She explores: Frauen unterwegs
Rezensionen / 4. November 2019

Als „Gelegenheit zur Selbstbestimmung“ sieht Gale Straub, Gründerin der Plattform „She-Explores.com“ die Erfahrung eines „Roadtrips“. In dem Buch  She explores  versammelt sie Geschichten von Outdoor-Frauen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen den Aufbruch gewagt haben: Künstlerinnen, Abenteurerinnen, Fotografinnen aber auch Mütter mit Baby, Frauen mit Hunden, ja ganze Familien. Und sie gibt Tipps für alle Frauen, die sich auf den Weg machen wollen. Mut machende Essays Sechs Kapitel widmen sich den unterschiedlichen Outdoor-Typen: Enthusiastinnen, Kreativen, Gründerinnen und Profis, Nomadinnen, Heimatsuchenden und Botschafterinnen. Es sind meist kurze Texte, Mut machende sind darunter wie der Essay über die heilende Kraft der Wildnis, die einer Frau nach einem Schädel-Hirn-Trauma den Weg in ein erfülltes Leben geöffnet hat. Oder die Aussage einer jungen Frau mit Cerebralparese, einer spastischen Lähmung, die dank einer ExoSym-Funktionsschiene (fast) mit Gesunden mithalten kann. „Alle behinderten Menschen möchten einfach nur gleichbehandelt werden, auch wenn sie sich anders bewegen und anders aussehen“, macht sie klar. Oder die Geschichte einer saudischen Leichtathletin, der derzeit für Tokio 2020 trainiert. Mit der Geige in die Berge Eine der Frauen erkundet die Berge mit der Geige, andere tun es mit dem Zeichenstift und noch mehr mit der Kamera. Immer aber wollen sich die Frauen ihrer selbst…

Quichotte in der Geisterbahn
Rezensionen / 3. November 2019

Salman Rushdie ist ein großartiger Geschichtenerzähler, ein belesener Mann, ein kritischer Zeitgenosse. Das alles spielt mit rein in seinen ausufernden Roman Quichotte. Auf 460 Seiten entwickelt der in Indien geborene Autor eine Geschichte, in der Reales mit Fiktionalem, Paranoisches mit  Zukünftigen verschmilzt. Die Leser fühlen sich wie in einer Geisterbahn, die noch dazu Achterbahn fährt. Die Loopings sind Zeitsprünge, die den Leser manchmal ebenso überfordern wie die vielen Anspielungen auf Literatur, Kino und TV. Alles erfunden Dies ist kein Buch für Eilige, auch keines, das sich als Bettlektüre eignet. Rushdie fordert seine Leser, will sie zum Nachdenken zwingen, indem er ihnen eine unmögliche Erzählung auftischt. Der Autor erfindet einen – erfolglosen – Serienautor, der einen Helden erfindet, der sich wie einst Don Quichotte auf eine Quest begibt, um die Liebe seines Lebens, einem Reality-Show-Star zu erobern. Dabei wird er von seinem – erfundenen – Sohn Sancho unterstützt. Alle diese erfundenen Figuren sind indischen Ursprungs wie ihr ursprünglicher Autor und alle haben wohl etwas mit ihm gemein. Eine Abrechnung mit dem „Land der Freien“ Im Lauf der wild wuchernden Geschichte entwickeln sie ein Eigenleben, Erfahrungen und Erlebnisse werden mehrfach gespiegelt. Diese Dopplungen fordern viel Aufmerksamkeit. Denn Rushdies mitreißender Tanz zwischen Sein…

