Sehnsucht nach dem Echten
Rezensionen / 1. März 2019

Es sind Bilder aus einem unbekannten Bayern, die den Leser empfangen, ehe Hans Kratzer den Titel „Zeitlang“ erläutert: „Ein Gefühl, das den Kern der menschlichen Existenz berührt.“ Das von Deutschlehrern verpönte und doch so poetische Wort drückt für Kratzer „nicht nur Heimweh und Sehnsucht aus“, sondern auch Langeweile. Eine wichtige Erfahrung, die den Kindern durch „die Omnipotenz des Smartphones“ geraubt werde. Wandel der Landschaft Fotograf Sebastian Beck liefert die Bilder zu den nostalgisch-melancholischen Texten, die den Wandel in der bayerischen Landschaft ebenso bedauern wie den Verlust der Schönheit. „Die Metamorphose vom Agrarland zur Industrieregion war von einer Radikalität ohnegleichen,“ konstatiert Kratzer und trauert den stillgelegten Bauerndörfern nach und den Wiesen, die unter Beton verschwunden sind. Die puppenstubenhaft herausgeputzten Neubauten und die bepflanzten Milchkannen können seiner Meinung nach das Verlorene nicht ersetzen: „Die Häuser umgibt ein großes Schweigen.“ Bayerische Geschichten und Gesichter Es sind so poetische wie kritische Gedanken, die Kratzer notiert hat und die Beck mit seinen Fotos eindringlich untermalt. Da sieht man bayerische Landschaften zwischen Spargelfeldern unter Plastikröhren und Wälderidylle, bayerische Gesichter vom kernigen Landwirt bis zum gepiercten Bartträger, bayerische Frömmigkeit von Altötting bis zum Gipfelkreuz. Die alte Wirtshaustradition „Herzkammern der Kommunikation, der Geborgenheit, des Lebens überhaupt“ vermisst der…

Wandernd auf den Spuren der Vorfahren
Rezensionen / 1. März 2019

Ganz schön ambitioniert: Ein Wanderbuch als Zeitreiseführer, angefangen bei der Urgeschichte über die Aborigines und die Religionsgründer Buddha und Jesus bis zu Pilgerfahrten, Handelsrouten und den Expeditionen der großen Entdecker – und schließlich dem Freizeittourismus unserer Tage.  500 Walks auf 400 kompakten Seiten. Da finden sich denn auch so unterschiedliche Wanderungen wie der Inka-Trail in Peru, der Polarkreisweg in Grönland, der Hillary Trail in Neuseeland oder der Berliner Mauerweg. Unterschiedlichste Wanderwege Für manche der Wege in 500 Walks braucht man viel Zeit, gute Kondition und starke Nerven, für andere gerade mal ein paar Stunden. Manche Wege füllen mehrere Seiten, für andere muss eine Kürzestbeschreibung reichen. Eine außergewöhnliche Herausforderung ist der Great Himalaya Trail mit 1706 Kilometer. Auch die Alpendurchquerung, bei der es auf 2495 Kilometern immer wieder über schwindelerregende Steige geht, verlangt viel Ausdauer und Trittsicherheit. Mit einer Länge von 500 Kilometern ist der Paulusweg in Westanatolien dagegen fast schon ein Spaziergang – allerdings ein anstrengender. Weniger anstrengend wenn auch mit 600 Kilometern etwas länger ist die Via Claudia Augusta auf den Spuren römischer Legionäre. 29 Tage sollte man rechnen, um von Trient über den Reschenpass und das Lechtal bis nach Donauwörth zu kommen. Den Jakobsweg kennt jeder (780 Kilometer…

