Pubertiere und Ältern
Rezensionen / 7. November 2020

Jan Weiler hat mit „Maria, ihm schmeckt‘s nicht!“ eines der erfolgreichsten Bücher der vergangenen Jahrzehnte geschrieben. Mit der Pubertier-Reihe „Im Reich der Pubertiere“ und „Und ewig schläft das Pubertier“ hat er daran angeknüpft. Auch „Die Ältern“ beschäftigt sich mit den Pubertieren, vor allem aber mit dem Gemütszustand der Eltern zwischen Festhalten und Loslassen, Frust und Hoffnung. Getrennte Wohngemeinschaften Das handliche Büchlein, zu dem Till Hafenbrak auch diesmal die Illustrationen beigesteuert hat, handelt denn auch von so grundlegenden Dingen wie dem letzten (gemeinsamen) Urlaub, von den letzten Schulsprechtagen oder dem Streit über das, was auf den Tisch kommt. Dass die „Ältern“ dann noch beschließen, zwei nach Geschlechtern getrennte Wohngemeinschaften aufzumachen, gibt Weiler Gelegenheit über die „biblische Pubertier-Plage“ in einem Männerhaushalt zu räsonieren oder über Güterabwägungen zwischen männlichem und weiblichem Haushalt. Ironisch-heiterer Grundton Das Ganze liest sich leicht und locker, wobei ein gewisses Maß an Übertreibung für den ironisch-heiteren Grundton sorgt. Manchmal ist es vielleicht ein bisschen zu viel des Guten. Aber der Wiedererkennungseffekt ist jedenfalls garantiert. Hineingelesen… … in Ältern Manchmal bringt mich diese frühe Erwachsenheit zur Verzweiflung. Diese Geschäftstüchtigkeit. Dieser Sinn für das Ferne. Wir waren jedenfalls länger jung. Wir gingen in dem Alter nicht in Restaurants, wir bestellten nichts…

Von Bäumen und Menschen
Rezensionen / 5. November 2020

Michael Christie hat ein enges Verhältnis zu Holz.  Der studierte Psychologe lebt mit seiner Familie in einem selbst gezimmerten Holzhaus. Dafür musste er wohl auch Bäume fällen.  Vielleicht spielen Bäume deshalb in seinem neuen Roman „Das Flüstern der Bäume“ eine so große Rolle. 130 Jahre Leben Die Jahre graben sich in die Bäume ein. Hunderte von Jahren alt werden können Baumriesen, wenn das Klima und die Menschen es zulassen. Das Schicksal von Mensch und Natur ist enger verwoben, als die meisten Menschen glauben. Das zumindest lässt sich aus Michael Christies großer Familiensaga  herauslesen. Von 2038 bis 1908 und zurück bis 2038 verfolgt der kanadische Autor vier Generationen von Menschen, die das Schicksal zu einer Familie zusammengeschmiedet und dann wieder getrennt hat. Durch Zufall Familie Diese Greenwoods sind keine moderne Patchwork-Familie, die sich selbstbestimmt gegründet hat. Reiner Zufall hat Harris und Everett, zwei Jungen, die einen traumatischen Unfall überlebt haben, zu Brüdern gemacht. Das Leben wird den einen zum Holzmillionär, den anderen zum Vagabunden machen – und sie doch wieder zusammenführen, als es darum geht, das Leben eines ausgesetzten Kleinkinds zu retten. Generationenkonflikte Everett bringt das größere Opfer und geht für seine Rettungsaktion in den Knast. Der zunehmenden erblindende Harris zieht…

