Ich bin mir nicht sicher, ob J.R. Bechtle mit „Der Schatten von Tulum“ einen Abenteuer- oder nicht doch eher einen Fantasy-Roman geschrieben hat. Alles beginnt eher realistisch mit dem deutschstämmigen Investment-Banker Jake Friedman, der im Zenit seiner Karriere steht. Gerade deshalb plagen den Spezialisten für das Mexiko-Geschäft Abstiegsängste. Beflügelt werden sie durch einen milliardenschweren Mexikaner, der Friedman auszutricksen droht. Eine rätselhafte Entführung Doch noch gehören er und seine Frau Sharon zur New Yorker Society. Bis Friedman in Mexiko nach einem heftigen Streit mit seinem Geschäftspartner Opfer einer Entführung wird. Kollegen und Familie vermuten dahinter handfeste geschäftliche Interessen. Auch Friedmann sieht sich lange als Opfer einer Intrige. Der Hippie Harry Simms Doch dann wallen Erinnerungen auf – an eine längst vergangene Episode in Tulum. Damals, als er das Leben noch vor sich hatte. Als er sich Harry Simms nannte, sich als Hippie fühlte und unsterblich in die junge Indigene Rosha verliebte. Als er sich im LSD-Rausch selbst verlor. Erinnerungen an den zerzausten Weisen, der immer wieder seinen Weg kreuzte, an ein Versagen, das er lange verdrängt hat. Zwischen Wahn und Wirklichkeit In der Realität wird dem Entführten klar, dass seine Vergangenheit dabei ist, ihn einzuholen und die Gegenwart dagegen keine Chance…
Wer kennt sie nicht, die stillen Helferinnen in den (fast) leeren Wohnungen? Ohne die Polinnen oder Rumäninnen, die monatelange ihre Familie gegen einen zu pflegenden Alten oder eine Alte eintauschen, wären viele Familien überfordert. Marco Balzano hat sich in seinem neuen Roman „Wenn ich wiederkomme“ dieser Frauen angenommen, die auch in Italien unabkömmlich sind. Es ist eine dreistimmige Abrechnung mit unserer Gesellschaft geworden, die ihr Wohlleben auf die Ausbeutung anderer gründet. Verwaiste Familie Die Rumänin Daniela hat einen Taugenichts als Mann und zwei heranwachsende Kinder. Um ihnen ein besseres Leben zu sichern, stiehlt sie sich heimlich aus dem Haus und geht sie als ungelernte Altenpflegerin nach Italien. Die verlassene Familie muss sich neu organisieren, und tut sich damit schwer. Sohn Manuel fühlt sich von der Mutter verraten, Tochter Angelica von der neuen Mutterrolle, in die sie zwangsweise schlüpft, überfordert. Der Vater flieht in einen Job als LKW-Fahrer. Schließlich übernehmen die Großeltern die Erziehung des Jungen. Das geht gut, bis der Großvater stirbt – und Manuel in einem existentiellen Nirvana zurück lässt. Marco Balzano lässt erst den Jungen aus seiner Perspektive erzählen und erteilt dann der Mutter das Wort, die ihr schlechtes Gewissen kaum beruhigen kann. Nachdem Manuel als Folge eines…
Nach „Mischpoke“ nun also „Schlamassel“. Und wieder taucht Marcia Zuckermann tief in die Familiengeschichte der Kohanim und anderer Juden ein. Am Beginn der turbulenten Verwicklungen, der Tragödien und Dramolette steht John Segall, der mit einem der letzten Kindertransporte nach England entkommen war. 1962 kommt er nach Europa, um eine Mizwa zu erfüllen, eine Sohnespflicht gegenüber seinem von den Nazis ermordetem Vater. Weitläufige Verwandtschaft Auf der Suche nach seinen Wurzeln wird er mit seiner über viele Länder versprengten Mischpoke konfrontiert. Anhand dieser oft skurrilen Charaktere beschreibt Marcia Zuckermann ohne jede Larmoyanz den Leidensweg der europäischen Juden, die den Horror des Dritten Reichs überlebten. Glück und Unglück