Viel Arbeit für die Liebe
Rezensionen / 17. Februar 2019

Daniela Krien, Jahrgang 1975, hat es mit der Liebe. In ihrem Roman „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ geht es um die amour fou zwischen einer 16-Jährigen und dem 40-jährigen Nachbarn. In ihrem neuen Buch „Die Liebe im Ernstfall“  hat sich die Autorin gleich fünf Frauen vorgenommen, die aus ganz unterschiedlichen Perspektiven über ihre Probleme mit der Liebe   – und mit den Männern berichten. Mann und Kind?  Sex statt Liebe? Paula, Judith, Brida, Malika und Jorinde kennen einander mehr oder weniger gut, als Kinder und Jugendliche haben sie den Fall der Mauer erlebt und genießen nun die Freiheit. Aber sie haben auch Schwierigkeiten mit der Wahl ihres Lebensentwurfs. Mann und Kind? Familie und Beruf? Sex statt Liebe? Beruf statt Familie? Einfach ist das alles nicht, zumal die fünf Frauen durchaus selbstbewusst sind, und ihre Ansprüche haben – auch sexuell. Da denkt die Single-Frau Judith, die je nach Bedarf Männer datet, dass jede Frau einen Mann haben sollte, der „ein wenig wie Christian Grey ist“, und die Buchhändlerin Pauline will durch den Schmerz der Unterwerfung die Trauer um den Tod ihres Kindes vergessen. Brida wiederum, die Schriftstellerin, verliert durch den Alltag mit Mann und Kindern ihre Intuition: „Unversehrt hatte Brida mit…

Island – ein Kunstwerk
Rezensionen / 2. Februar 2019

Island, die Insel aus Feuer und Eis, ist für Fotografen ein Traum. Eine noch ungezähmte Natur hat hier Phänomenales geschaffen, eine archaische Landschaft in fast unwirklichen Farben. Ja, Island ist tatsächlich ein Land wie kein anderes. Dieses Land feiert Hans Strand in einem ebenso schwergewichtigen wie brillanten Bildband. Abseits der Touristenpfade Strand war abseits der Touristenpfade unterwegs, er hat bei trübem Wetter fotografiert und bei Sonnenschein, er hat das dramatische Farbspektrum nach einem Vulkanausbruch festgehalten und das satte Grün der isländischen Landschaft, hat die Insel aus der Luft fotografiert und aus nächster Nähe. Für den „Liebhaber chaotischer Fotografie“ wurde Island zur Sucht, denn hier kann man noch erleben, wie eine Landschaft entsteht, wie sich Wasser in Felsen fräst, wie Flussarme sich durch die Landschaft flechten – und wie die Gletscher schmelzen. Die Folgen des Klimawandels Der Klimawandel hat Island längst erreicht. Auch das dokumentiert Hans Strand mit seinen großartigen, ja berauschenden Aufnahmen. Wer ihre rohe Schönheit bewundert, das giftige Grün und Gelb, die fast surrealen Farben, kann sich auch vorstellen, dass für die Menschen das Leben in Island ein ständiger Kampf mit der Natur ist – nicht nur wegen der Bedrohung durch Vulkanausbrüche, auch wegen der Wetterkapriolen. „Islands Wetter war…

Die Königin aus der Gosse
Rezensionen / 2. Februar 2019

Ein Leben wir ein Roman: Was Manuela Salman erlebt hat, würde ein dickes Buch füllen. Dafür ist das Büchlein, in dem sie zusammen mit Viktoria Bell in „Sika, die weiße Königin“ ihre Geschichte erzählt, mit 235 Seiten geradezu schmal. Der Untertitel „Wie die Liebe mich rettete und mir ein ganzes Volk schenkte“ klingt etwas reißerisch und manchmal hat man das Gefühl, dass Manuela Samlan sich in ihren Erinnerungen ein bisschen idealisiert. Aber das ist ja menschlich und ändert nichts daran, dass diese Frau sich immer wieder durchgebissen hat, obwohl es am Anfang so aussah, als hätte sie keine Chance. Ein Findelkind ohne große Zukunftschance Manuela war ein Findelkind buchstäblich aus der Gosse – die Eltern wurden nie gefunden – und wie so viele Waisen begann ihr Lebensweg mit einer Odyssee durch Heime und Pflegefamilien. Demütigungen und Strafen waren an der Tagesordnung. Das ändert sich auch nicht durch die frühe Heirat mit einem palästinensischen Flüchtling, aus der drei Kinder hervorgehen Als ihr Mann die Kinder in den Libanon entführt, reist sie beherzt hinterher, um ihre Söhne zurückzuholen. Die Reise wird zum Fiasko. Manuela verliert ihre Kinder und kehrt auf abenteuerlichen Wegen zurück nach Deutschland, wo sie sich aus einer hoffnungslosen Lage…