Das Mal des Oktopus
Rezensionen / 1. November 2020

Brustkrebs ist kein Thema, mit dem frau gern konfrontiert wird. Als Un-Frau fühlt sich Klarissa, die Ich-Erzählerin, nach der Operation. Sie hat sich gegen Silikon-Brüste entschieden und sich dafür einen Oktopus über die Narben tätowieren lassen: Schutz gegen den Krebs. Zurück nach Ei in den Schoß der Familie Klarissa ist zur Einzelgängerin geworden. Das Filmstudium hat sie aufgegeben, den Freund verlassen. Ihren Lebensunterhalt verdient sie als Burger-Braterin – bis sie ihr Bruder zurück bringt auf die Insel Ei und in das Wirtshaus der Familie. Hier lebt der nach dem Tod seiner Frau und dem der Ersatzmutter „Mammie“ fast verstummte Vater mit dem Bruder und Irina, der Schönen, die irgendwann aus dem Meer auftauchte: „Das fremde, wunderschöne Mädchen, das kein Mädchen und kein Mensch war, verstand kein Wort und fand Mammie sofort sympathisch. Es wurde die Schwester der Tochter des Fischers und des Fischers zweite Tochter und des Sohnes zweite Schwester und Mammies drittes (viertes?) Findelkind.“ Bedrohung durch Windräder und „Zecken“ Doch Ei ist bedroht: Eine Fastfood-Kette, die auch Windräder betreibt, will die Bewohner vertreiben, um noch mehr Windräder zu errichten und womöglich auch noch mehr von den merkwürdigen schwarzen Zecken oder Käfer, die Klarissa entdeckt hat. Wie ein Oktopus, der…

Schwarzwald: Bäume und Menschen
Rezensionen / 29. Oktober 2020

Berühmte Gäste gab und gibt es etliche. „Viele kommen für ein paar Tage, manche bleiben für immer“, schreibt Jens Schäfer in dem Buch „Total alles über den Schwarzwald“. Und tatsächlich waren weltbekannte Menschen da wie Königin Viktoria und Kaiser Wilhelm II., der Dalai Lama, Karl Lagerfeld, Hans Christian Andersen, Bertolt Brecht oder auch Ozzy Osborne, Josephine Baker und Alice Cooper. Die berühmten Besucher sind aber nur eine Facette, die den Schwarzwald ausmachen. Der Schwarzwald und seine Bäume Eine der wichtigsten ist wohl der Wald selbst und den sieht man oft, wie die ebenso informativen wie unterhaltsamen Infografiken zeigen, vor lauter Bäumen nicht. Jedenfalls sorgen immer noch 42 Prozent Fichten dafür, dass der Schwarzwald seinen Namen zu Recht trägt. 17 Prozent Tannen, sechs Prozent Douglasien und sechs Prozent Kiefern tragen ihren Teil dazu bei. 51 Meter hoch sind die höchsten Tannen Deutschland bei Kälberbrunn, um 16 Meter überragt sie die Douglasie Waldtraut im Freiburger Stadtwald, die 1913 gepflanzt wurde. Bollenhüte und Kuckucksuhren Fast so wichtig wie der Wald sind die Kuckucksuhren für den Schwarzwald. Beliebt sind sie besonders in Japan und China, aber auch in den USA und Kanada darf der Kuckuck die Zeit angeben. Und natürlich gibt es auch im…

Rastplätze der Nostalgie
Rezensionen / 20. Oktober 2020

Nostalgiker und Romantiker kommen an der Augsburger Puppenkiste nicht vorbei – auch nicht an der Fuggerei, der ältesten Sozialsiedlung der Welt. Dietmar Bruckner hat in seinem Buch noch jede Menge anderer „nostalgischer Winkel“ in Bayern aufgetan – von der Kaiserburg in Nürnberg über die Hofapotheke zum Schwarzen Adler in Passau und die Schönheitsfarm Gertrud Gruber in Rottach-Egern bis zum Circus Krone in München und dem Haushalts- und Spielwarengeschäft Bahnschreiner in Eschenau. Nostalgie in der Allianz Arena? Dass auch die FC Bayern Erlebniswelt in der Allianz Arena unter diesen „Winkeln“ zu finden ist, ist allerdings erstaunlich. Schließlich wurde die Arena mit ihrer charakteristischen Fassade aus Folienkissen erst 2005 eröffnet. Doch im Text von Dietmar Bruckner geht es ja auch vor allem um die Erlebniswelt, wo der Autor Glücks- und Gänsehautmomente erlebte. Trotzdem: So richtig passt das Ganze nicht ins Thema „nostalgische Winkel“. Aus der Zeit gefallen Ganz anders das Museum Wolfram von Eschenbach, das sich dem Erfinder von Parzival widmet, und das ganze Örtchen Wolframs-Eschenbach in Mittelfranken. „Eine mittelalterliche Stadtmauer, kleine geduckte Häuser, urige Kneipen, Kopfsteinpflaster und Laternen, Nachtwächterführungen, ein Ritterspielplatz.“ Die Gemeinde habe sich einiges einfallen lassen, „um den Eindruck zu vermitteln, sie sei aus der Zeit gefallen“, schreibt Dietmar…