liegen da schier untrennbar beieinander. Mit jüdischem Witz macht Zuckermann selbst die schlimmsten Erlebnisse der weitläufigen jüdischen Verwandtschaft erträglich. Die Folgen des Holocaust Doch selbst wenn die Vernichtungslager nur am Rand erwähnt werden, sind der Holocaust und seine Folgen auch in dieser Familiengeschichte allgegenwärtig. Da ist das Foto mit dem Strick um den Hals des Vaters, das John zu seiner Expedition verpflichtet. Da ist das feindliche Umfeld in England, das den elternlosen jüdischen Kindern das Leben schwer gemacht hat. Da ist die Reise auf dem Seelenverkäufer gen Palästina, die viele Passagiere nicht überlebten. Da ist…
Sofia Lundberg erzählt gern von zwischenmenschlichen Beziehungen, von Freundschaft, Liebe, Verbundenheit. Das gilt auch für den dritten Roman der schwedischen Journalistin „Der Weg nach Hause“. Viola und Lilly sind beste Freundinnen, sie wachsen in enger Nachbarschaft auf und sind bis in die späten Teenager-Jahre unzertrennlich. Das verwöhnte Einzelkind Viola und Lilly aus einer armen aber stolzen Großfamilie ergänzen sich gegenseitig. Symbolträchtiges Datum Als Lillys Mutter bei der Geburt des kleinen Sture stirbt, ist es Viola, die Lilly Halt gibt. Den Todestag der Mutter und den Geburtstag des Bruders begehen die beiden Mädchen jahrelang gemeinsam. Das Datum begleitet auch durch die Kapitel des Buches. Doch alles andere ändert sich. Lillys Bruder Alvin wird für Viola bald mehr als ein großer Bruder. Lilly verstrickt sich in eine Affäre mit einem verheirateten Mann und muss wegen illegalen Schnapsbrennens ins Gefängnis. Karriere als Sängerin Ihre Zukunft sieht düster aus, doch dann macht sie dank ihre Stimme Karriere als Sängerin, wird weltweit gefeiert – und scheint Viola und ihre Freundschaft vergessen zu haben. Bis Viola, inzwischen Witwe und Urgroßmutter, einen Anruf aus Paris bekommt. Von Lilly, die sich verabschieden will. Die alte Viola macht sich samt Tochter, Adoptivtochter und Enkelin auf den Weg, um die…
Zerbrechlicher Planet ist der Titel dieses Bildbandes, der die „Zeichen des Klimawandels“ abbildet. Das Thema spielte auch bei der Wahl eine wichtige Rolle. Und diejenigen, die nicht wählen konnten, hatten noch am 24. September in ganz Deutschland bei Fridays-for-Future-Demonstrationen ein starkes Zeichen gesetzt. Argumentationshilfe könnte ihnen dieser beeindruckende Bildband liefern, der in bestürzenden Bildvergleichen zeigt, was Klimawandel in der und für die Natur bedeutet. Wissen und nicht glauben „Wir wissen von der Klimakrise und glauben sie nicht“, schreibt der Wissenschaftsjournalist Fritz Habekuß im Vorwort. Wer die großformatigen Bildseiten aufschlägt, muss an die Klimakrise glauben. Denn sie konfrontieren die Betrachtenden mit den Auswirkungen des Klimawandels in all ihren Fassetten. Mit vernichtenden Tropenstürmen, die Wohnhäuser und Infrastruktur zerstören und Menschen heimatlos machen. Mit Winterstürmen, Eislawinen, Blizzards, Kältewellen. Wobei die Zerstörer auf den Fotos oft verstörend schön sind und die Schäden, die sie anrichten, erschreckend. Sehen und nicht erkennen Auf den ersten Blick sichtbar sind die schmelzenden Gletscher im Bildvergleich. Weniger sichtbar aber nicht minder gefährlich ist der tauende Permafrost, sind die sich ausbreitenden Wüsten und die austrocknenden Seen. Dazu kommen Waldbrände, Dürren und Hochwasser – alles dokumentiert mit eindrucksvollen Satellitenbildern. Ein bisschen Hoffnung Und ganz zum Schluss sozusagen als Trostpflästerchen werden noch…