Eragon: Rückkehr nach Alagaesia?
Rezensionen / 26. Januar 2019

Er schaffte es 2011 ins Guiness Buch der Rekorde als „jüngster Autor einer Bestseller-Serie“. Tatsächlich war Chistopher Paolini noch nicht einmal 15 Jahre alt, als er das „Vermächtnis der Drachenreiter“ schrieb, das erste Buch der erfolgreichen Eragon Serie, das 2003 auch in Deutschland auf den Markt kam. Die Geschichten um den jungen Drachenreiter Eragon, seine Drachendame Saphira und ihre Abenteuer schlug nicht nur junge Leser in ihren Bann. Weltweit hat sich die Drachenreitersage mehr als 35 Millionen Mal verkauft – mehr als fünf Millionen Mal im deutschsprachigen Raum. Nach vier Bänden schien Schluss zu sein. Doch jetzt gibt es Hoffnung auf einen fünften Band. Vorbereitung auf einen fünften Band? Mit „Geschichten aus Alagaesia“ legt Christopher Paolini, mittlerweile seriöse 36 Jahre alt, drei Kurzgeschichten vor, die wieder in die Welt der Drachen, Elfen und Urgals entführen und nicht nur auf eine Fortsetzung sondern auch auf einen fünften Eragon Band vorbereiten sollen: Die drei Geschichten „Die Gabel, die Hexe und der Wurm“ erzählen von einem rätselhaften Wanderer, von einem verfluchten Kind und von der Macht eines Drachens, und sie sind sehr unterschiedlich. Auch Paolinis Schwester schrieb eine Geschichte Während die erste Geschichte stilistisch und inhaltlich an die Eragon Serie anknüpft, besteht die…

Eine Flucht und ihre Folgen
Rezensionen / 22. Januar 2019

Viveca Sten hat mit ihren Krimis um den Kriminaler Thomas Andreasson und die Juristin Nora Linde die Schären auf die literarische Landkarte gesetzt. Auch im neunten Fall der schwedischen Bestseller-Autorin spielen die Inselchen eine Hauptrolle, und wieder wird Stens Liebe zu den Schären spürbar – die Familie besitzt seit mehreren Generationen ein Haus auf Sandhamn, dort wo auch Nora wohnt und sich in der Abgeschiedenheit in Sicherheit wähnt. Eine geprügelte Frau, ein traumatisierter Mann Der neue Fall beweist, dass unsere Welt nirgends sicher ist. Denn der brutale Andreis Kovac ist seiner in ein Frauenhaus geflüchteten Frau immer auf der Spur. Mina hat ihn verlassen, weil er sie fast totgeschlagen hat – und sie hat ihr Baby Lukas mitgenommen. Für den gebürtigen Bosnier Andreis, dem die Familie nach den eigenen schrecklichen Erfahrungen im Bosnien-Krieg über alles geht, unverzeihlich. Womöglich haben die Kriegsereignisse Andreis erst zu dem gemacht, der er ist. Das allerdings ändert nichts daran, dass der Mann gefährlich ist – nicht nur für Mina, sondern für alle, die mit ihr zu tun haben. Viveca Sten verschränkt Andreis‘ wütende Verfolgungsjagd mit seiner bosnischen Vergangenheit. In dem Roman treibt beides auf einen unvermeidlichen und grausamen Höhepunkt zu, das macht die Spannung im…