Im Familienlabyrinth
Rezensionen / 1. November 2019

Der erste Eindruck: geheimnisvoll, schwarzer Einband, goldfarbener Titel  Das Erbe. „Der Autor möchte unerkannt bleiben“, teilt der Verlag mit. „R.R. Sul ist ein Pseudonym.“ Und geheimnisvoll ist die ganze Geschichte um einen Mann, dem es nur kurz vergönnt ist, ein richtiges Leben im Falschen zu finden, auch wenn er schon früh die Möglichkeit von Macht und Manipulation begriffen hat. Als Kind ein Außenseiter Schon als Kind hat seine Mutter Wolf als Außenseiter abgestempelt, als junger Mann spielt er diese Rolle weiter, igelt sich ein in einem Alltag aus Arbeit, Essen, Schlafen. Bis die Jugendliebe die selbst gewählte Isolation durchbricht. Da scheint es, als stünden plötzlich alle Türen offen: „Mit Lina verheiratet zu sein fühlte sich an, wie etwas erreicht zu haben. Etwas, das ich nicht für möglich gehalten hätte, da der Gedanke, etwas zu erreichen, nie eine Bedeutung für mich gehabt hatte. Jetzt war er da… Ich wollte alles richtig machen. Vor allem wegen Lina. Meiner Frau.“ Der Sohn als Hoffnungsträger Sie will ein Kind, er fügt sich. Und dann kommt Karl auf die Welt, der Junge, der so ganz anders ist als sein Vater: „Karl war jemand, dem alles zuflog… Betrat er einen Raum, sahen ihn die Leute an……

Georgien: Vom Charme des Unfertigen
Rezensionen / 29. Oktober 2019

Noch gilt Georgien als Geheimtipp. Aber schon findet man das Land in den Katalogen vieler Reiseveranstalter. Und Reisende aus anderen Ländern sind längst da. Wer das Buch von Jörg Martin Dauscher liest, läuft Gefahr, auch dorthin zu wollen – und das trotz mancher kritischer Passagen. „Frühling in Gergeti, das ist, wenn der Plastikmüll zum Vorschein kommt“, schreibt der Autor in seinem Buch „111 Gründe Georgien zu lieben“. Das klingt nun gar nicht nach einer Liebeserklärung. Kritische Hommage an das Land im Kaukasus Doch das ganze Buch ist eine – wenn auch kritische – Hommage an das Land im Kaukasus, das so gern in die Europäische Gemeinschaft aufgenommen werden will. 111 Gründe findet der ehemalige Weinhändler und heutige Schriftsteller für seine Georgien-Liebe ganz locker, darunter natürlich auch den Wein. Schließlich war er oft genug da, hat in Hostels genächtigt und an georgischen Gastmahlen (Supras) teilgenommen, ist auf Berge gestiegen und im Winter auch Ski gefahren. Ein Lob der Freiheit und Lebendigkeit Natürlich hat er dabei auch jede Menge Menschen kennen gelernt – auch Frauen – und deren Mentalität. „Nur in Georgien, wo jeder schamlos spontan und impulsiv agiert, lösen sich die Fesseln von Plan, Gewohnheit und Absicht soweit auf, dass ein…

Die Hölle der Tüchtigen
Rezensionen / 18. Oktober 2019

Sie haben‘s geschafft, die vier Paare, die Peter Henning in seinem dicken Roman porträtiert. Sie sind die Tüchtigen, wie auch der Romantitel lautet, in dem schon ein ironischer Zungenschlag spürbar ist. Doch zunächst sieht alles nach einem großen Fest aus. Katharina, die Bestsellerautorin, hat ihre Freunde zu ihrem 50. Geburtstag in ein holländisches Wellnesshotel eingeladen. Man ist schließlich wer und kann es sich leisten. Helikopter-Mutter und Banker mit Zocker-Gen Auch die anderen schwimmen auf der Blase mit: Belinda, die Helikoptermutter und Tom, der Banker mit dem Zocker-Gen. Anne, die Schöne, die irgendwie als Filialleiterin hängen geblieben ist, und Marc, der Autofetischist. Schließlich noch die Lehrerin Féline und ihr Mann Stephan, der gerade eine Psychose überwunden hat. Peter Henning stellt uns die Paare erst einmal ausführlich vor, ihre Alltagssorgen, die Kinder, die Wünsche. In die Sauna statt an den Strand Und dann geht‘s ans Eingemachte. Denn natürlich muss es zum großen Krach kommen. Statt Strandspaziergängen in der Sonne Saunagänge im Regen. Das kann nicht gut gehen. Katharina leidet unter einer Schreibblockade, ihr Mann Robert, ein eitler Flugkapitän und unverbesserlicher Macho, hat es auf Anne abgesehen. Die wiederum sorgt sich um ihren dementen Vater. Und Marc, der Ewig-Pubertäre, will vor allem mit…