Das erste Geoheft 1976 war für den 15-jährigen Michael Martin „das Fenster zur Welt“. Auch ein professioneller Diavortrag beeindruckte den Schüler nachhaltig. Mehr als 40 Jahre später ist in Gersthofen bei Augsburg Geborene selbst ein erfolgreicher Vortragsreisender. Geo widmete den vielfach Ausgezeichneten sogar eine Sonderausgabe. „Ich will mehr als schöne Bilder zeigen und abenteuerliche Geschichten erleben“, schreibt Michael Martin im Vorwort zu seinem Buch „Die Welt im Sucher“. In dem Buch nimmt er die Lesenden nicht nur auf seine Reisen mit, er lässt sie auch teilhaben an den Anfängen seiner Karriere. Und am Ende gewährt der Profi auch noch Einblicke in seine Ausrüstung. Mauerblümchen und Orchideenfach Der Vater prägte ihn, schreibt der heute 58-Jährige dankbar. Auch der Mutter habe er viel zu verdanken. In der Schulzeit fühlte er sich eher als „Mauerblümchen“, das Ingenieurstudium tauschte er gegen das „Orchideenfach“ Geographie, das er nach langen elf Jahren immerhin mit einem Diplom abschloss – inzwischen Vater einer Tochter und erfahrener Reisender. Mit dem Mofa nach Marokko Immerhin führte seine erste Reise den 17-Jährigen schon nach Marokko – mit dem besten Freund und auf einem Mofa. Als Fotograf, schreibt Martin, sei er Autodidakt. Doch er profitierte von der „Goldenen Zeit der Reisefotografie“, auch…
Nippon ist das Land der aufgehenden Sonne. So sieht sich Japan selbst. Der Journalist Andreas Neuenkirchen hat sich für dieses Nippon entschieden und den ersten Kulturschock schon hinter sich. Er ist in Tokio angekommen. Spätestens seit Tochter Hana geboren wurde, nimmt er am Alltag seiner Wahlheimat teil – als Vater. Väter im Partnerlook Was das bedeutet, beschreibt der aus Bremen-Vegesack stammende Autor in seinem Buch Nippon Global mit viel Selbstironie: „In Japan sind Väter, die auf eigene Faust etwas mit ihren Kindern unternehmen, so ungewöhnlich, dass die Väter, die es doch tun, sich und ihren Nachwuchs oft im Partnerlook kleiden, damit die Zusammengehörigkeit offensichtlich ist und niemand die Polizei ruft: ‚Da ist ein Mann mit einem Kind auf der Straße – ohne Frau!‘“. Weihnachtsbaum mit Regenbogen Trotz der Jahre, die er inzwischen in der Heimat seiner Frau Junko verbracht hat, hat Neuenhausen das Wundern nicht verlernt. Über Weihnachten in Japan etwa und die Odyssee auf der Suche nach einem Weihnachtsbaum möglichst ohne Regenbogen-Deko. Über Corona und die väterlichen Pflichten bei der Tochter-Betreuung. Über Mangas, Kindergärten, Schriftzeichen und eine Art Stadtmarathon, bei dem der Deutsche viele neue Ecken seiner Wahlheimat kennenlernt. Schlaflos in Tokio Zum Schlafen kam er dabei nicht. Dazu…
„Du bist wirklich ein Kolibri“, schreibt die Freundin aus Kindertagen dem Augenarzt Marco Carrera. „Du bist ein Kolibri, weil Du wie die Kolibris, deine ganze Energie dafür verwendest auf der Stelle zu bleiben. Siebzig Flügelschläge in der Sekunde, um zu bleiben, wo Du bereits bist. Du bist großartig darin. Du schaffst es, in der Welt und in der Zeit anzuhalten. Du schafft es, die Welt und die Zeit um Dich herum anzuhalten, und manchmal schaffst Du es sogar, in der Zeit zurückzugehen, um die verlorene Zeit wiederzufinden, so wie der Kolibri fähig ist, rückwärts zu fliegen.