Ein Hund für Emil
Rezensionen / 13. Oktober 2020

Emil ist ein Schlaumeier, er hat‘s mit Primzahlen, mit denen er berühmte Persönlichkeiten bestimmen will. Solche Spielereien helfen ihm, wenn er sich einsam fühlt. Und Emil fühlt sich oft einsam. Sein Opa ist gestorben. Sein bester Freund. Und andere Freunde hat er jetzt auch nicht, weil die ganze Familie umgezogen ist – zu Oma, damit sie nicht so allein ist. Aber die alte Frau will keine Gesellschaft und hat sich ins Gartenhaus zurückgezogen. Ein Hund als Seelentröster So ist Emil trotz Schwester und durchgeknalltem Bruder ziemlich allein mit seinem Kummer. Ein Hund könnte ihn vielleicht trösten, ein möglichst großer, meint er und schreibt seinen einzigen Wunsch auf einen Wunschzettel. Zu Weihnachten bekommt er aber nur einen Plüschhund, weil sein Vater allergisch gegen Tierhaare ist. Voll peinlich. Und dann findet Emil einen Hund, ein „grunzendes, glupschäugiges, faltiges, schrumpeliges, dreckfarbenes, undefinierbares kleines Wesen“. Ausgerechnet Mops! „Ausgerechnet Mops“, denkt der Junge – und so heißt auch das Gute-Laune-Buch von Constanze Klaue. Denn natürlich finden Emil und Mops zusammen, auch wenn Emil ziemlich viele Vorbehalte überwinden muss. Aber über Mops kommt der einsame Junge ganz unvermutet zu neuen Freunden. Und ausgerechnet der dicke „Fleischer-Ole“ entpuppt sich als größte Hilfe dabei, den Mops der Familie…

Schönstes in der Schweiz
Rezensionen / 13. Oktober 2020

Quadratisch, praktisch, dick. Fast 500 Seiten mit geballten Tipps für die Schweiz sind in diesem reich bebilderten Band versammelt. Ausflugsziele für das ganze Jahr, auch für Familien. Dazu Ferienideen und vieles, was sonst noch  Touristen in der Schweiz interessiert. Kuriositäten und Berühmtheiten Kuriositäten etwa wie das kleinste Museum der Welt in Basel, wo jede und jeder ausstellen kann, was ihr oder ihm wichtig ist – Hauptsache klein. Der Pfynwald mit der Bhutanbrücke im Wallis. Der Friedhof in Jaun im Kanton Fribourg mit den individuell geschnitzten Holzkreuzen. Das Cabaret Voltaire in Zürich, Geburtsort des Dadaismus. Natürlich finden sich auch weltberühmte Attraktionen in dem Wälzer wie das Jungfraujoch, die Hohle Gasse (aus Wilhelm Tell) bei Küsnacht, das Einstein-Museum in Bern, die Fontäne „Jet d‘Eau“ im Genfer See oder das Dorf Vogorno im Tessiner Versascatal. Weinlehrpfad und Hausmannskost Es gibt Ausflugstipps wie den Weinlehrpfad im Wallis, die Grotten von Vallorbe im Jura, den Pilatus bei Luzern oder die Vorderrhein-Schlucht in Graubünden, den Grand Canyon der Schweiz. Auch das leibliche Wohl kommt nicht zu kurz. Da finden sich Lokale mit regionaler Küche wie die Osteria La Froda im Tessin, die sich dem Slow-Food-Trend verschrieben hat, das auf Wildgerichte spezialisierte Relais des Chasseurs im Wallis…