Entdecker machen Geschichte
Rezensionen / 18. Oktober 2019

Ohne Entdecker würden wir unsere Welt nicht so gut kennen wie wir es heute tun.  Anita Ganeri wendet sich mit dem Bilder-Buch „Bis ans Ende der Welt“ zwar vor allem an kleine Leser mit großer Neugier. Aber die Begegnung mit 22 Entdeckern, von Michael Mullan anschaulich illustriert, bringt auch für Erwachsene neue Erkenntnisse.  „In diesem Buch reisen wir über die Meere, durch Wüsten und Gebirge, durch den Dschungel, ins ewige Eis und sogar in den Weltraum!“ Wenn das kein Versprechen ist… Mary Kingsley war eine Ausnahme-Abenteurerin Die Entdecker  reisten nicht immer im Namen der Wissenschaft, manche waren auch Schatzsucher oder Abenteurer. Trotzdem veränderten Entdecker wie Marco Polo, Vasco da Gama oder Columbus die Welt für immer – und nicht immer zum Besseren. Eine Ausnahme war Mary Kingsley, die sieben Jahre lang von 1893 bis zu ihrem Tod vor allem auf dem afrikanischen Kontinent unterwegs war und die Ausbeutung der afrikanischen Länder anprangerte. Von Hernan Cortez bis zu Ellen MacArthur Frauen sind in der Riege der Entdecker, unter denen sich auch der geld- und machtgierige Konquistador Hernan Cortez befindet, deutlich in der Unterzahl. Neben Mary Kingsley hat es auch die 1976 geborene Ellen MacArthur in das Buch geschafft, die Engländerin, die…

Wer ist Nile?
Rezensionen / 8. Oktober 2019

Judith Merchant ist kein unbeschriebenes Blatt. Sie unterrichtet Creative Writing an der Universität Bonn, hat schon zwei Mal den „Glauser“ für ihre Kurzgeschichten bekommen und war auch mit ihren Rheinkrimis erfolgreich. Mit „Atme!“ ist sie nun ins Thriller-Genre gewechselt, wobei Titel und Klappentext atemlose Spannung suggerieren. Das Versprechen hält die versierte Autorin auch ein, indem sie die Leser in ein Wechselbad der Gefühle stürzt. Plötzlich ist Ben verschwunden Und das ist der Ausgangspunkt: Der noch mit Flo verheiratete Ben, die große Liebe der Ich-Erzählerin Nile, verschwindet bei einem Einkaufsbummel spurlos. Um ihn zu finden, überwindet sich Nile, mit Flo zu kooperieren. Doch trauen kann sie Flo nicht, womöglich auch nicht Ben. Und sich selbst? „Der Bodensatz von allem, was mit Flo zu tun hat, ist schwarze, klebrige Eifersucht, und die war schon immer da, seit dem Moment, als Ben das erste Mal ihren Namen nannte und ich begriff, dass es sie gibt. Seine Frau. Dass er eine hat.“ Wer bin ich und wenn ja wie viele Wer ist diese Nile, die Flo den Mann weggenommen hat? Das nette junge Mädchen von nebenan, das von Flos Freunden gemobbt wird? Eine Frau mit Kontrollwahn? Das verängstigte Opfer einer frühen Vergewaltigung, die ein…

Sprung ins Ungewisse
Rezensionen / 8. Oktober 2019

Simone Lappert hat ein Faible für Menschen, die anders sind. Das prägte schon ihren Erstling „Wurfschatten“. Auch die Protagonistin ihres neuen Romans Der Sprung, Manu, kommt mit dem normalen Alltag nicht zurecht, grenzt sich selber aus. Mit Finn, dem Fahrradkurier, ist das anders, den kann sie lieben, solange er nicht zu neugierig ist. „Das mag ich nicht, wenn du mich so ansiehst,“ sagte sie. „So in mich rein. Warum müssen mich nur ständig Leute so ansehen, so seltsam. Als wäre meine Biographie ein Dachboden, auf dem man herumwühlen und interessante Sachen finden kann.“ Der Sprung und die Gaffer Und dann ist es Manu, die alle diese Leute in Atem hält, weil sie auf dem Dach steht und zu springen droht. Simone Lappert hat ein paar von ihnen herausgepickt und betrachtet sie näher: Die verbitterte Witwe, die die Polizei ruft und damit das Drama erst in Gang setzt. Das alte Ehepaar mit dem traurigen kleinen Laden, der seine besten Zeiten hinter sich hat und der plötzlich brummt, weil die Frau auf dem Dach die Gaffer anzieht. Die Schülerin, die sich aus ihrer Rolle als Mobbingopfer befreien will. Die zweifach betrogene Frau, die ihr Leben neu planen muss. Der menschenfreundliche Obdachlose. Die…

