Reisen als Ansichtssache
Rezensionen / 6. Juli 2021

Als Reiseführer taugt dieses Buch nicht, eher als Reisebegleiter für lange Abende oder Zugfahrten. 25 Autoren setzen sich mit dem Thema Reisen auseinander. Wobei sie Reisen ganz unterschiedlich interpretieren. Nicht immer geht es um Fortbewegung, um Urlaub von Zuhause oder vom Alltag. Vieles spielt sich auch nur im Kopf ab, in der Erinnerung. Zeitreisen sind dabei, Traumreisen und Geschichten zwischen Raum und Zeit, philosophische Betrachtungen, Surreales. Buchstäblich durch die Wand So hat Terézia Mora, Büchnerpreisträgerin 2018, eine poetische Wegbeschreibung verfasst, die am letzten Haus eines Ortes in Österreich beginnt und ein kleines, weißes Haus in Ungarn zum Ziel hat. Eine Reise durch Grenzgebiete, über eine Staatsgrenze, einmal buchstäblich durch eine Wand. Auch Corona spielt eine Rolle. Lutz Seiler (Kruso, Stern 111) etwa erzählt von einer Reise in Pandemie-Zeiten nach Schweden zu seiner Liebsten – mit Checkpoints und Durchreiseverboten. Stress beim Reisen Dass Reisen nicht nur eitel Wonne bedeutet, sondern auch Stress, kann man aus einigen der Geschichten auch herauslesen. Die vier Menschen etwa, die sich im Urlaub zum Partnerwechsel verabreden, sind hinterher nicht mehr dieselben. Das Ehepaar, das vergeblich versucht, einen überdimensionierten Koffer ins Auto zu laden, ist noch vor der Urlaubsfahrt heillos zerstritten. Und die beiden Freundinnen, die sich…

Vertreibung aus dem Paradies
Rezensionen / 24. Juni 2021

„Die Skrupellosen“ ist der Titel des neuen Romans von Sadie Jones.  Schade, dass der Verlag nicht den Originaltitel übernommen hat, The Snakes, die Schlangen. Denn die Schlangen-Metapher zieht sich durch den ganzen Roman. Der deutsche Titel „Die Skrupellosen“ dagegen führt eher in die Irre. Die „heilige Bea“ Die Unterüberschrift für das Buch habe anfangs „Die Unmöglichkeit des Guten“ geheißen, verriet die Autorin. Und genau darum geht es auf den 458 aufwühlenden Seiten. Das Gute verkörpert Bea, Tochter eines skrupellosen Immobilienhais in London, Psychotherapeutin mit Helferinnen-Syndrom und verheiratet mit dem erfolglosen farbigen Künstler Dan. Die „heilige Bea“, so Dans Spitzname für seine Frau, ist eine moralische Instanz aber hin und wieder auch ziemlich nervig. Auszeit mit Folgen Sie hat komplett mit dem Elternhaus gebrochen – den Vater bezichtigt sie der Gier, die Mutter des Missbrauchs. Nur der gescheiterte aber liebenswerte Bruder Alex kann vor ihren Augen bestehen. Bea und Dan leben bescheiden in einer winzigen Wohnung und scheinen mit sich und der Welt zufrieden. Bis sie sich zu einer Auszeit entschließen – und bei Alex in Frankreich Station machen. Verwahrloster Garten Eden Der Drogensüchtige haust in einem heruntergekommenen Hotel, das ihm die Eltern gekauft haben. Als die dann in diesem verwahrlosten…