“ „Der Kolibri“ heißt denn auch Sandro Veronesis neuer Roman über drei Generationen Familiengeschichte, für den der Italiener den renommierten Premio Strega erhielt. Unbarmherziges Schicksal Doch diese Generationengeschichte muss aus vielen Splittern zusammengesetzt werden, aus Briefen, Rückblenden, Gesprächen, Gedichten, philosophischen Abhandlungen. So erfährt man, dass Marco als Jugendlicher kleinwüchsig war und nur durch ärztliche Behandlung ein normales Wachstum erfuhr. Auch daher rührt der Name Kolibri. Dieser Kolibri wird im Lauf des Romans immer mehr zu einer Art neuem Hiob. So sehr er sich auch bemüht, das Schicksal schlägt immer wieder unbarmherzig zu. Wobei es auch positive Momente gibt – als der junge Carrera durch einen…
Spätsommer und Herbst sind die beste Zeit für Wanderungen in den Bergen – zum Beispiel auf der Himmelsstürmer Route in den Allgäuer Alpen. „Es ist vor allem das Zusammenspiel von frischem Grün, lauschigen Mischwäldern, klaren Bergseen sowie schroffen Felsbergen, die die Region um die Himmelsstürmer Route zu einer der beliebtesten Urlaubsregionen Deutschlands macht“, schreibt Maximilian Kress im Vorwort zum Rother-Wanderführer „Himmelsstürmer-Route“. Unterschiedliche Schwierigkeitsgrade Danach geht‘s gleich los mit den Top-Touren zum Beispiel mit dem „Wächter des Allgäus“, dem Grünten, in Verbindung mit der Starzlachklamm oder dem Oytal und dem Seealpsee, der Vilsalpseerunde oder dem Hochgrat. Doch weil es in den Bergen schnell gefährlich werden kann – die meisten Bergunfälle ereignen sich schließlich beim Bergwandern – folgen erst einmal Hinweise zu den Schwierigkeitsgraten. Denn nicht jede Tour ist für jeden geeignet. Trittsicherheit ist wichtig Die Tour um den Grünten ist als mittelschwer gekennzeichnet und eignet sich mit langen Steilstücken vor allem für „konditionsstarke Bergwanderer“, die in der Starzlachklamm auch Trittsicherheit mitbringen. Schwierig – also schwarz – ist die Tour Oytal und Seealpsee markiert, da das Gelände „extrem abschüssig“ ist und drahtseilgesicherte Felsstellen nur für geübte Wanderer zu empfehlen sind. Auch die Vilsalpseerunde wartet mit einem steilen Aufstieg auf und mitunter ausgesetztem…
Der Freund war immer dabei, als die junge Fotografin Miriam Mayer Pläne schmiedete, ihr persönliches Traumprojekt zu verwirklichen. Ein Jahr lang planten und trainierten die beiden für die 30 Tage, die sie für das Projekt veranschlagt hatten. Trotzdem, so gesteht Mayer, war die Verwirklichung „ein Sprung ins kalte Wasser“. Verlassen der Komfortzone Denn ganz so einfach ist das Verlassen der Komfortzone nicht. Aber der Weg vom Vorgarten in die Berge hat sich gelohnt, auch wenn Muskelkater und Blasen dem Paar das Bergsteigen erschwerten und statt Sonnenschein hin und wieder Regen und Nebel die Begleiter waren. Trotzdem oder gerade deshalb entstanden nahezu magische Bilder und theatralische Lichtstimmungen, die mehr als einen Blick wert sind. Wechselhaftes Wetter Nebelfetzen über Gipfeln, drohende Wolkenberge, flirrendes Sonnenlicht, Mondlandschaften und Geröll, zarte Blüten und ein fantastischer Sternenhimmel. Das wechselhafte Wetter in den Bergen stellt die Fotografin vor immer neue Herausforderungen. Planbar ist da nichts. Die begleitenden Texte sind ehrlich und vielleicht auch hilfreich für Menschen, die ähnliche Pläne und auch eine Bergseele haben. Zufluchtsorte und Suchtpotential Mayer schreibt über Hütten als Zufluchtsort, über ungemütliche Zeltnächte, eine Übernachtung in einer Biwakschachtel, kurzfristiges Versteigen, einen Wintereinbruch und über das Glück der Frühaufsteher: „Es ist einfach etwas ganz Besonderes,…