Korea: Mehr als Kimchi & Co
Rezensionen / 22. Januar 2019

Ihre „ganz persönliche Korea Reise“ will Sarah Henke mit den Lesern teilen. Ihr reich illustriertes Buch ist denn auch kein Reiseführer der üblichen Art, sondern eher eine Art sehr persönliches Tagebuch, in dem die „als Findelkind in Korea geborene“ Autorin die Leser unmittelbar teilhaben lässt an ihren Eindrücken und Erfahrungen. „Es ist ein eigenartiges Gefühl unter Menschen zu sein, die so aussehen wie ich und doch irgendwie anders sind,“ stellt sie auf der Reise fest, die sie durch ein Land führt, das ihr fremd und doch seltsam vertraut ist. Das Essen spielt bei der Sterneköchin eine große Rolle Manches verwundert sie wie die Tatsache, dass die meisten Taxis in Seoul mit Gas fahren oder dass auf einem Speiseplan noch „Hundesuppe“ steht. Anderes nimmt sie erfreut zur Kenntnis: Die vielen Arten von Kimchi etwa, dem fermentierten Kohl. Oder die Tatsache, dass die Koreaner gerne in Gemeinschaft essen und teilen, besonders gerne beim Picknick. Weil Sarah Henke Köchin ist, spielt das Essen natürlich eine große Rolle, und der Hauptteil des Buches widmet sich den Rezepten, die sie besonders interessant und authentisch fand – ein zweiter Teil gibt einen Einblick in Henkes eigene Rezeptwelt. Schließlich hat sich die Reise zu den eigenen Wurzeln…

Lehrstunde in Toleranz
Rezensionen / 6. Januar 2019

Eine schöne Idee hat Jan Kammann da gehabt. Als Lehrer für Englisch und Erdkunde in internationalen Vorbereitungsklassen unterrichtet der knapp 40-Jährige Schüler aus über 20 Nationen. Weil er mehr über die kulturellen Hintergründe seiner Schüler wissen wollte, nahm er sich ein Sabbatjahr und bereiste die Heimatländer seiner 10d. Nicht mit einem kommerziellen Reiseführer, sondern mit ganz persönlichen Anleitungen und Tipps seiner Schüler für ihre jeweiligen Herkunftsländer. Er nimmt das Klassenzimmer quasi mit auf die Reise. Mongolische Gastfreundschaft und mörderischer Roadtrip Und so taucht der Lehrer ein in den Alltag der Menschen im Iran, im Kosovo oder auf Kuba, besucht Armenviertel in Kolumbien, erlebt mongolische Gastfreundschaft in der Jurte, einen mörderischen Roadtrip in Armenien und begegnet der Hölle in der Taxic City von Accra, wo Elektroschrott ausgeweidet wird. Das Leid der Arbeiter lässt Kammann nicht kalt: „Die Minister in Accra haben diese offene Wunde ihrer Stadt ständig vor Augen. Jeder über sein Bier gebeugt, fragen wir uns mehr oder weniger sprachlos, in was für einer Welt wir eigentlich leben. Eine Antwort finden wir nicht.“ Andere Kulturen, anderes Leben Auch sonst fallen Antworten nicht immer leicht. Und immer dann, wenn er befremdet ist von den Sitten und Gebräuchen im Gastland, denkt er…

Zwischen Krieg und Frieden
Rezensionen / 6. Januar 2019

Dass der schreibende Volljurist J. R. Bechtle im Rheinland geboren wurde und heute in San Francisco lebt, schlägt sich auch in seinem Roman  „Burgkinder“ nieder, der den Bogen vom Kriegsende in Deutschland bis ins Silicon Valley schlägt. In der Nachkriegs- und Wiederaufbauzeit kreuzen sich die Wege der deutschen Schriftstellerfamilie Fürst und der jüdisch-amerikanischen Unternehmerfamilie Wiseman mehrfach auf schicksalhafte Weise – bis sich mit einem reichlich konstruierten Ende der Kreis schließt. Ein halbes Jahrhundert Familiengeschichte Burgkinder ist eine spannende Familiensaga, die ein halbes Jahrhundert umspannt. Eine Geschichte auch von Hochmut und tiefem Fall, von kleinen Leuten mit großem Herzen, von Helden wider Willen und von ewig Gestrigen. Bechtle schreibt aus unterschiedlichen Perspektiven, überspringt Jahrzehnte und bringt nach einem halben Jahrhundert die Protagonisten des Anfangs noch einmal auf der Burg zusammen, auf der alles seinen Ausgang nahm. Schade nur, dass den Personen die Tiefe fehlt, zu holzschnittartig sind die Charaktere, um ihnen wirklich nahe zu kommen. Ein Fehltritt reicht für ein ganzes Leben Da ist Erika, die Frau, die ohne Skrupel zuerst mit einem SS-Mann und dann mit dem amerikanischen Leutnant schläft, die ihrem heimgekehrten Drogen abhängigen Mann den goldenen Schuss setzt und sich danach durch eine neue Heirat saniert. Und da…