Spannung mit Schach
Rezensionen / 24. Juni 2021

Das Damengambit: Von der Serie zurück zum Buch. Sechs Teile waren für die Netflix-Serie geplant – sieben wurden es. Zu spannend war es, zu sehen, wie die Waise Beth Harmon auf dem Schachbrett reihenweise Männer mattsetzt. Schach als Thriller? Für passionierte Schachspieler keine Frage. Aber auch Menschen mit wenig oder keiner Schach-Erfahrung folgten gebannt dem Aufstieg der Schachspielerin Elizabeth vom Keller des Waisenhauses bis nach Las Vegas und ihrem Siegeszug in Moskau. Lesend in die Schachwelt eintauchen Wer die Serie nicht gesehen oder wenig Lust auf Streaming hat, kann sich auch lesend in die Welt des Damengambits hineinversetzen. Denn Diogenes hat die Romanvorlage des Amerikaners Walter Tevis von vor knapp 40 Jahren neu aufgelegt. Die Parallelen zwischen dem an Lungenkrebs verstorbenen Autor und seiner Protagonistin kommen nicht von ungefähr. „Ich habe mich von meinen Ängsten befreit, indem ich mich in die Sicherheit, die Schach mir bot, zurückgezogen habe“, soll Tevis beim Erscheinen seines Romans gesagt haben. Suchterfahrungen im Waisenhaus Wie Beth war er jahrelang alkoholkrank, obwohl er als Autor durchaus erfolgreich war. Mit seinen Romanen „Haie der Großstadt“ und „Die Farbe des Geldes“(beide verfilmt mit Paul Newman) hatte er sich international einen Namen gemacht. Beths Abhängigkeit von Drogen und ihren…

Buwaldas tollkühne Höllenfahrt
Rezensionen / 23. Juni 2021

Otmars Söhne – das sind Dolf, das Wunderkind, und Dolf, der Sohn seiner zweiten Frau, der alsbald in Ludwig umgetauft wird. „Otmars Söhne“ ist auch der Titel des ersten Teils einer Romantrilogie von Peter Buwalda. Ein 600 Seiten starker, wuchtiger Einstieg, an dessen Ende völlig unklar ist, wie es mit Otmars Söhnen weitergeht. Der Stiefsohn und die Wunderkinder Stiefsohn Ludwig jedenfalls hat Glück mit Otmar, der stundenlang mit ihm Flugzeuge zusammenbastelt. Die beiden anderen Kinder, Dolf und Tosca, beides musikalische Genies, haben weniger Glück. Sie werden auf Erfolg programmiert. Mit dem arroganten Dolf kann Ludwig wenig anfangen, näher fühlt er sich der aufmüpfigen Tosca, die unbewusst seinen jugendlichen Sextrieb stimuliert. Dass er später an vorzeitigem Samenerguss leidet, macht seine Beziehung zu Frauen schwierig. Verlogene Lebenskonstrukte In der eher reizlosen Juliette glaubt er, endlich eine Partnerin fürs Leben gefunden zu haben. Doch das Konstrukt dieser Ehe ist ebenso verlogen wie Ludwigs Engagement beim Energieriesen Shell. Als er auf er russischen Halbinsel Sachalin auf den skrupellosen aber charismatischen Johan Tromp, CEO von Sakhalin Energy, stößt, ist er überzeugt davon, seinen leiblichen Vater gefunden zu haben. Ein Manager unter Verdacht Von der wölfischen Macht des Managers ist Ludwig abgestoßen und fasziniert zugleich. Da…

Weltenbummler unter Segeln
Rezensionen / 22. Juni 2021

Die große Freiheit lockt viele Weltumsegler ebenso wie der Traum vom Segeln. „Jede Weltumseglung ist eine Liebesgeschichte“, schreibt Kristina Müller im Vorwort zu dem Buch „Freiheit auf Zeit“. Dafür hat sie mit zwölf Weltumseglern gesprochen, mit Paaren, Soloseglern und einer Familie, mit Alten und Jungen. Sparen auf das ganz große Abenteuer Es sind keine Profisegler, auch keine Superreichen, sondern Menschen, die sich ihren Traum vom Segeln viel haben kosten lassen. Manche haben sich ihre Yacht buchstäblich vom Mund abgespart, andere haben Wohnung oder Haus dafür verkauft, wollten den ganz großen Ausstieg wagen. Ein Weltumsegler hat eine ganze Zahnarztpraxis an Bord, wo er die Menschen in der Südsee behandelt, ein anderer hat ein Projekt gegen die Verschmutzung der Meere ins Lebens gerufen. Unterwegs auf unterschiedlichen Yachten So unterschiedlich wie die Menschen und ihre Motive sind auch die Yachten, die sie durch die Welt getragen haben. Manche konnten sich nur ältere Segelboote leisten und schraubten selbst an ihrem Traumschiff, andere gönnten sich eine der weltweit schönsten Yachten, der Zahnarzt im Unruhestand schwört auf seinen Katamaran, und der Einhandsegler versenkte am Ende schweren Herzens sein Boot. „Fidel zu versenken war wie einen guten Freund zu ermorden“, gesteht er. Auf für Weltumsegler ist die…