Was bleibt
Rezensionen / 7. Oktober 2020

Fabio Geda hat mit seinem Buch „Im Meer schwimmen Krokodile“ einen Überraschungserfolg erlebt.  Jetzt legt der italienische Autor nach  –  mit einem Roman über Einsamkeit.  Der alte Mann  hat sich soviel Mühe gegeben mit dieser Essenseinladung an seine Tochter und die Enkelinnen. Und dann bricht sich eine der beiden den Arm – und er steht allein da mit dem gedeckten Tisch und den fertigen Speisen.  Seine Frau ist tot, die Kinder leben längst ihr eigenes Leben. Einsamer Ruhestand Jetzt ist er, der als Architekt in der Welt herumreiste, um Brücken zu bauen und in Venezuela eine heimliche Geliebte hatte, im Ruhestand – und einsam. Da lernt er im Park in der Nähe einer Skateboardanlage eine junge Frau mit ihrem Sohn kennen: Elena und Gaston folgen nach einigem Zögern seiner Einladung. So wird es doch noch ein fast familiärer Nachmittag. Keine Liebesgeschichte Aus dem Sonntag mit Elena, so auch der Titel des Romans, entwickelt sich keine Liebesgeschichte, auch wenn sich der alte Mann und der junge Gaston beim Basteln näher kommen. Aber der einsame Vater, der zu seiner Familie ein eher distanziertes Verhältnis hatte, erkennt neue Perspektiven für den Rest seines Lebens. Auch einen Weg aus der Alters-Einsamkeit. Familiäre Hintergründe Erzählt…

Lebendig werden im Kloster
Rezensionen / 7. Oktober 2020

Das Kloster  als Gegenentwurf zum Lärm der Moderne.  So sieht es Paolo Rumiz, der Wanderer und der Suchende. Auf dem Po ist er durchs unbekannte Italien gereist, auf der Via Appia hat er nach römischen Spuren gesucht und im Leuchtturm sich selbst gefunden. Nun hat sich der überzeugte aber auch verzweifelte Europäer in den Klöstern des Benediktinerordens mit den Wurzeln des europäischen Gedankens auseinandergesetzt und hat in ihnen viel Tröstliches gefunden: grandiose Einsamkeit, unberührte Natur, herzliche Menschen. Der Rockende Abt von St. Ottilien Manche der Mönche haben den Schriftsteller tief beeindruckt. Männer wie der ehemalige Abtprimas Notker Wolf, der nicht nur elf Sprachen spricht und Missionar in Afrika war, sondern auch „Smoke on the water“ von Deep Purple auf der E-Gitarre spielen kann und von großen Wirtschaftsunternehmen als Berater geschätzt wird. Überhaupt bewundert Rumiz die blühende Wirtschaft im bayerischen Kloster mit Biogasanlage, Brauerei, Verlag und „Hi-Tech-Stall“. „Mit Claudio spaziere ich verwirrt und argwöhnisch über die gepflegten Kiesalleen dieses Bauernhofs Gottes“, notiert er. Klöster quer durch Europa Eine „waffenlose Welt im Niemandsland“ hat er in den europäischen Klöstern gefunden. Und eine enge Verbindung – auch mit den Frauenklöstern. Den Faden zu seinem Buch hat er an einem Kriegerdenkmal in Triest aufgenommen,…

Das Ende der Sprachlosigkeit
Rezensionen / 2. Oktober 2020

Celeste Ng  war mit „Kleine Feuer überall“ eine literarische Sensation gelungen.  Der Roman wurde zum Bestseller und als TV Serie verfilmt.  „Was ich euch nicht erzählte“  ist ihr erster Roman, auch er hat das Zeug zum Bestseller:  Es scheint das Glück auf Lebenszeit: Als die ehrgeizige Studentin Marilyn den chinesisch-stämmigen Professor Lee heiratet, sieht sie sich noch vor einer großen Zukunft als Ärztin. Doch dann bekommt James Lee nicht die erhoffte Stelle in Harvard, sondern muss ich mit einer Professur in der Provinz zufrieden geben, es kommen Kinder, und Marilyn verzichtet darauf, weiter zu studieren. Ausgrenzung und Ehrgeiz James, Sohn nach den USA eingewanderter Chinesen, hat von Kind an gespürt, dass er anders ist, hat Ausgrenzung erfahren. Dass Marilyn ausgerechnet ihn liebt, erscheint ihm wie ein Wunder. Und wie viele Menschen mit Migrationshintergrund will sich James in seiner neuen Heimat integrieren. Er ist amerikanischer als die Ur-Amerikaner. Marilyn dagegen, die mit ihrer Ehe den Kontakt zu ihrer Mutter verloren hat, leidet darunter, ihre eigenen Ziele nicht erreicht zu haben. Bild einer perfekten Familie Sie fürchtet, als unbedeutende Hausfrau zu enden und überträgt ihren ganzen Ehrgeiz auf die Tochter Lydia, schön, klug und scheinbar ähnlich ehrgeizig wie die Mutter. Die anderen…