwerten Wochen werden überschattet von der Angst vor dem nächsten Weltkrieg. Und doch stellt sich die lange geübte Routine ein: „Kommt es dir nicht seltsam vor? Jeden Tag schlittern wir weiter in diesen grauenvollen Albtraum hinein, tun aber alle, als wäre nichts Besonders.“ Größere und kleinere Familienquerelen Die erwachsenen Cazalets haben ihre eigenen…