Urlaub im Pott
Rezensionen / 17. Juni 2021

Das Ruhrgebiet klingt eigentlich nicht nach Urlaub. Dass die Gegend aber sehr wohl eine Reise wert ist, beweisen Alexander und Friederike Richter in ihrem Reiseführer Ruhrgebiet. Einiges kennt man ja auch als Nicht-Ruhrpottler: Die Zeche Zollverein etwa, die gigantische Villa Hügel der Familie Krupp, Starlight Express in Bochum, den Innenhafen in Duisburg, das Gasometer in Oberhausen… Schlösser und ein tamilischer Tempel Doch wer hätte gedacht, dass das Ruhrgebiet neben der Ruhr auch jede Menge Seen hat, dass es hier neben der Villa Hügel auch Schlösser gibt? Und viel Kultur dazu? In Unna sogar eine Festa Italiana und in Uentrop den größten tamilischen Tempel Europas? Haldenhopping und Indoor-Tauchen Die beiden Autoren lieben das Ruhrgebiet in seiner ganzen Vielfalt, und diese Liebe kommt auch in ihrem Reiseführer zum Ausdruck, angefangen bei dem kurzen Exkurs ins „Ruhrdeutsch“ über das durchaus interessante Kapitel „Ruhrgebiet ‚für umsonst‘“ und die Zwei-Tage-Tour „Haldenhopping“ bis zum „größten Indoor-Tauchgewässer in Europa“, dem Tauchgasometer in Duisburg und dem Aquarius Wassermuseum in Mülheim, das über „alle Aspekte des Wassers informiert“ oder das Wasserschloss Lembeck, eines der größten im Münsterland. Partnerstadt Wuhan Und wer weiß denn schon, dass das berühmt-berüchtigte Wuhan die Partnerstadt von Duisburg ist und der Chinagarten im Zoo ein…

Brunetti: Jubiläum in Melancholie
Rezensionen / 17. Juni 2021

Es gilt mal wieder ein Jubiläum zu feiern: Donna Leons Commissario Brunetti löst seinen 30. Fall. „Flüchtiges Begehren“ ist der Titel des neuen Romans, in dem Brunetti die Leser wieder mitnimmt auf seine Streifzüge durch Venedig. Unschönes in Venedig Mehr als sonst ist der Commissario von Melancholie geplagt. Vielleicht weil er es mit zwei jungen Männern zu tun hat, die ihn an seinen Sohn erinnern. Vielleicht aber auch, weil er all der Missetaten und unschönen Entwicklungen überdrüssig ist, die ihm in seinen langen Dienstjahren begegneten und die ihm das Leben in Venedig verleiden: Massentourismus und Umweltverschmutzung, korrupte Politiker und mafiöse Strukturen. Vieles scheint auserzählt Nicht einmal die geliebte Familie kann den Commissario so recht aufheitern. Und der schönen und smarten Signorina Elettra gönnt er kaum einen Blick. Wie die Familie gehört sie zum lieb gewonnenen Personal der Romane. Vieles scheint auserzählt in dieser Folge wie die Launen des dumm-arroganten Vorgesetzten Patta oder auch die Kochkünste der intelligenten Ehefrau Paolo. Griffoni und die Frauen-Power Dass Donna Leon mit der schönen Neapolitanerin Claudia Griffoni eine neue Figur eingeführt hat, spricht allerdings gegen die Annahme, die Amerikanerin könnte ihre erfolgreiche Krimi-Serie beenden. In diesem Fall, in dem es anfangs nur um einen schrecklichen…