Der Herzschlag der Geschichte
Rezensionen / 8. Oktober 2019

Isabel Allende  ist mittlerweile 77 Jahre alt, hat 25 Bücher geschrieben und ist offensichtlich noch lange nicht am Ende ihrer Erzählungen angelangt. Im Gegenteil. Mit ihrem jüngsten Roman „Dieser weite Weg“ knüpft die Chilenin an frühere Erfolge an. Wie bei ihrem Debüt „Das Geisterhaus“ schöpft Isabel Allende auch hier aus ihrer eigenen Lebenserfahrung und aus den Erzählungen anderer. „Dieses Buch hat sich von selbst geschrieben“, sagte sie in einem Interview. „Ausdenken musste ich mir wenig.“ Inspiration aus der Flüchtlingskrise Mit inspiriert zu der Lebensgeschichte zweier katalanischer Flüchtlinge in Chile hat Isabel Allende nach eigenen Worten die aktuelle Flüchtlingssituation. Und tatsächlich fühlt man sich immer wieder an die Migranten-Diskussion unserer Tage erinnert, die zwischen Ablehnung und Willkommens-Euphorie schwankt: „Frankreich beobachtete mit Entsetzen, wie eine riesige Menge entkräfteter Menschen an seine Grenze drängte und nur mit Mühe in Schach gehalten wurde… Das Land war überfordert mit dieser Massenflucht der Unerwünschten.“ Ganz anders der Empfang der Flüchtlinge in Chile: „Niemand an Bord hatte mit dem Empfang gerechnet, den man ihnen bereitete… Hinter Absperrungen drängten sich Massen von Menschen mit Transparenten und spanischen, republikanischen, baskischen und katalanischen Fahnen und ein heiserer Chor von Hochrufen hieß sie willkommen.“ Wege, die sich kreuzen Im Mittelpunkt des…

Luca d’Andrea: Südtiroler Abgründe
Rezensionen / 8. Oktober 2019

„Meine Hauptinspirationsquelle sind meine Mitmenschen“, sagt der in Bozen geborene Thriller-Autor Luca d‘Andrea, der wie kein anderer Südtiroler Abgründe auslotet. Auch in seinem neuen Roman „Der Wanderer“ konfrontiert der Erfolgsautor die Leser mit dörflicher Beschränktheit, Liebe, Hass und Wahnsinn. Es geht um Mütter und Töchter, Väter und Söhne, gestörte Familien und skrupellos zementierte Machtverhältnisse. Alles andere als ein Bilderbuchsee Vor allem aber geht es um eine junge Frau, die vor langer Zeit  ermordet an einem abgelegenen Bergsee gefunden wurde und deren Tod nie aufgeklärt wurde.  „Es war kein Bilderbuchsee. Kein Vergleich mit den Alpenseen, die der Traum eines jeden Fotografen waren. Der See von Kreuzwirt war alles andere als eine Augenweide. Er ähnelte eher einem Tümpel mit ausgefransten Rändern. Als wenn Gott an dem Tage, an dem er ihn schuf, in Eile gewesen wäre.“ Scheinbare Idylle Ein Foto, das sie im Briefkasten findet, ruft der Tochter Sybille die tote Mutter ins Gedächtnis und lässt ihr keine Ruhe mehr. Zusammen mit dem Schriftsteller und damaligen Lokaljournalisten Tony versucht sie herauszufinden, was wirklich geschehen ist mit der „narrischen Erika“, wie die Dörfler die Frau nannten, die aus Tarotkarten die Zukunft las und die so gar nicht in die verschworene Gemeinschaft des nur…