Schwarzwald kinderleicht
Rezensionen / 31. Mai 2021

Der Schwarzwald ist auch in diesen Zeiten ein beliebtes Ziel für Familien . „Wir brauchen keine Fernseher, keine Play Station, keinen Erlebnispark, keine wie auch immer gearteten Fahrzeuge, nur unsere beiden Füße. Und einen Weg.“ Marcel Gisler lädt in dem Büchlein ErlebnisWandern mit Kindern dazu ein, den südlichen Schwarzwald nicht nur Kinder- sondern auch Umwelt freundlich zu entdecken, deshalb ist bei den Tourenprofilen auch immer die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln angegeben. Eine Tour, keine Tortur Und damit die Kinder auch Spaß am Wandern haben, empfiehlt der Autor, „prinzipiell her mehr Zeit für die Strecke einzurechnen, damit die Tour keine Tortur wird“. In den Rucksack gehöre neben der Brotzeit, dem Getränk und Wechselkleidung auch ein Müllbeutel – schon aus Rücksicht auf die Natur, klärt Gisler auf und rät dazu, mögliche Highlights wie eine Barfußpfad, eine Burg oder einen Vogelpark mit einzuplanen.  Denn kleine Wanderfreunde brauchten Abwechslung. Dazu gehöre neben den nötigen Pausen auch das Sammeln von allerlei Kleinigkeiten am Wegesrand. Mit Vierjährigen zum Wasserfall Und dann kann‘s losgehen. Schon für Vierjährige geeignet findet der Autor den Wanderlehrpfad im Sulzbachtal, auch die Wanderung zu den Triberger Wasserfällen könnte schon den Kleinsten Spaß machen. Ab sechs Jahren lassen sich, so Gisler, schon etwas…

Leben im Beton
Rezensionen / 25. Mai 2021

Julia Rothenburg… „findet eine reduzierte, prägnante, musikalische Sprache für die beschädigten Existenzen ihres dritten Romans“ heißt es in der Begründung der Jury für den „Bayern2-Wortspiele-Preis“, den die junge Autorin gerade für „Mond über Beton“ erhalten hat. Im Zentrum des Romans, in dem der Mond eher selten zu sehen ist, steht das „Neue Zentrum Kreuzberg“ (NZK) am Kottbusser Tor in Berlin. Die Bewohner im Blick Der zwölfstöckige Hochhausriegel aus den 1980er Jahren hat auch in letzter Zeit immer wieder für negative Schlagzeilen gesorgt. Julia Rothenburg hat das zum Anlass genommen, genauer hinzuschauen, wie die Bewohner in dem heruntergekommenen Gebäudekomplex leben. Wie sie mit Säufern, Junkies und Obdachlosen zurecht kommen, die sich rund um den Betonklotz breit gemacht haben. Der Kotti-Kosmos Der Türke Mutlu und seine mutterlosen Söhne, seine schöne aber überforderte Nichte Aylin, die beiden Deutschen Marianne und Günter, Überlebende der Besetzer-Szene, die einsame Witwe Stanca mit ihrem Hund und der verwirrte Obdachlose Ario – sie stehen für den Kotti-Kosmos. Doch über allem thront das Zentrum aus Beton. Riss in der Realität Der Autorin gelingt es auf verblüffende Weise, diesen Beton lebendig werden zu lassen – mit Klagen über die ständige Vernachlässigung und einer späten Rache. So entsteht ein Riss in…

Deutsche Wildnis
Rezensionen / 25. Mai 2021

Alexandra Schlüter lädt in dem Buch Auszeit Deutschland  dazu ein, „die Weite im eigenen Land“ zu entdecken und sich bewusst auf den Weg zu machen. 60 Touren hat sie zusammengestellt – zwischen Bergen und Meer, zwischen Höllentalklamm und Hiddensee.  Auch wenn sich Europa wohl bald wieder öffnet,  bleibt Deutschland wohl auch in diesem Jahr das Lieblings-Urlaubsland der Deutschen.  Und dann ist man froh um gute Tipps. Von der Hallig bis zum Chiemsee Drei Tage hat sie etwa auf der Hallig Langeneß verbracht, sich von Sturmfluten erzählen lassen und in der einsamen Landschaft das Zeitgefühl verloren. Einen Tag war sie im Kajak auf dem Chiemsee unterwegs, hat Herren- und Frauenchiemsee erkundet und vor der unbewohnten Krautinsel auch das Seewasser. Bekanntes und Unbekanntes Es sind nicht wirkliche Geheimtipps, die in dieser Auszeit Deutschland zu Naturerlebnissen und Mikroabenteuern verlocken. Die Burgenwanderung am Rhein, die Saarschleife oder die Eifelmaare sind ebenso bekannt wie der Chiemsee oder auch der Heidschnuckenweg. Wer dahin will, sollte sich nicht gerade in der Hochsaison auf den Weg machen. Weniger problematisch ist es vielleicht im Schwarzwassertal im Erzgebirge oder bei der Landpartie im Wendland. Ziemlich allein Auch beim Wandern „über Acht Tausender“ im Bayerischen Wald könnte man zeitweise zumindest relativ…